Dürfen die das? Die zweifache Echo-Nominierung des Albums "Jung Brutal Gutaussehend 3" der beiden Rapper Farid Bang und Kollegah sorgte im Vorfeld der Verleihung wegen seiner Texte für Empörung. Insbesondere ein Vergleich mit Auschwitz-Insassen stellt die Frage, ob solche Zeilen noch akzeptabel sind. Eine Annäherung.
Die beiden Rapper
Das Album "Jung Brutal Gutaussehend 3" ("JBG3") der beiden Rapper hat es auf die Shortlist des Echos geschafft und zwar in den Kategorien Album des Jahres und Hip-Hop/Urban National. Ausschlaggebend hierfür sind alleine die Verkaufszahlen des Albums.
Inzwischen wurde aber der Ethik-Beirat des Echos auf Hinweis von Redakteuren der "Bild"-Zeitung aktiv, weil sich bei dem Album die Frage stellt "ob bei dem Track '0815' die Grenze zwischen künstlerischer Freiheit und gesellschaftlich nicht hinnehmbaren Äusserungen überschritten wurde", wie Rebecka Heinz, Geschäftsführerin des ECHO erklärt. Das Ergebnis des Beirats nach einer Prüfung: Das Album bleibt nominiert.
Insbesondere wegen der Zeile "Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen" hagelte und hagelt es unter anderem von Seiten der "Bild"-Zeitung Kritik. Ebenfalls via "Bild" melden sich Auschwitz-Überlebende zu Wort, die sich persönlich angegriffen fühlen.
So erklärt dort Christoph Heubner vom Internationalen Auschwitz Komitee: "Die Überlebenden empfinden besonders die Textzeile ,Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen‘ nicht nur als roh und würdelos, sondern als verachtend ihnen und ihren ermordeten Angehörigen gegenüber."
Ist das noch Kunst?
Soweit die Fakten. Aber wie gerechtfertigt ist die Entscheidung des Beirats? In der Tat fällt es schwer, Gründe zu finden, die einen solchen Vergleich rechtfertigen. Ein Schutzmantel unter den diese Zeile flüchten könnte, ist der der Kunstfreiheit – eines der zentralen Grundrechte im Grundgesetz.
Nicht von ungefähr beruft sich auch der Ethik-Beirat in seiner Entscheidung auf dieses Grundrecht: "Nach sorgfältiger Befassung mit dem Gesamtprodukt 'JBG3' von Kollegah & Farid Bang hat der ECHO-Beirat mehrheitlich entschieden, dass im Song '0815' der Bonus-EP '§ 185' die künstlerische Freiheit nicht so wesentlich übertreten wird, dass ein Ausschluss gerechtfertigt wäre – auch, wenn es sich um einen Grenzfall handelt."
Der Beirat sieht den Text also noch innerhalb dieser Grenzen, auch wenn der Sprecher des Beirats, Wolfgang Börnsen, in einem Statement eine "deutliche Missbilligung" zum Ausdruck bringt. Gleichzeitig nimmt der Beirat aber eine Zunahme von "Hass und Gewalt im gesamten medialen Umfeld" wahr und appelliert an Politik und Gesellschaft.
Der Beirat selbst sei bereit, sich "aktiv an dieser Auseinandersetzung zu beteiligen." Einen Ausschluss des Albums zählt der Beirat aber offenbar nicht zu einer aktiven Beteiligung.
"JBG3" - ein Fall für den Index?
Also alles okay mit "JBG3"? Wer entscheidet das? Unter anderem die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BpjM). Sie untersucht, wie der Name bereits sagt, Medien hinsichtlich ihrer Jugendgefährdung.
Bei den ersten beiden Alben der "JBG"-Trilogie hat sie genau das getan und die Alben auf den Index gesetzt. Teil 3 steht allerdings nicht auf dem Index.
