Auch wenn sie als Sängerin der Band Nightwish bekannt wurde: Tarja Turunen kann längst auf eine beeindruckende Solo-Karriere zurückblicken. Mit ihrem aktuellen Album "Best Of: Living The Dream" hat die Queen des Symphonic-Metal vor allem sich selbst, aber auch ihren Fans ein opulentes Geschenk unter den Baum gelegt. Im Interview verrät sie, wie wichtig echte Platten in Zeiten des Streamings sind und wie sich ihr Leben nach ihrem Schlaganfall 2018 geändert hat.
Über Langeweile können Sie sicher nicht klagen: ein Best-Of-Album ist gerade erst erscheinen, Sie sind auf Weihnachtstour und schon bald geht es auch wieder auf die grossen Bühnen in ganz Europa. Ist da Zeit für Besinnlichkeit?
In den letzten Wochen habe ich natürlich wie verrückt geprobt. Ich kam ja erst von einer grossen Rock-Tour und muss etwas Kraft tanken. Nach einiger Zeit hatte ich meine Stärke wieder. Ich habe Weihnachtssongs geprobt für die aktuelle Tour "Christmas Together". Ich habe ja zwei Weihnachtsalben, die Aufnahmen dafür sind während des Sommers entstanden. Da ist es nicht leicht mit der Stimmung, aber die kommt jetzt sicher mit der Zeit.
Ab Anfang Februar touren Sie dann auch schon durch Europa. Wie ist Ihr Eindruck: Ist das wieder Routine? Im Moment scheinen sich Konzert- und Tourabsagen aus ganz unterschiedlichen Gründen zu häufen.
Ich denke, dass die ganze Branche noch ein paar Jahre braucht, um sich komplett zu erholen. Wir Künstlerinnen und Künstler versuchen natürlich, alles nachzuholen. Jeder tourt gerade. Alle Auftritte sind für zwei oder drei Jahre verschoben worden oder ausgefallen. Auch meine Welttournee geht erst im nächsten Jahr weiter.
Aber ich habe keine Angst, ich bin eher sehr aufgeregt. Wir müssen natürlich teilweise neue Leute finden, mit denen wir arbeiten können, denn es sind nicht mehr alle in der Branche, die hier mal gearbeitet haben. Was absolut verständlich ist. Es ist natürlich eine Herausforderung, aber ich muss positiv bleiben. Ich arbeite hart, wir halten uns an den Plan - und ich bin bereit für das, was da auf uns zukommt.
Tarja Turunen: "Ich wollte reinen Tisch machen"
Anfang Dezember erschien ein Best-Of-Album. So eine Kollektion ist ja oft ein Abschluss oder der Anfang von etwas Neuem. Wofür steht das bei Ihnen?
Über ein Best-Of-Album habe ich tatsächlich schon vor Corona nachgedacht. "In the Raw" war das persönlichste Album meiner bisherigen Karriere. Ich hatte damals einige gesundheitliche Probleme und während dieser Zeit - beziehungsweise kurz danach - das Gefühl, jetzt reinen Tisch machen zu wollen. Es war die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt. 15 Jahre Karriere mit einem Best-Of-Album zu feiern, fühlte sich ganz natürlich an. Und dieses Album soll nun der Punkt sein, von dem aus ich wieder neu starten kann. Denn natürlich schreibe ich schon an meinem nächsten Rock-Album.
In 15 Jahren sind so wahnsinnig viele Songs entstanden. Aber auf eine Platte, auch wenn es ein Doppel-Album ist, passt nur eine bestimmte Menge. Wie haben Sie ausgewählt?
Ich war vor allem sehr froh, dass ich die Chance hatte, die Songs selbst aussuchen zu dürfen. Nicht jeder Künstlerin oder jedem Künstler erlaubt das Label das. Und manche wollen das auch gar nicht, weil sie ein Best-Of -Album als nicht so wichtig wie andere Werke sehen.
Aber für mich war es eine grossartige Sache. Das Album zeigt, wie ich mich über die Jahre entwickelt habe. Die Songs auszuwählen ist natürlich in Teilen eine Herausforderung. Auf der ersten CD des Mediabooks sind die Fan-Favoriten. Die Singles, die rockigeren Songs, die auch auf Konzerten immer wieder gewünscht werden. Auf der zweiten CD dann meine Lieblingssongs. Progressiver, symphonischer. So zeigt sich eine grössere Spannweite von mir.
"Wenn man kein Mainstream-Künstler ist, verdient man nicht viel am Streaming"
Das Album ist ein echtes Fanpaket. Wie wichtig ist, Musik nicht nur auf den Streaming-Diensten zu veröffentlichen?
Ja, die ganze Industrie hat sich so radikal verändert. Wenn man kein Mainstream-Künstler ist, verdient man nicht viel am Streaming. Wenn man nicht zu den Top Ten gehört, ist es sehr schwer. Da ist es natürlich wichtig, loyale Fans zu haben, die das Album lieber in der Hand haben wollen. Deswegen arbeite ich daran, ihnen etwas zu bieten.
Es ist sehr zeitintensiv, am Artwork zu arbeiten, aber es macht auch unglaublich Spass. Es wäre schade, auf alles verzichten zu müssen. Ich möchte ein wunderschönes, hochwertiges Produkt herausgeben. Als Musikfan kaufe ich selbst Alben, wann immer es geht. Aber natürlich ist Spotify auch toll, um neue Musik zu entdecken. An jedem Freitag kommt eine Playlist mit neuer Musik von Künstlern, denen ich folge, oder Künstlern, die ähnlich klingen. Es kann ein grossartiges Werkzeug sein.
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"Natürlich habe ich auch eine dunkle Seite in mir"
Sie erwähnten gesundheitliche Probleme: Ende 2018 hatten Sie nach einer Tour einen Schlaganfall. Ist das etwas, was Ihr Leben noch immer beeinflusst?
Über die Zeitspanne eines Jahres ungefähr habe ich jeden Tag daran gedacht. Morgens beim Aufstehen, am Abend, wenn ich ins Bett gegangen. Ich hatte Angst, dass es nochmal passiert, dass es schlimmer sein könnte. Denn ich hatte natürlich grosses Glück. Ich hätte auch heftigere Folgen davontragen können. Zum Glück konnten wir damals schnell reagieren.
Dann habe ich mir Hilfe gesucht, weil ich realisiert habe, dass es nicht gut ist, mit Angst zu leben. Ich bin grundsätzlich eine sehr positive Person - natürlich habe ich auch eine dunkle Seite in mir, aber das ist der Ort, wo meine Kreativität herkommt, eine wunderschöne Dunkelheit - und ich habe angefangen, wieder zu leben. Mit einem Mentor hatte ich Zoom-Sessions, er brachte mich zum Reden, zum Erzählen, zum Weinen. Und er hat mir auch klargemacht, dass ich Dinge in meinem Leben ändern muss. Wenn ich wieder glücklich sein will, muss ich meine Zeit und Energie einteilen.
Wir müssen mehr an uns selbst denken. Und auch, wenn man zum Beispiel in einer Beziehung ist, ist man ein Individuum. Man kann nicht sein eigenes Leben weggeben. Ich habe einige Dinge geändert. Es war nicht einfach, Menschen zu sagen: Hey, das gefällt mir nicht so! Das muss man lernen. Auch die Länge meiner Touren haben sich geändert. Sie sind nicht mehr so lang wie vorher und ich habe mehr Zeit dazwischen, um Kraft zu sammeln. Und ich verbringe mehr Zeit mit meiner Familie. Mental Health hat für mich eine neue Bedeutung gewonnen.
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