Mit seinem Hit "Goldener Reiter" avancierte Joachim Witt Anfang der 80er zu einem der grössten Stars der Neuen Deutschen Welle (NDW), in den 90ern wurde er mit "Die Flut" zum Mitbegründer der Neuen Deutschen Härte. Am 15.09. veröffentlicht der 74-Jährige sein neues Album "Der Fels in der Brandung". Wir haben mit dem Sänger über sein autobiografisches Werk sowie die Höhen und Tiefen seiner Karriere gesprochen.
Herr Witt, der Titel Ihres neuen Albums "Der Fels in der Brandung" klingt autobiografisch. Ist das auch so gemeint?
Mit
Wir kannten uns vorher nicht. Sie war mir aber bereits zu Zeiten von Dieter Thomas Hecks "ZDF-Hitparade" mit ihrer besonderen Art, Musik zu machen, positiv aufgefallen. Damals war ich noch ein Jugendlicher, doch diese Eindrücke sind mir über all die Jahrzehnte im Kopf geblieben. Mit Blick auf unsere neue Produktion waren wir nun grundsätzlich auf der Suche nach einem Duett-Partner – und da fiel mir sofort Marianne Rosenberg ein. Wir haben angefragt und sie hat zum Glück zugesagt. Herausgekommen ist eine Zusammenkunft der besonderen Art, denn sie ist ein spezieller Typ in ihrem Genre und ich bin ein spezieller Typ in meinem Genre.
Inwiefern sind Sie ein spezieller Typ?
Mir wird das von aussen zumindest immer eingeredet, ich selber merke das gar nicht (lacht). Aber irgendwie war das schon immer so. Mit Blick auf manche Resonanzen stelle ich mir oft die Frage: "Bist du wirklich so komisch? Bist du wirklich so outstanding?" Vielleicht ist das nur eine besondere Form der Kreativität – in dem Sinne, dass ich Dinge eventuell mehr hinterfrage als viele andere.
Vermutlich spielt auch das optische Erscheinungsbild – Sie haben einen auffälligen Bart und tragen einen schwarzen Hut – eine Rolle. Wie denken Sie über den jungen, "ausgeflippten" Joachim Witt aus der damaligen NDW-Glanzzeit?
Wenn ich mir Videos von früher anschaue, denke ich: "Ach, eigentlich ist das ja ein ganz süsser Junge, der da auf der Bühne herumhüpft." Es entsprach dem damaligen Lebensgefühl, sich so zu präsentieren. Die Bewegungen waren frei erfunden.
Neulich fragte mich jemand: "Herr Witt, können Sie eigentlich gar nicht tanzen? Sie bewegen sich immer so komisch." Doch gerade dadurch, dass ich gut tanzen kann, war ich überhaupt erst in der Lage, mir Bewegungen auszudenken, die von der Norm abweichen.
Wollten Sie die Fernsehzuschauer damals bewusst spalten?
Mir war wichtig, dass ich meinem recht gleichförmigen musikalischen Stil etwas entgegensetze – das Ergebnis war leicht roboterhaft. Mir stand ein bisschen der Wahnsinn im Gesicht. Die Leute dachten, ich hätte einen Vollknall. Andere wiederum sagten: "Endlich mal einer, der alles rauslässt."
Sie sagen, dass Sie gut tanzen können. War das als Bewerbungsschreiben an "Let's Dance" zu verstehen?
Nein, "Let's Dance" käme für mich nicht infrage. Ich behaupte zwar nicht, dass ich zu nichts mehr in der Lage bin, aber was dort von einem abverlangt wird, ist Leistungssport. Und man möchte ja auch nicht als Clown wahrgenommen werden. Zudem ist es schwierig, sich die ganzen Tanzschritte zu merken – obwohl ich früher am Theater auch getanzt habe. Ich musste die Abläufe aber schon damals häufiger proben als andere und war immer froh, wenn ich es hinter mir hatte.
Gilt das auch für Songtexte?
Ja, da ist es ganz genau so. Wenn ich einen Songtext geschrieben habe, behalte ich mir meistens nur die Hälfte. Ich müsste mir das jedes Mal intensiv draufschaffen, zumal ich Eigenkompositionen danach nie wieder spiele – das übernimmt schliesslich die Band. Nur den "Goldenen Reiter" würde ich noch hinbekommen, weil mich dieser Song schon mein ganzes Leben lang begleitet.
Hat Ihr Hit "Goldener Reiter" aus dem Jahr 1980 noch irgendetwas mit der Musik gemein, die Sie heute, über vier Jahrzehnte später, machen?
Inhaltlich schon. Hingegen haben sich die Arrangements, also das gesamte Erscheinungsbild, völlig verändert. Wir leben in einer ganz anderen Zeit. Diese Weiterentwicklungen hat es aber immer gegeben, auch schon in den 90ern, als ich mit dem Titel "Die Flut" einen ganz neuen Sound kreiert habe. Man muss sich also sehr flexibel zeigen. Für mich bringt das aber keine grosse Anstrengung mit sich, weil ich mich nicht der Zeit anpasse, sondern sie so fühle, wie sie ist.
Sie gelten seit jeher als ein Musiker, der mit seinen Songs mitunter provoziert. Ist das heute noch so?
"Provozieren" ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort. Ich bin eher jemand, der Dinge hinterfragt und einen kritischen Blickwinkel hat. Das ist auch heute noch so der Fall. Es muss nicht zwangsläufig in jedem Song sein, aber es blitzt immer mal wieder hervor.
