Am vergangenen Freitag veröffentlichte Howard Carpendale sein allerletztes Album "Let's Do It Again". Einen Tag später wurde er bei der Verleihung der Goldenen Henne mit dem Ehrenpreis überrascht und einer Laudatio, gehalten von seinem Sohn Wayne. Wir haben mit dem 77 Jahre alten Schlagersänger über den emotionalen Moment und seine nächste Tour gesprochen. Diese soll zwar seine "letzte grosse Hallentournee" sein, nicht aber das Ende seiner Bühnenkarriere bedeuten.
Herr
Howard Carpendale: Ich wusste weniger als gar nichts. Ich habe nicht eine Sekunde lang darüber nachgedacht, ob etwas Überraschendes auf mich zukommen könnte. Alle verhielten sich im Vorfeld sehr cool und ruhig. Letztendlich war es wirklich ein unglaublicher Moment für mich.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Ihr Sohn zu Ihnen sprach und sichtlich mit den Tränen kämpfte?
Ich kenne meinen Sohn sehr gut, er hat mich in meinem Leben ein paar Mal überrascht – häufig sogar mehr als das. Es ist einfach typisch für ihn, dass er sich für mich fünf Stunden ins Auto setzt und nach Leipzig fährt, obwohl er selbst genug zu tun hat. Wir haben einfach eine ganz besondere Beziehung zueinander.
Wie stolz sind Sie auf Wayne mit Blick auf dessen bisherigen Lebensweg?
Sehr. Wir haben auch nach der Verleihung noch lange darüber geredet und ich habe gespürt, dass er sehr zufrieden mit seinem Leben und seinem Beruf ist. Wayne findet in vielen Bereichen in der Schauspielerei und Moderation statt. Ich glaube nach wie vor, dass eines Tages jemand erkennen wird, was alles in ihm steckt. Da schlummert noch so viel mehr.
Welchen Stellenwert hat dieser Ehrenpreis für Sie? Bei Lebenswerk-Auszeichnungen schwingt ja immer ein bisschen mit, dass der Abschied von der Bühne nicht mehr allzu weit entfernt liegt …
Ach, mir wurde in dieser Kategorie bereits vor knapp 20 Jahren ein Echo verliehen. Die Goldene Henne ist eine schöne Auszeichnung. Sie zeigt, dass das Publikum gerade an dich denkt. Das ist das, was ich mitnehmen werde. Da mein Sohn mir diesen Preis überreicht hat, wird er einen besonderen Platz in meinem Wohnzimmer einnehmen, sodass ich mich immer wieder an den gemeinsamen Abend zurückerinnern kann.
Ein Karriere-Ende in Sicht?
Inzwischen ist Ihr neues Album "Let's Do It Again" erschienen. Wie man liest, soll es Ihr letztes sein. Stimmt das und wenn ja, warum haben Sie sich so entschieden?
Ich würde lügen, wenn ich nicht sagen würde, dass ich nicht mehr der Jüngste bin. Natürlich denke ich darüber nach, wie es weitergeht. Allerdings ist es in dieser Welt, in der wir momentan leben, schwierig, über die Zukunft nachzudenken. Wir alle wissen nicht, was auf uns zukommen wird. Und in der Musikbranche erleben wir aktuell die grösste Veränderung, die ich in den zurückliegenden Jahrzehnten je erlebt habe. Alles findet nur noch digital statt und man muss sich darauf einstellen, dass es in fünf Jahren gar keine physische Musik mehr geben wird – wahrscheinlich mit Ausnahme von Vinyl. Ich möchte nicht, dass jemand eines Tages zu mir sagt: "Wir produzieren kein Album mehr mit dir." Daher habe ich es gesagt, bevor ich es von jemand anderem höre.
Welche Auswirkungen hat diese Entscheidung auf Ihre Bühnenkarriere?
Dieser Satz, den ich gesagt habe, hat nichts mit meinem Beruf auf der Bühne zu tun. Es wird genauso weitergehen wie vorher.
