Wenn der Silbereisen Flori in seine Show lädt, kommen sie alle: der Gabalier Andreas, der Carpendale Howie, der Kaiser Roland, die Egli Beatrice, der Lotti Helmut und sogar der Kerkeling Hape. Nur die Fischer Helene war wieder einmal nicht da. Und vielleicht auch die Tyler Bonnie, wobei sich da die Geister scheiden. Das Minutenprotokoll eines dreistündigen Wahnsinns.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Robert Penz dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Um kurz vor 20:15 Uhr ist die Nervosität kaum noch auszuhalten. Gleich wird der Silbereisen Flori die gewaltige Bühne der Dortmunder Westfalenhalle betreten und den "Schlagerboom 2021" eröffnen. Was zu Beginn ein wenig irritiert: Der Flori schreit so irrsinnig. Jetzt kann man natürlich behaupten, gegen die Menschenmassen im Publikum, die – während etwa unsere Kleinen in den Schulen aktuell mörderisch gegängelt werden – trotz Pandemie eigentlich ganz schön kuscheln dürfen, eben extrem laut seien, müsse sich der Flori doch irgendwie durchsetzen. Aber so schreien hat man einen Showmaster bei der Begrüssung des Publikums und der Zuseher vor den Fernsehgeräten noch nie gehört. Gut für die Ohren der Zuseher kann das nicht sein.

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20:15 Uhr: Flori betritt die Bühne und macht von Beginn gleich eines klar: Authentizität und Natürlichkeit sind für ihn heute eher keine Option. "Wollt ihr den Schlager nach zwei Jahren Pause endlich wieder so feiern, wie er nur beim 'Schlagerboom' gefeiert wird?", brüllt Flori das Publikum an. Die Zuseher verstehen die Frage nicht ganz, verfallen aber trotzdem in Ekstase.

20:19 Uhr: DJ Ötzi taucht als erster Gast auf und singt mit seiner gehäkelten Eierschale auf dem Kopf den Klassiker "I love you, Baby". Die Halle bebt, die Eierschale auch. Reife Frauen aus dem Publikum halten Schilder in die Kamera, die DJ Ötzi schmeicheln. Vermutlich hat ihnen die Regie dafür versprochen, nach der Show ganz kurz dessen Eierschale berühren zu dürfen. Vielleicht sogar, dass sie dem Friedle Gerry übers Wochenende eine neue häkeln dürfen.

20:23 Uhr: Nach acht Minuten "Schlagerboom 2021" droht am Oberarm die erste Impfstelle aufzuspritzen. Im Zerebrum stimmt auch nicht mehr alles.

20:25 Uhr: "Heute können alle mitsingen!", brüllt der Silbereisen Flori ins Mikrophon. Diese Info trifft die Menschen vor den TV-Geräten völlig unvorbereitet. Die Telefone laufen heiss. Viele rufen ihre Freunde und Bekannten an, um ihnen in aller Deutlichkeit zu kommunizieren, dass sie heute alle mitsingen könnten. Nicht alle tun das, manche konzentrieren sich nur aufs Mitsingen.

20:29 Uhr: Beim Auftritt von Ross Antony kann man sich super in der Küche eine heisse Schokolade machen. Ein Tipp an dieser Stelle: Ein wenig Zimt ist ihrem Geschmack zuträglich. Und bei Magen-Darm-Beschwerden hilft er auch. "Wow! Ich hab Gänsehaut", brüllt Flori dem Ross ins Ohr.

20:39 Uhr: Mickie Krause und Jürgen Drews stürmen auf die Bühne, starten ihr Medley mit "Ich bin der König von Mallorca" und tun dabei so, als ob ihnen das null peinlich wäre. Indes hält eine junge Dame im Publikum ein "Schlager ist geil!"-Plakat in die Kamera. Darauf ein Glas lauwarmes Essigwasser zur Schmerzablenkung. Zugegeben: Der 76-jährige Jürgen Drews hoppelt noch wie ein Jungspund über die Bühne.

20:44 Uhr: Fernsehgeiger David Garrett, der Jörg Pilawa der klassischen Musik, fiedelt sich durch den Klassiker "Hit the Road Jack". Die Schlager-Affinen haben ihm seine Eskapaden aus dem Jahr 2016 längst verziehen. Bei groben Sex-Spielen habe er seiner damaligen Freundin eine Rippe gebrochen, hiess es einst in Anklageschrift laut "New York Post". Lassen wir das. In der Schlagerwelt gibt’s keine traurigen Geschichten. Das ist ja das Besondere an ihr. Schlager ist so super.

20:56 Uhr: Beatrice Egli taucht in einer Mischung aus Frotteepyjama und Glitzer-Strampelanzug auf. Das ist nicht in Ordnung. "Ich hab immer Gänsehaut, den ganzen Tag schon", schreit Flori Beatrice nach ihrem Auftritt an. "Ich hab so Gänsehaut", antwortet sie. Ganz gesund ist dieser Dialog nicht.

