Konzerte werden immer teurer. Aber warum eigentlich? Wer legt fest, was ein Ticket kostet? Und was hat es mit den Billigtickets auf sich, die vor den Adele-Konzerten in München verhökert worden sind?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Patricia Kämpf sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Superstar Adele unbedingt mal live sehen, das war eigentlich alles, was Kathrin (39) aus München wollte. Also stellte sie sich Anfang Februar in die Warteschlange für Tickets, die digitale Warteschlange, siebeneinhalb Stunden lang. Teilweise waren 100.000 Menschen vor ihr, sie hat Screenshots.

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"Irgendwann bin ich dann durchgekommen", erzählt Kathrin, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte. "Da gab's aber nur noch teure Platin-Tickets." Preis pro Ticket: 349 Euro, 698 Euro gesamt für zwei Plätze ziemlich weit hinten.

Ein paar Tage später gab es plötzlich zusätzliche Konzerttermine. Kathrin kaufte nochmal zwei Tickets, anderer Tag, bessere Kategorie, viel weiter vorne, diesmal für 652 Euro.

Ähnliches hat John Murphy aus Irland, irgendwo in seinen Vierzigern, erlebt. Er musste nicht so lange virtuell anstehen wie Kathrin, bekam aber für sich und seine Frau zwei Tickets an komplett unterschiedlichen Ecken des Stadions. "Wir sagten beide, wie bescheuert das ist", erzählt er. Dennoch kauften sie die Tickets. Seine Frau ist riesiger Adele-Fan, und auch sie hatten Angst, die Sängerin sonst gar nicht sehen zu können. Preis für zwei Tickets: knapp 860 Euro.

Konzertveranstalter: "Weil die Endkonsumenten die Preise zahlen"

Auch Murphy kaufte ein paar Tage später nochmal zwei Tickets, diesmal nebeneinander, viel bessere Plätze. Nochmal 860 Euro. Für die gesamte Reise hat er etwa 3.200 Euro ausgegeben.

300 bis 500 Euro für ein einziges Konzertticket – mittlerweile ist das nicht mehr absurd, sondern beinahe schon normal. Aber warum eigentlich? "Ganz ketzerisch gesagt: Weil die Fans die Preise zahlen", sagt Michael Löffler.

Löffler ist Chef von Target Concerts in München, plant Konzerte und Tourneen von Sum 41, den Beatsteaks, Dropkick Murphys, Heather Nova und den Ärzten, bis 2009 auch Green Day.

Zu den Gründen für die teuren Tickets gehörten auch der Zweitmarkt und der Schwarzmarkt, sagt Löffler: "Die Gier kennt keine Grenzen." Er erklärt: "Die Veranstalter sehen, was manche Leute dort bereit sind zu zahlen – sei es legal oder weniger legal. Und dann denken die sich natürlich, machen wir das Geschäft lieber selbst."

"Die Gier kennt keine Grenzen."

Michael Löffler, Target Concerts München

Ganz so direkt drückt es Nils Hoch, stellvertretender Geschäftsführer und Veranstaltungsleiter vom Olympiapark in München, nicht aus. Taylor Swift ist dort dieses Jahr zweimal aufgetreten, ausserdem Justin Timberlake, Coldplay, Metallica und AC/DC.

"Es gibt viele Gründe, warum Konzerttickets immer teurer werden: steigende Personalkosten im Veranstaltungswesen, gerade im Fachkräftebereich, steigende Energiepreise", sagt er. "Aber auch die Tatsache, dass Live-Entertainment die CD-Verkäufe abgelöst hat."

Für Taylor Swift stellte der Olympiapark den Veranstaltungsort, Konzertveranstalter war aber FKP Scorpio Konzertproduktionen aus Hamburg. Deren Head of Communications, Jonas Rohde, bringt noch einen anderen Faktor mit ins Spiel. "Aus Sicht der Kulturschaffenden haben die steigenden Preise mit einem beispiellosen Anstieg der Produktionskosten einen klaren Grund", sagt er. "Im Vergleich zu vor der Pandemie sind die Kosten über alle Gewerke hinweg um rund 45 Prozent gestiegen."