Sie sprechen relativ wertfrei von "Veränderungen". Würden Sie sogar noch weitergehen und sagen, dass es nicht mehr die Musikbranche ist, in die Sie sich einmal verliebt haben?
Es gibt verschiedene Aspekte, die man hier bedenken muss. Ich habe bisher nicht so häufig mit Konsumenten darüber gesprochen, ob ihnen Streaming besser gefällt oder nicht. Es scheint mir aber so, dass diese Entwicklung zumindest aus Sicht des Publikums gut ist. Man kann sich für rund zehn Euro im Monat jederzeit Millionen von Titeln anhören. Für Musiker, Komponisten und Texter ist es aber ganz bestimmt keine gute Entwicklung.
In der Talkshow "Kölner Treff" haben Sie erwähnt, dass "mit diesem Album alles gesagt ist, was ich sagen wollte". Welche Aussage steckt denn konkret hinter "Let's Do It Again"?
Ich meinte damit nicht nur das Album, sondern meine gesamte Karriere. Ich habe das Gefühl, dass es nicht mehr viel gibt, was ich noch sagen möchte. Als wir mit der Planung für diese LP begonnen hatten, war mir bereits klar, dass es wahrscheinlich meine letzte sein würde. Mit diesem Album haben wir anscheinend einen Nerv getroffen. Viele Menschen loben das Produkt bis in den Himmel, und damit hatte ich nicht gerechnet. Die Texte sind einfach erwachsen und gut. Ich hatte das Glück, Leute zu finden, die in der Lage sind, solche Texte zu schreiben. Mit Joachim Horn-Bernges arbeite ich ja nicht mehr zusammen und Fred Jay ist leider verstorben. Aber Eric Philippi und Tim Peters schreiben auch hervorragende Texte, obwohl beide noch ziemlich jung sind.
Hat sich für Sie bereits vor diesem letzten Album mit der "Show meines Lebens" und Ihren beiden Alben mit dem Royal Philharmonic Orchestra ein Kreis geschlossen?
Ja schon, aber ich wollte nicht mit diesen Orchester-Alben aufhören – so wunderschön sie auch sind. Ich kann doch nicht den jungen Leuten die ganze Musikbranche überlassen. Einmal muss ich mit denen noch um die Plätze in den Charts kämpfen (lacht).
Neuauflage auf der Leinwand?
Ich würde Sie gerne mal wieder als Schauspieler in einem Film sehen. Hätten Sie noch einmal Lust dazu – eventuell erneut mit Wayne an Ihrer Seite?
Bitte rufen Sie alle Filmproduzenten an und sagen Sie denen genau das. Ich liebe die Schauspielerei und würde sehr gerne wieder in einem Film mitspielen, vielleicht mal in einem schönen Krimi. Bisher habe ich fünf Filme gedreht. Auch wenn man am Set viel herumstehen und auf seine Szenen warten muss: Es lohnt sich, denn es ist ein Traumberuf.
Vor 20 Jahren haben Sie Ihren Abschied von der Bühne erklärt, wenige Jahre später sind Sie zurückgekehrt. Sind Sie seit diesem Rücktritt vom Rücktritt mit Blick auf die Verkündung von endgültigen Entscheidungen zurückhaltender geworden?
Das hat aber nicht nur etwas mit diesem Thema zu tun. Wir leben leider in einer Zeit, in der man immer damit rechnen muss, dass etwas falsch dargestellt und verbreitet wird. Was dieses Abschiedsthema angeht: Ich warte immer noch auf den Menschen, der zu mir kommt und sagt: "Ich kann dir beweisen, dass du 20-mal aufgehört hast." Ich habe einmal aufgehört. Dass ich ständig aufhöre und wiederkomme, ist ein Gerücht, das sich irgendwie verselbstständigt hat. Es spielt für mich aber keine Rolle. Ich sage jetzt, dass mein aktuelles Album mein letztes ist – und so wird es auch sein.