Auf meinen Song "Revolution", der auf dem Album enthalten ist, mag das zum Beispiel zutreffen. Wobei es auch hier um ein Thema geht, das uns letztlich alle bewegt. Der Songtitel "Revolution" ist bewusst etwas überzogen, trifft grundsätzlich aber den Kern – insofern, dass der Mut zur Veränderung meines Erachtens da sein muss. Wenn das nicht geschieht, können wir uns auch nicht weiterentwickeln.
Unterscheidet Sie diese klare Ansprache von vielen Ihrer Kolleginnen und Kollegen?
Andere bezeichnen es vielleicht nicht so, wie ich es bezeichne – um nicht anzuecken. Mir ist es aber wichtig, Dinge immer klar benennen zu können. Ich bin ein kreativer Mensch und kann mich nicht in die Gepflogenheiten des nie Angreifbaren zurückziehen.
Sie hatten kürzlich einen Auftritt in der Silbereisen-Show "Die grosse Schlagerstrandparty". Wie wohl haben Sie sich als Teil dieser Schlager-Blase gefühlt, der Kritiker gerne ein "Heile Welt"-Image anheften?
Es gibt eine Metal-Blase, es gibt eine Wave-Blase und es gibt auch eine Schlager-Blase. Dort stattzufinden, war für mich keine besondere Herausforderung. Ich hatte einfach mit Menschen zu tun, mit denen ich mich gut verstanden habe. Der Unterschied war nicht allzu gross. Vielleicht hat es eine etwas andere Attitüde als etwa bei einem Gothic-Konzert, wenn man ins Publikum blickt.
Wie meinen Sie das?
Mein Eindruck vom Publikum der Silbereisen-Show war, dass die Schlager-Fans vor Ort das Leben oberflächlich betrachtet vielleicht etwas leichter nehmen. Das meine ich keineswegs negativ. Ich habe die Menschen und die Stimmung als absolut sympathisch wahrgenommen.
Sie treten augenscheinlich gerne mit Menschen in Kontakt – auch über die sozialen Medien. Was begeistert Sie an TikTok? Sie sind dort ziemlich aktiv …
Nachdem ich mich vor rund zehn Jahren von einem Major-Label verabschiedet hatte, bin ich inzwischen sozusagen "back to the roots" gegangen. Bei Warner bin ich gross geworden, bei Warner beende ich eines Tages vielleicht meine Karriere. Ich wollte wissen, ob es möglich ist, den Witt noch einmal richtig nach vorne zu bringen – mit Unterstützung einer Major-Company. Dazu gehört eben auch das Social-Media-Team meiner Plattenfirma. Dieses besteht aus jungen, aufgeweckten Menschen, die hochprofessionell arbeiten und mit denen ich nahezu täglich korrespondiere. Aufgrund meines Künstlerdaseins bin ich ja schon seit Längerem auf Facebook und Instagram präsent, weil es mir wichtig ist, die Menschen zu erreichen. TikTok ist neu hinzugekommen und hat für mich inzwischen eine unglaublich positive Wirkung.
Konnten Sie auf diese Weise ein jüngeres Publikum für sich erschliessen?
Man mag sich wundern, aber auf TikTok sind tatsächlich alle Altersgruppen vertreten. Das habe ich an den Clips erkannt, die die Nutzer zu meinem Song "Schwör mir" erstellt haben. Es kamen unglaublich viele Beiträge – auch von älteren Menschen.
Im nächsten Jahr werden Sie 75. Gibt es rückblickend Entscheidungen in Ihrem bisherigen Leben, die Sie gerne rückgängig machen würden?
Die kritischen Momente in meinem Leben haben mir sehr geholfen, weil sie den Geist angeregt haben. So konnte ich mich aus manchen Situationen letztendlich wieder befreien. Ein gleichförmiges Leben ist ohnehin unrealistisch, doch bei mir gab es extreme Ausschläge. Irgendwann habe ich gelernt, meine Energie nur noch auf die Sachen zu verwenden, von denen ich weiss, dass sie nützlich für mich sind. Früher habe ich Dinge ausprobiert, die in eine Sackgasse mündeten. So etwas fange ich heute gar nicht erst an. Dieser Lernprozess hat mich energetisch geformt.
Hat sich Ihre "Promi Big Brother"-Teilnahme 2016 letztlich als Sackgasse entpuppt?
Das würde ich so nicht sagen. Die nettesten Menschen, die ich in dieser Zeit kennengelernt habe, sassen in der Redaktion von "Promi Big Brother". Dank dieser lieben Leute ist es mir einerseits leicht gefallen, dort stattzufinden. Andererseits war die Sendung für mich ein Experimentierfeld. Ich würde das nicht nochmal machen, weil du den verschiedenen Charakteren gnadenlos ausgesetzt bist. Jemandem wie mir, der gerne für sich ist, geht solch ein Schmelztiegel dann ganz schön auf die Nerven.
Sprich Ihre Mitbewohner, darunter Natascha Ochsenknecht, Mario Basler und Cathy Lugner?
Es ist ja in jeder Staffel so: Die sabbeln alle so viel (lacht). Am Anfang habe ich noch versucht, mit meinen Mitbewohnern zu kommunizieren. Ich kam aber meistens nicht weiter als zwei Sätze, weil andere sofort intervenierten und einen unheimlichen Müll erzählten. Ich konnte das irgendwann kaum noch ertragen und zog mich entsprechend zurück.
War es überhaupt möglich, sich im Container zurückzuziehen?
Es war schon Psycho. Alleine der Gedanke, mit anderen Menschen in einem gemeinsamen Schlafsaal übernachten zu müssen, ist für mich der nackte Horror. Das war schon in meiner Schulzeit so. Bei Klassenfahrten in Jugendherbergen war ich immer schnell schwer genervt, weil ich mit anderen gemeinsam in einem Raum in Etagenbetten schlafen musste.
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