Das sieht auch Michael Löffler so, er spricht von "dramatischen Kostensteigerungen auf allen Ebenen, insbesondere beim Personal". "Dies nicht zuletzt auch wegen der Pandemie, während der sich viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Stagehand- und Securitybereich andere Jobs gesucht haben und nicht zurückgekommen sind", sagt er.

Die Preise für Konzerttickets sind in den vergangenen Jahren um etwa 30 Prozent gestiegen, sagt Nils Hoch, "glaubt man den Statistiken". Und wie auch sonst überall bestimmt bei Konzerten ebenfalls die Nachfrage den Preis.

Aber wo ist die Grenze? Wird es auch hierzulande irgendwann Tickets für 4.000 Euro geben, so wie heute schon in den USA? "Das kann schon passieren", sagt Michael Löffler. "Aber es wird vermutlich nur passieren, wenn jemand anderes schon dreieinhalbtausend bezahlt hat."

Natürlich verdienen auch Künstler und Band. "Die Gagen der Künstler sind in den letzten Jahren definitiv extrem nach oben gegangen", sagt Nils Hoch. "Wenn ein Künstler 50 Prozent mehr Gage haben will, können die Ticketpreise nicht gleichzeitig nach unten gehen. Das wäre nicht mehr wirtschaftlich."

Lucky-Dip-Tickets bei Adele: Nichts anderes als eine Füll-Aktion

Michael Löffler kann sich an ein einziges Mal erinnern, bei Green Day 2005, dass die Band Einwände hatte. "Damals habe ich ein Angebot gemacht, Eintrittspreis, Gage. Und dann fragte Green Day: ‘Wie viel weniger bekommen wir, wenn wir um den Betrag X beim Ticketpreis runtergehen?’" Ganz genau weiss er es nicht mehr, aber 10.000 oder 20.000 Euro am Tag hätten das für die Band schon ausgemacht. "Green Day hat gesagt: ‘Machen wir.’"

Für Jonas Rohde von FKP Scorpio ist ein Punkt essentiell: "Wichtig zu verstehen ist", sagt er, "dass Veranstaltenden gar nicht an höheren Eintrittspreisen gelegen ist und die realen Mehrkosten oft gar nicht über die Tickets zu decken wären. Wir finden, dass Live-Kultur für möglichst viele Menschen erschwinglich bleiben sollte – aus ökonomischen und ethischen Gründen gleichermassen."

Bands wie The Cure sind dafür bekannt, dass sie bezahlbare Tickets anbieten. Der deutsche Singer-Songwriter Olli Schulz legt ebenfalls Wert darauf, genau wie die Hamburger Band Deichkind. Aber so etwas komme kaum noch vor, sagt Löffler.

Auch künstliche Verknappung ist ein Thema. Bei Adele waren anfangs nur vier Konzerte im Verkauf, wie Kathrin aus München erzählt. Erst ein paar Tage später standen sechs zusätzliche Termine zur Auswahl. Ausverkauft ist kein einziger: Der Veranstalter Live Nation rechnete mit 800.000 Menschen an zehn Abenden. Irgendwann wurde die Zahl auf 740.000 heruntergeschraubt.

Vielleicht, sagt Löffler, hätte es die sechs weiteren Shows nicht gegeben, wenn Live Nation von Anfang an Schwierigkeiten gehabt hätte, Tickets loszuwerden. Von Anfang an sei aber "sicherlich auf zehn Shows kalkuliert" worden, mutmasst er – künstliche Verknappung für die ersten vier Shows eben. Live Nation hat auf mehrere Anfragen unserer Redaktion nicht reagiert.

