Thorsten Schorn wird dieses Jahr als Nachfolger von Peter Urban zum ersten Mal den Eurovision Song Contest (ESC) kommentieren. Im Interview mit unserer Redaktion spricht der Radio- und Fernsehmoderator darüber, wie er sich den Übergang vorstellt und seine Rolle als Kommentator bewertet. Schorn schätzt auch Deutschlands Chancen ein und stellt seine ganz eigene Theorie auf, warum es die letzten Jahre nur für den letzten oder vorletzten Platz gereicht hat.

Ein Interview

Herr Schorn, in wenigen Tagen beginnt der ESC und damit Ihre Premiere als dessen offizieller Kommentator aus Deutschland. Haben Sie sich schon die ersten Worte überlegt?

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Thorsten Schorn: Die ersten Worte habe ich mir noch nicht überlegt, nein. Vielleicht sage ich: "Hier ist Malmö." Aber ich weiss es noch nicht. Das entscheide ich wahrscheinlich fünf Minuten vorher.

Sind Sie denn schon sehr nervös?

Eigentlich nicht, denn es geht ja hier um die Show, um den Eurovision Song Contest, und weniger um mich. Ich bin ja nicht der deutsche Beitrag im Wettbewerb, das ist Isaak, dem wir die Daumen drücken und der aufgeregt sein darf, ob seine drei Minuten am Ende sitzen. Ich bin der nette Begleiter für den Abend und sitze genauso gemütlich und freudig in der Kommentatoren-Box, wie ich bislang zu Hause oder bei Freunden auf dem Sofa gesessen und den ESC geguckt habe. Nur dass meine Kommentare nun eben auch alle sendetauglich sein sollten.

"Und was die Fussstapfen angeht: Ich habe Schuhgrösse 44,5. Ich denke, das schaffe ich schon, ohne zu stolpern."

Thorsten Schorn über Peter Urban

Ihr Vorgänger, Peter Urban, hat den Job 26 Jahre lang gemacht. Sein Name beziehungsweise seine Stimme ist in der Medienlandschaft kein(e) Unbekannte(r). Wie gross sind die Fussstapfen? Machen Sie sich Druck? Oder bekommen Sie Druck?

Ich schätze die Art, wie Peter Urban das über die Jahre gemacht hat, sehr. Ich finde, er hat mit seiner klugen Art, mit seinem eigenen Witz und vor allem mit dieser unverkennbaren, markanten Stimme den Eurovision Song Contest in Deutschland geprägt wie kein anderer vor ihm. Und da sind schliesslich Namen wie Thomas Gottschalk, Max Schautzer und Jan Hofer dabei. Und jetzt bin eben ich da und werde das auf meine Art und Weise machen. Druck bekomme ich keinen, den mache ich mir höchstens selbst. Und was die Fussstapfen angeht: Ich habe Schuhgrösse 44,5. Ich denke, das schaffe ich schon, ohne zu stolpern (lacht).

Wie würden Sie den Übergang von Urban zu Ihnen beschreiben?

Peter und ich haben die Tage noch geschrieben. Er hat mir die besten Wünsche mit auf den Weg gegeben, was mich sehr gefreut hat. Mir ist sehr daran gelegen, dass dieser Übergang für die Zuschauer so wenig holprig wie möglich über die Bühne geht. Mir liegt es fern, der Party-Crasher zu sein, der laut reinkommt und ruft: "Ta-Dah! Hier bin ich!"

Im Vordergrund stehen die Lieder, die Acts auf der Bühne. Das ist eine unglaublich bunte und aufregende Show. Und als Kommentator brauche ich da nicht noch zusätzlichen Schwung reinzubringen. Mir ist wichtig, dass auch all die sich gut unterhalten fühlen, die sich nur einen einzigen Tag im Jahr für den Eurovision Song Contest interessieren. Die sollen genauso mit Spass dabei sein wie die eingeschworene Fangemeinde, die der ESC hat.

Deutschland beim Eurovision Song Contest: Alle deutschen Platzierungen beim ESC seit 2010. © AFP/STF

"Die Punktevergabe am Ende hat immer etwas Magisches. Mit der zwölf als Höchstpunktzahl, den berühmten 'twelve points, douze points'."

Thorsten Schorn

Welche persönliche Verbindung haben Sie zum ESC, bevor Sie zum Kommentator auserkoren wurden?

Der ESC ist schon immer ein fester Termin in meinem Kalender gewesen. Wir treffen uns im Freundeskreis jedes Jahr, meistens zu den Halbfinals, auf jeden Fall zum grossen Finale am Samstag und gucken das in kleiner bis mittelgrosser Runde: mit ein paar Drinks, kleinen europäischen Fähnchen, die im Käse-Igel stecken und Wettlisten, wer die ersten drei und letzten drei Plätze belegt. Letztes Jahr habe ich knapp gewonnen. Das ist immer ein grosser Spass, der mir jetzt fehlen wird. Aber dafür bin ich ja jetzt bei der ganz grossen ESC-Party dabei. Glücklicherweise brauchen meine Freunde nicht auf mich zu verzichten. Ein grosser Vorteil für sie ist, dass sie mich jetzt mit der Fernbedienung leise stellen können (lacht).

