Bereits vor Jahrzehnten wurde R. Kelly mit den Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs von Frauen konfrontiert. Eine neue Dokumentation bringt nun neue, schockierende Details ans Licht.
50 Millionen verkaufte Alben, drei Grammys und Auszeichnungen als erfolgreichster R&B-Künstler der vergangenen 25 Jahre: Geht es nach seinen musikalischen Leistungen, ist Sänger
Mit seinem Hit "Bump N' Grind" kitzelte er bei Erwachsenen das Verlangen nach körperlicher Nähe hervor, mit "I Believe I Can Fly" regte er Kinder und Jugendliche zum Träumen an. Das Magazin "Billboard" nannte ihn 2015 in einem Ranking nicht weit hinter
Aber der Koloss wankt. Mit der Doku-Serie "Surviving R. Kelly" haben teils seit Jahrzehnten bekannte Missbrauchsvorwürfe gegen ihn an Schlagkraft gewonnen. Zahlreiche Frauen werfen dem 51-Jährigen darin vor, sie sexuell oder emotional missbraucht zu haben, teils schon im Teenager-Alter. Angst, Ekel und Scham stehen den teils weinenden Frauen in der Sendung ins Gesicht geschrieben. Die Serie beim Sender Lifetime ist eine Anklage gegen Robert Sylvester Kelly, gebündelt und verpackt in sechs Folgen für das amerikanische Abendfernsehen.
Ist dies der Anfang vom Ende für R. Kelly? Wird er zum ersten namhaften Musiker in den USA, den die #MeToo-Bewegung zu Fall bringt? Staatsanwälte in Chicago und Atlanta befassen sich nun mit den Vorwürfen. Kelly hat diese mehrfach entschieden abgestritten und wirft seinen Kritikern eine Rufmord-Kampagne vor.
25 Jahre reichen die Anschuldigungen, Skandale und Gerichtsverfahren zurück. Sie beginnen 1994 mit Kellys fragwürdiger Ehe mit der damals 15 Jahre alten Sängerin Aaliyah (die Ehe wurde annulliert). Ein Jahr später soll er eine Beziehung mit der damals 17 Jahre alten Lizzette Martinez begonnen haben. Kelly habe damals kontrolliert, wie sie sich kleidet, wie sie spricht und mit wem sie befreundet ist, sagte Martinez der Website "Buzzfeed" vergangenen Mai.
Ende der 1990er- und Anfang der 2000er-Jahre folgen der Website "Vox" zufolge mindestens vier Gerichtsverfahren wegen Sex mit verschiedenen jugendlichen Mädchen (sie werden aussergerichtlich beigelegt). Zudem tauchen zwei Videos auf, die Kelly beim Sex mit sehr jungen Frauen zeigen sollen. Aber in einem Prozess wegen Kinderpornografie wird er 2008 für nicht schuldig befunden. Bei Verlesung des Urteils - ein Freispruch in 14 Anklagepunkten - bricht Kelly in Tränen aus.
Fast ein Jahrzehnt bleibt es ruhig um den Sänger aus Chicago. Er veröffentlicht Alben, tritt bei Festivals auf. Aber dann katapultiert ihn ein "Buzzfeed"-Bericht über einen mutmasslichen "Sex-Kult" im Sommer 2017 wieder in die Schlagzeilen: Er soll junge Frauen in mehreren Anwesen im Land festhalten, die ihn angeblich selbst für den Gang zur Toilette um Erlaubnis bitten müssen, und sie zum Sex zwingen. Zwei Frauen stützen später Details des Berichts. Kelly spricht von Verleumdung und kündigt rechtliche Schritte an.
Vergangenen November kommt schliesslich eine Klage von Kellys zweiter Ex-Frau Drea Kelly hinzu. Sie wirft ihm vor, sie emotional, körperlich und sexuell missbraucht zu haben und beteuert, in der Ehe um ihr Leben gefürchtet zu haben. Einige Tage nach Neujahr geht "Surviving R. Kelly" auf Sendung. Den Hashtag #MuteRKelly (R. Kelly stumm schalten) gibt es da bereits. Und dennoch: Welche Folgen die Vorwürfe für Kelly haben, ist heute völlig offen.
Für sein Label RCA, das zum Konzern Sony Music gehört, beginnt der Drahtseilakt. Solange Kelly wegen keiner Straftat verurteilt wird, wird es seinen profitablen Star schützen wollen. Zugleich kann es in Zeiten von #MeToo nicht unbegrenzt zu einem Mann halten, der mutmasslich reihenweise Teenager-Mädchen zum Sex zwang oder ihr Privatleben kontrollierte. Spotify übte diesen PR-Spagat bereits, indem Kellys Musik zwar aus Playlisten gelöscht wurde, die Musik bei dem Streamingdienst aber verfügbar bleibt.
Ein wenig erinnert der Fall an Filmproduzent Harvey Weinstein, dessen Strafprozess im Mai beginnen soll, und den verurteilten Entertainer Bill Cosby: Einzeln betrachtet lassen sich die Vorwürfe gegen diese Männer häufig ausräumen, aber in der Summe zeichnen sie ein düsteres Bild von womöglich jahrelangem Fehlverhalten. Sie alle haben immer wieder zurückgewiesen, mit Frauen gegen deren Willen Sex gehabt zu haben.
Musik ist ein hartes Geschäft. Die Branche bietet viel Raum für Machtmissbrauch, ob bei Treffen unter vier Augen im Studio oder im Backstage-Bereich bei Konzerten. Der grosse #MeToo-Moment steht in der Musikindustrie noch aus. R. Kelly könnte der erste sein. © dpa
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