Und dann gibt es noch die Lucky-Dip-Tickets: Man kauft ein Ticket für ein Adele-Konzert, nur ein paar Tage vor dem Termin, allerdings mit dem Haken, dass man nicht weiss, wo man sitzt oder steht, weit hinten oder direkt vor der Bühne. Das kostet dann aber auch nicht 500 Euro, sondern nur 35.

"Was für eine Frechheit", schimpft John Murphy aus Irland. "Der ganze Hype! Adele macht nur zehn Shows in Europa, und Tausende Menschen, so wie ich, geben Tausende Euros aus, nur um sie sehen zu können – und dann hauen Ticketmaster und der Veranstalter Tickets für 35 Euro raus, zum Preis eines Menüs bei McDonald’s!"

Es gibt nur einen einzigen Grund, warum Verkäufer wie Ticketmaster und Veranstalter das machen. "Das ist wohl eine Füllaktion", sagt Nils Hoch vom Olympiapark. "Für den Künstler ist es natürlich wichtig, dass seine Arena voll aussieht." Michael Löffler bestätigt das. "Die Künstlerinnen und Künstler wollen keine leeren Sitze sehen, viele finden das schrecklich." Aber man könne das auch anders lösen, etwa Menschen von weiter hinten nach vorne setzen, sagt er. "Da regen sich die Leute aber natürlich auch auf. Obwohl es im Flugzeug nicht anders ist: Da kann man auch neben jemandem sitzen, der nur die Hälfte bezahlt hat."

FKP Scorpio will sich zu den Lucky-Dip-Tickets nicht äussern. "Wir sind nicht Veranstalter der Adele-Konzerte", sagt Jonas Rohde.

Kathrin aus München fände die Lucky-Dip-Tickets sogar völlig in Ordnung, wenn sie denn eine Chance gehabt hätte, ihre überflüssigen Tickets weiterzuverkaufen. Aber das habe überhaupt nicht funktioniert, "der Resale wurde nicht freigeschaltet". Das sei erst eine Woche vor dem Konzerttermin passiert, und "in den gesicherten Verkauf bei Ticketmaster konnte ich meine Tickets nicht geben. Wie dumm ist das: den sicheren Marktplatz sperren, und die Leute verkaufen digitale Tickets ohne Sicherheitsnetz?" John Murphy hat Ähnliches erlebt: "Die Resale-Funktion bei Ticketmaster war sechs Monate lang blockiert."

"Kommen die Fans wieder, wenn Adele nächstes Mal zehn Shows in Singapur spielt?"

Einen nachvollziehbaren Grund dafür gibt es laut Nils Hoch nicht. "Wenn jemand ein Ticket zurückgibt, kann es, rein technisch gesehen, sofort wieder in den Verkauf."

John Murphy ist auf seinen zwei zusätzlichen Tickets sitzen geblieben. Dementsprechend düster fällt sein Fazit aus. "Die Tickets waren völlig überteuert und wurden in einer fürchterlichen Art und Weise verkauft", sagt er. "Adele war viel besser, als ich erwartet habe. Ticketmaster oder Live Nation werden mein Geld aber trotzdem nie wieder sehen."

Kathrin hat ihre Tickets privat verhökert, für einen Bruchteil des Kaufpreises. "Leisten kann ich mir das. Schön finde ich es trotzdem nicht. Und ich kenne Leute, die für diese Tickets richtig sparen müssen."

Und was bleibt? Eine Frage, die sich Michael Löffler stellt: "Kommen die Fans wieder, wenn Adele nächstes Mal zehn Shows in Singapur spielt?"

Über die Gesprächspartner:

  • Michael Löffler ist Chef von Target Concerts in München.
  • Nils Hoch ist stellvertretender Geschäftsführer und Veranstaltungsleiter vom Olympiapark in München.
  • Jonas Rohde ist Head of Communications von FKP Scorpio Konzertproduktionen in Hamburg.
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