Und ich gucke den ESC seitdem ich Kind bin. Ich weiss noch, 1982, als Deutschland mit "Ein bisschen Frieden" gewonnen hat, da war ich sechs Jahre alt und durfte länger aufbleiben, was einem Sechsjährigen klarmacht: Das ist heute ein besonderer Abend. Und ich habe dann gefragt, ob ich mal umschalten darf, weil wir in Köln niederländisches und belgisches Fernsehen über die Antenne empfangen konnten. Ich fand das als kleiner Junge spannend, dass das überall gleichzeitig in Europa läuft. Und für den kleinen Jungen aus der Nähe von Köln war Belgien und Holland schon ganz Europa (lacht).

Die Punktevergabe am Ende hat immer etwas Magisches. Mit der zwölf als Höchstpunktzahl, den berühmten "twelve points, douze points". Furchtbar spannend für mich als Sechsjährigen. Ich habe mich damals so gefreut, als wäre Deutschland Fussball-Weltmeister geworden.

Thorsten Schorn schätzt Deutschlands Chancen für den ESC ein

Sie haben gerade von Wettlisten gesprochen, die Sie mit Freunden gemacht haben. Wie sieht es denn bei dem diesjährigen ESC aus? Auf wen setzen Sie? Bei den Buchmachern ist momentan die Schweiz ganz vorne.

Mit meinen persönlichen Favoriten halte ich mich als Kommentator zurück. Am Ende werden die Jurys und das Fernsehpublikum darüber entscheiden, welcher der beste Song ist. Von mir kriegt grundsätzlich alles erst mal eine Chance. In meinen Radiosendungen gehört es dazu, dass ich bei einem neuen Titel die Daumen drücke, dass er bei den Hörern ankommt. Da habe ich also einen grundsätzlich positiven und offenen Umgang mit neuer Musik.

Und so freue ich mich auf alle Beiträge beim ESC. Ich kann auch jeder Musikfarbe etwas abgewinnen. Sie finden mich genauso bei einem AC/DC-Konzert, wie beim Parookaville-Festival oder auch schon mal in der Kölner Philharmonie bei einem klassischen Konzert. Das ist das, was ich auch beim ESC so toll finde, dass da eben die gesamte Bandbreite der Musik präsentiert wird. Es gibt Mainstream, Pop, Rock, auch so manch abseitige Songs, sogar auch leise, zarte Nummern. Diese Vielfalt macht diesen ESC für mich so aussergewöhnlich.

Wie schätzen Sie Deutschlands Chancen ein? "Always On The Run" von Isaak ist eine typische Radio-Nummer, eher Mainstream.

Erstmal ist es erfreulich, wenn ein Song auch im Radio gut funktioniert. Das ist beim deutschen Beitrag definitiv der Fall. "Always On The Run" habe ich selbst schon oft in meiner Sendung bei WDR 2 gespielt. Ich höre den selbst gerne, singe mitunter auch mit. Da hat Isaak einen Hit gelandet. Beim ESC spielen viele Faktoren eine Rolle, auch, wie gut der Auftritt sitzt. Den Favoriten der Wettbüros nützen die schönsten Quoten nichts, wenn sie beim Finale einen schlechten Tag erwischen.

Deutschland war in den letzten Jahren nicht gerade auf der glorreichen Seite beim ESC

Es kann jetzt eigentlich nur aufwärtsgehen. Bei den letzten acht Teilnahmen ist Deutschland viermal Letzter und dreimal Vorletzter geworden. Mittendrin allerdings als Leuchtturm, 2018, Michael Schulte mit Platz vier. Das hat gezeigt, dass wir es durchaus können. Wir hatten nur die letzten Jahre einfach kein so glückliches Händchen, den europäischen Musikgeschmack zu treffen und das Lied in den Wettbewerb zu schicken, auf das sich am Ende ganz Europa und Australien einigen können.

Thorsten Schorn erklärt die "Krux beim Wertungssystem"

Ist das nur Musikgeschmack oder spielen da vielleicht noch andere Faktoren eine Rolle?

Natürlich hat es auch mit dem Wertungssystem zu tun. Von den Jurys und vom Publikum der einzelnen Länder gibt es jeweils für die ersten zehn Songs Punkte. Der erste Platz kriegt zwölf, der zweite zehn, der dritte acht und dann geht das runter von sieben auf eins. Das heisst, wer jetzt in der Gunst des Publikums oder der Jury eines Landes auf Platz elf landet oder auf Platz 25, bekommt gleich viele Punkte, nämlich 0.

So kann es passieren, dass ich überall Elfter, Zwölfter oder 13. bin und eigentlich einen schönen mittleren Platz hätte, aber mit null Punkten dastehe. Und dann schafft eine Nummer - die eigentlich alle nur so semigut fanden und im Ranking ganz hinten haben - irgendwo vier Punkte und landet davor. Das ist die Krux beim Wertungssystem.

Ist das nicht ein bisschen ungerecht?

Ich finde nicht, dass wir hier die Spielregeln ändern sollten. Die zwölf als Höchstpunktzahl kennen alle, das hat Tradition. Wir suchen den besten Song, das schönste Lied Europas. Und wer wo dahinter landet: geschenkt.

Das Tolle ist doch auch: Jedes Jahr ein neuer Anlauf, jedes Jahr ein weisses Blatt Papier. Anders als im Sport spielt die Vorjahresleistung überhaupt keine Rolle. Es ist ausserdem egal, ob ein Land gross oder klein ist, alle haben die gleiche Chance. Auch das macht den ESC zu einem einzigartigen Musikwettbewerb, der in dieser spektakulären Samstagabend-Fernsehshow endet.

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