Sollte der Tag kommen, an dem Sie endgültig von der Bühne abtreten: Haben Sie Angst davor, in ein ähnliches Loch zu fallen wie nach Ihrem damaligen Rücktritt?
Jetzt muss ich ganz vorsichtig sein, wie ich es ausdrücke: 2024 wird meine letzte grosse Hallentournee sein. Denn ich habe noch einen ganz anderen Traum. Ich habe viel Zeit in Las Vegas verbracht und dort jede Menge von anderen grossen Künstlern gelernt. Die Musiker werden dort für eine Halle gebucht, in der sie bis zu drei Monate am Stück spielen. So etwas Ähnliches würde ich sehr gerne in Deutschland machen. Ich könnte mir vorstellen, zwei Wochen lang jeden Abend in derselben Halle aufzutreten und danach in eine andere Stadt weiterzuziehen, um dort dasselbe Programm zu präsentieren. Vielleicht sollten wir einmal intensiv darüber nachdenken, ob so etwas nicht sogar Pflicht werden könnte. Unserem Klima würde es sicher guttun, wenn wir Musiker nicht jeden Tag mit Sack und Pack von Ort zu Ort fahren oder fliegen müssten.
Und aus Sicht der Musiker würde dieses Konzept zudem den Reisestress erheblich reduzieren …
Richtig. Die Stunden auf der Bühne sind für mich nicht anstrengend, sondern es sind die vielen Reisen. Im Rahmen meiner Open-Air-Tournee haben wir zuletzt innerhalb von sechs Wochen 16.000 Kilometer zurückgelegt. Das ist das, was einem schon die Kraft raubt.
Warum tun wir uns in Deutschland mit neuen Konzepten manchmal so schwer?
Ich kann es auch nicht genau sagen, finde es aber schade, dass Deutschland in Sachen Showgeschäft doch sehr festgefahren wirkt. Auch im Sport ist das übrigens so. Es gibt auf dieser Welt so viele spannende Sportarten, doch wir schauen nur Fussball. Ich bin zum Beispiel grosser Rugby-Fan, habe aber in meinen 20 Jahren in Amerika American Football für mich entdeckt. Das Problem ist nur, dass diese Sportart in Deutschland viele nicht verstehen. Wer sich aber einmal die Zeit nimmt und sich damit befasst, wird schnell feststellen, wie aufregend die Spiele sind – ein grosses Happening für alle.
Präsidentschaftswahlen in Amerika
Apropos USA: Im November 2024 steht in Amerika wieder die Präsidentschaftswahl an. Haben Sie Sorge vor einem nach wie vor möglichen Trump-Comeback?
Wir sollten nicht den Fehler machen zu denken, dass es nur an Donald Trump liegt. In Amerika ist im Moment so viel auf den Kopf gestellt. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, wie es weitergehen soll. Aktuell wird dort ein neuer "Speaker of the House" (Sprecher des US-Repräsentantenhauses; Anm d. Red.) gewählt – verbunden mit einem unglaublichen Chaos. Wir im Westen brauchen ein starkes Amerika. Das ist so. Und wir können davor nicht die Augen verschliessen. Im Moment ist Amerika aber schwächer, als es dieses Land jemals war. Das liegt daran, dass nicht vernünftig miteinander kommuniziert wird. So kann man keine Politik machen.
Das gilt nicht nur für die USA, oder?
Nein, es ist ein weltweites Problem. Ich könnte aktuell keine einzige Regierung nennen, die mir ihre Zukunftspläne anschaulich erklären kann. Das Kernproblem aber ist, dass es nur darum geht, wie man wiedergewählt wird. Wir brauchen aber starke, charismatische Menschen in der Politik, die auch mal unpopuläre Entscheidungen treffen. Wenn jemand in der Lage dazu ist, diese Entscheidungen gut zu erklären, bin ich auch davon überzeugt, dass das Volk mitgehen würde.
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