21:00 Uhr: Helmut Lotti kommt auf die Bühne und trällert ein Lied, bei dem im Publikum niemand mitsingen kann. Das scheint die Leute sehr zu verunsichern. Damit die gute Laune nicht Flöten geht, denken viele spontan an Howard Carpendales süssen Akzent oder den Haarzopf von David Garrett.

21:05 Uhr: Flori und Thomas Anders haben extra für die Show heute einen neuen Song aufgenommen. Ziemlich sicher auch "ganz spontan". An diesem Abend ist nämlich extrem viel "ganz spontan". Jedenfalls müssen Flori und Thomas uns den Song gleich vorsingen. Er ist extrem schlecht.

21:10 Uhr: LaFee singt "Rock me Amadeus" von Falco. Der Hölzel Hansi, der vor 23 Jahren auf der Dominikanischen Republik mit seinem "Mitsubishi Pajero" in den Legendenstatus abgebogen ist, wird angesichts der Version unterirdisch einen Cholerischen bekommen haben. So sad!

21:15 Uhr: Auch Comedian Didi Hallervorden ist dem Ruf des Geldes gefolgt. "Mein Leben, du bist kein Ponyhof. Ich provoziere als Clown und als Philosop"“, singt der 86-Jährige. Man weiss jetzt, warum Hallervorden als Sänger nicht extrem berühmt wurde.

21:45 Uhr: Hape Kerkeling ist jetzt auch da. Warum, Hape? Warum nur?

21:50 Uhr: "Mein Gott, was für ein toller Abend", lügt der Autor, Komiker und Moderator.

22 Uhr: Howard Carpendale schwebt auf die Bühne – der Mann, der vermutlich längst akzentfrei Deutsch spricht und das letzte Mal vor rund 30 Jahren älter geworden ist. "Ein Jahr lang war isch ohne disch. Isch brauchte diese Zeit für misch", kocht Howie das Publikum wieder ein. Herrlisch.

22:13 Uhr: Auch Otto Waalkes möchte die Situation in seinem Portemonnaie verbessern und bringt den einen oder anderen seiner insgesamt drei Jokes. "Friesischer Wein", eine Adaption des "Udo Jürgens"-Klassikers "Griechischer Wein", kommt besonders gut an. Die Melodie schrieb Udo Jürgens nach einem Rhodos-Urlaub angeblich in nur 20 Minuten. Sein Text beschreibt die Sehnsucht und das Heimweh griechischer Gastarbeiter im Deutschland der 70er-Jahre.

22:33 Uhr: Der selbsternannte "Heavy Metal"-Fan Bülent Ceylan lässt es sich ebenso nicht nehmen, beim "Schlagerboom 2021" aufzutauchen. "Hast du deine schönen Haare schon mal selbst geschnitten?", will Flori von Ceylan wissen. Quo vadis, Menschheit?

22:38 Uhr: Das ergibt alles keinen Sinn.

22:43 Uhr: Roland Kaiser singt "In the Ghetto" von Elvis Presley und erzählt, dass er mit diesem Song einst vorgesungen und daraufhin einen Plattenvertrag bekommen habe. Das weckt Hoffnungen. "Morgen hol ich mir mit 'Love me tender' einen Plattenvertrag", werden danach viele Deutsche beschlossen haben. Bevor Roland Kaiser noch irgendeine "spezielle Version" singt, brüllt ihm der Silbereisen Flori noch ins Ohr, dass er schon den ganzen Tag Gänsehaut habe.

22:55 Uhr: Es kann sein, dass Bonnie Tyler persönlich gerade ihren Hit "Total Eclipse of my Heart" singt. Nicht auszuschliessen ist aber, dass sie dabei, da ohnedies alles playback ist, von Frauke Ludowig vertreten wird. Oder anders: Hat schon mal jemand die Tyler Bonnie und die Ludowig Frauke gleichzeitig in einem Raum gesehen? Eben.

23:03 Uhr: Matthias Reim ist jetzt da und erzählt, dass er zum siebenten Mal Vater wird. In Bälde hat er also drölfzig Kinder von elfzig Frauen oder so. Es ist in jedem Fall Weltrekord.

23.15 Uhr: Der Volks-Rock’n’Roller Andreas Gabalier betritt am Ende der Show die Szenerie und darf rund fünfzehn Minuten die Zuseher mit einem Medley beschallen. Mit seinem neuen Song "LiebeLeben" macht der häufig Lederbehoste inzwischen auf Regenbogen-"Indiana Jones" und gibt sich weltoffen und tolerant. "Ob Frau und Mann oder Mann und Mann oder zwei Mädchen dann", heisst es darin. Zur Erinnerung: Bei den "Amadeus Awards 2015" meinte Gabalier noch, man habe es nicht leicht auf dieser Welt, "wenn man als Manderl noch auf ein Weiberl steht". Nicht zu vergessen sein Auswurf über "schmusende Männer", die man nicht jeden Tag auf Plakaten oder in Zeitungen sehen sollte. Zugute halten muss man dem Österreicher, dass er als einziger an diesem Abend live singt.

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23.30 Uhr: Der Spuk hat ein Ende und der Silbereisen Flori endlich ausgebrüllt. Es war ein hartes Stück Abend. Hodiodiodiodieeeeee!

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