Ist das Album also unbedenklich, weil die Bundesprüfstelle es nicht indiziert hat? Nicht zwangsläufig, denn die Vorgängeralben wurden auch erst lange Zeit nach ihrer Veröffentlichung indiziert. Ausserdem wird die Prüfstelle nicht selbst und automatisch tätig, sondern nur auf Antrag beziehungsweise Anregung.
Es ist also nicht völlig unwahrscheinlich, dass auch Teil 3 noch auf dem Index landet, nachdem die beiden Vorgänger dieses zweifelhafte Kunststück bereits vollbracht haben.
Sollten Kollegah und Farid Bang tatsächlich einen oder sogar zwei Echos gewinnen und das Album wird anschliessend indiziert, wäre das für die Echo-Veranstalter und den Ethik-Beirat zumindest peinlich.
War doch nicht so gemeint
Nun kann man natürlich in den gängigen Modus verfallen und solche und andere Zeilen immer mit dem Kontext des Battle-Rap rechtfertigen, wo jeder jeden beleidigt und Provokation zum Tagesgeschäft gehört.
Das ist in Teilen auch berechtigt, schliesslich ist dort vieles metaphorisch gemeint. Würden die Künstler oder die Hörer jedes Wort ernst nehmen, gliche Deutschland einem einzigen Tatort.
Die Sache hat nur gleich mehrere Haken. Provokation im Battle-Rap funktioniert nur, wenn es immer krasser wird. Das ist eine zwangsläufige Aufwärtsspirale bei der die Grenzen entweder immer weiter gesteckt werden oder jemand diese Spirale durchbricht und an die Stelle von Provokation Intelligenz setzt.
Die andere Sache: Wer immer nur provoziert und im Nachhinein relativiert, den kann man irgendwann nicht mehr ernst nehmen. Dann ist dieses ganze Battle-Rap-Spiel eine kleine-Jungen-Fantasie mit Pistolen, dicken Autos und dem Reiz des Verbotenen.
Wer das als Teenager richtig einordnen und Fantasie von Wirklichkeit unterscheiden kann – Glück gehabt. Wer das nicht kann, weil er die andere Seite, die des Respekts, der Gewaltlosigkeit und Menschenliebe nicht kennt, für den dürfte das schwieriger einzuordnen sein. Sprache schafft Denken und umgekehrt.
Kontext hin oder her, auch bei Provokationen gibt es Grenzen. Und wenn Menschen, die in Konzentrationslagern zu Tode gehungert wurden, in einem Songtext nur als Metapher für einen "definierten Körper" dienen, dann ist das mindestens geschmacklos, egal, in welchem Kontext diese Zeile fällt.
Es spielt keine Rolle, was Kollegah über sich denkt
Sind Kollegah und Farid wegen einer solchen Zeile Antisemiten? Offiziell verneinen beide antisemitische Absichten. So ist beispielsweise auf der Facebook-Seite von Farid Bang an die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano gerichtet zu lesen: "Liebe Esther Bejarano, Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass meine Zeile 'Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen' Sie persönlich verletzt hat. Es lag nicht in meiner Absicht, Sie zu kränken. Sehen Sie mir meine Unreflektiertheit nach."
Auch Kollegah, der sich nicht das erste Mal Antisemitismus-Vorwürfen gegenüber sieht, weist diese auch hier wieder von sich. Ob das stimmt und solche Zeilen tatsächlich nur "Unreflektiertheit" sind, können wohl nur die beiden selbst beantworten. Das Problem dabei: Es spielt überhaupt keine Rolle, ob die beiden sich selbst als Antisemiten sehen oder nicht.
Entscheidend ist, was sie tun. Die Rapper haben sich, aus welchen Gründen auch immer, für diese Zeile entschieden. Ob sie ihre Texte auf Kosten der Gefühle von Holocaust-Überlebenden machen wollen, bleibt erst einmal ihnen überlassen. Allen anderen aber bleibt es überlassen, die beiden dafür zu belohnen. Und sei es mit einer Echo-Nominierung.
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