Das neue Album von Herbert Grönemeyer ist auch eine Platte zur Lage der Nation. Im Interview spricht er über nervöse Zeiten, Hassgeschwätz und Angela Merkels Leistung. Und über die schlechtesten Grönemeyer-Songs.

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Herbert Grönemeyer lädt zum Interview in die legendären Hansa-Studios. Hier, wo schon David Bowie seine berühmte Berlin-Trilogie aufgenommen hat, betreibt der 62-Jährige sein Büro. Grönemeyer lacht viel und wirkt entspannt. Muss man auch sein, meint er. Besonders in Zeiten wie diesen.

Ihr neues Album heisst "Tumult". Klingt nach einem passenden Titel zur aktuellen Lage?

Herbert Grönemeyer: Ja, ich denke, wir leben in nervösen und unruhigen Zeiten, in denen man sich sicher auch Sorgen macht, wo das hinführt.

Das Erstarken von Rechts, das Rumgepöbel und Rumgeschreie, das Schüren von Ängsten. Gleichzeitig glaube ich, sind wir auch stabil und erwachsen genug, uns dem zu stellen.

Ist die Platte also eine Art Mutmacher?

Wir verbinden mit Politik immer etwas Schweres. Aber ich glaube, Haltung zu beziehen kann auch etwas Leichtes sein. Haltung ist nicht irgendwas Strenges oder Anstrengendes, sondern kann auch leichtfüssig, kraftvoll und lebendig daherkommen.

Wir müssen uns klarmachen, wie unser Land aussehen soll. Auf was können wir uns einigen, zwischen liberal-links bis zu wertkonservativ-rechts.

Und was glauben Sie, wie kommen wir aus diesen tumultartigen Zeiten wieder raus?

Indem man wieder miteinander spricht. Und indem wir uns klar positionieren. Wir hatten die Demo #unteilbar in Berlin mit 250.000 Leuten.

Die haben ganz klar gesagt: Wir wollen diesen Rechtsruck nicht. Oder beim Stammtisch, im Garten, wenn man launig zusammensitzt und irgendein Freund oder Bekannter denkt, die Gelegenheit ist günstig für chauvinistische oder rassistische Sprüche, dass man auch das Stehvermögen hat und sagt: "Das wollen wir nicht, das ist auch nicht witzig." Jeder Einzelne ist für das Klima hier verantwortlich.

Sie traten ja auch bei der Berliner Demo auf und spielten bei einem kleinen Konzert gegen Rechts in Jamel. Hat man als Künstler eine Art Verpflichtung, Haltung zu beziehen?

Na, erstmal haben wir alle diese Verpflichtung. Aber uns Künstlern steht halt die Öffentlichkeit zur Verfügung. Wir versuchen aufzugreifen, was stattfindet.

Nicht umsonst werden auch in allen totalitären Systemen die Kunstschaffenden verfolgt, da sie Dinge artikulieren, die die Menschen umtreiben.

Auf dem Album sind auch netzkritische Passagen zu hören. Wie weit ist das Internet mitverantwortlich für diese gesellschaftliche Entwicklung?

Das Internet ist eigentlich wie ein Spucknapf. Da kommen viele Leute mit ihrem Geschwätz endlich zur Geltung. Da finden sie endlich statt.

Ich mache mir auch manchmal Gedanken, die sind weiss Gott nicht klug. Aber durch unseren gesellschaftlichen Konsens haben wir ganz klare Schranken. Und die finden im Netz eben nicht statt.

Dass das überhaupt möglich ist, dass man sich da so aushusten kann, das halte ich für sehr sehr schwierig.

In der vergangenen Woche wurde der Abschied von Angela Merkel eingeläutet. Was schätzen Sie an ihr und was werden Sie vermissen, wenn sie mal nicht mehr Kanzlerin ist?

Merkels Flüchtlingspolitik war eine grosse humanistische Aktion. Aber sie hätte die Menschen Stück für Stück einbeziehen und kommunizieren müssen: "Da stehen wir gerade."

Die Leute wollen Respekt spüren und wahrgenommen werden. Ich kritisiere auch, dass sie nicht stärker den Osten repräsentiert hat, obwohl sie aus dem Osten kommt.

Merkel ist ja Physikerin. Ich schätze an ihr, dass sie aufgaben- und lösungsorientiert ist. Sie hat immer gut beobachtet und war interessiert, wie Männer ticken.

Die haben sie immer alle belächelt und sie hat sie dann ruhig weggeräumt. Vermissen werde ich ihre uneitle Klugheit.

Ein Song Ihres Albums heisst "Sekundenglück". In welchen Momenten erwischt Herbert Grönemeyer sein persönliches Sekundenglück?

Wenn ich merke, dass ich mit mir und der Welt im Reinen bin. Wenn man merkt, jetzt passt gerade alles. Wenn ich überrascht werde, vielleicht irgendeinen Blick erhasche von jemandem, mit dem ich nicht gerechnet habe. Der mich kurz verschmitzt anguckt, und ich denke: "Huch was war das denn, das war ja jetzt schön".

Die unerwarteten Momente machen das Leben aus, auch in der Tragik, der Härte, der Trauer.

Es gibt einen elementaren Moment nach meiner sehr schwierigen Zeit. Ich versuchte mich an "Kein Pokal", meinem ersten Song für das "Mensch"-Album. Ich schrieb also an diesen Harmonien, und auf einmal war das wie ein Sonnenstrahl, der in das Studio in London kam. Das war die Sekunde, in der ich merkte, jetzt kann ich wieder Musik machen.

Mit der schwierigen Zeit meinen Sie, als 1998 Ihr Bruder und Ihre Frau kurz nacheinander an Krebs starben. Was hat Ihnen damals geholfen, war es die Musik, waren es die Freunde?

Eindeutig die Freunde. Mein Vater hat immer gepredigt: "Das Einzige, was dir im Leben Stabilität verleiht und was du pflegen musst, sind Freundschaften."

Selbst die Familie ist komplexer, die hat vielleicht auch eine andere Funktion. Deine Freunde sind die, die dich tragen.

Das war bei meinem Vater genauso. Er wurde leider dement, da war es ihm unangenehm und er wurde nervös, wenn wir von der Familie kamen. Aber wenn er seine Freunde sah, da wurde er ganz ruhig.

Gibt es rückblickend auch Songs von Ihnen, die Sie heute bereuen oder mit denen Sie gar nichts mehr anfangen können?

Ach ja, es gibt schlechte Songs. Im Grunde genommen kann ich fast auf jeder Platte einen nennen.

Auf "Bochum" war es "Erwischt", auf "Ö" war es "Fragwürdig". Oder auf "Chaos" ist ein Song "Ich gebe nichts mehr". Den habe ich neulich im Radio gehört, da wusste ich gar nicht mehr, dass ich den geschrieben habe. (ank/dpa)

Herbert Grönemeyer ist einer der erfolgreichsten deutschen Musiker. Seine Karriere begann am Theater, 1981 spielte er im Kino-Epos "Das Boot". Der musikalische Durchbruch gelang ihm 1984 mit der "Bochum"-Platte. Seitdem landete jedes seiner deutschsprachigen Studioalben auf Platz eins der Charts. Grönemeyer lebt in London und Berlin. Er ist Vater von zwei Kindern und in zweiter Ehe verheiratet.

  © dpa

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