Ändert man in der Vokabel "Berlinale" nur einen einzigen Buchstaben, erhält man "Berlin ade". Und das, also "ade", erscheint bemerkenswert passend für die momentane Verfassung des deutschen Kulturbetriebs, der traditionell vornehmlich aus Berlin gesteuert wird – der einstigen kreativen Hauptstadt Europas, die inzwischen zu einem Auffangbecken für TikTok-Literaten und Daily-Soap-Genies verkommen ist.
Bereits während des Covid-Lockdowns liessen es Top-Virologe
"Ade" jedenfalls wird zum Leitmotiv dieser Berlinale. Ob unfreiwillig, gewollt oder einfach nur grob fahrlässig – diese Frage wird Medien, Politik, Gesellschaft, Filmbranche und nicht zuletzt die Kommentarspalten noch eine Weile beschäftigen. Klar bleibt zweifelsfrei: Abschiede stehen überdurchschnittlich viele auf der Tagesordnung während dieser 74. Berlinale, die Sonntag in, wer hätte das gedacht, Berlin zu Ende ging. Vor allem von Moral, Anstand, Geschichtsverständnis und der Hoffnung darauf, der deutsche Kulturbetrieb würde sich langsam wieder ein wenig mehr besinnen, wofür Kultur seit Jahrhunderten eigentlich steht und kämpft: Die Welt ein wenig besser zu machen.
Es ist vorbei, bye, bye Berlinale …
Die Berlinale, das lässt sich bedauernswerterweise nicht charmanter sagen, hat 2024 kommunikativ einen historischen Tiefpunkt erreicht. Während die zumeist vor Selbstanbetung egobesoffenen Protagonisten des offiziellen Berlinale-Programms bereits während des gesamten Festival-Betriebs die grossen Bühnen der Filmfestspiele überraschend einseitig zum Thema Nahostkonflikt bespielt und dabei festivalintern nebulös kritikverschont blieben, kumulierte die israelfeindliche Grundhaltung des Festivals am Finaltag in einer Art Antisemitismus-Feuerball.
Während draussen auf den Strassen von Berlin vorgebliche Pro-Palästina-Demonstrationen ihre Wutmärsche absolvieren und dabei so surreale und faktenresistente Slogans wie "Queers for Palestine" skandieren, präsentiert die pseudo-intellektuelle Kreativelite in den heiligen Festivalhallen am Potsdamer Platz unbehelligt ihren Hang zu geschichtsignorierender Israelfeindlichkeit. "Queers for Palestine" übrigens bildet in einem Reigen von kognitiv fragwürdigen Solidaritäts-Absurditäten sicherlich noch lange nicht die Spitze des Eisbergs, auf jeden Fall aber den Gipfel der realitätsignorierenden Overwokeness.
Bedenkt man nämlich, dass offen queer lebende Zeitgenossen hier in Deutschland jederzeit unter dem Schutz sämtlicher Institutionen und der Meinungsfreiheit "Free, free Palestine" singen und dabei Regenbogenflaggen schwenken können, während sie in einem Gaza unter Hamas-Führung innerhalb von wenigen Minuten als Leiche enden würden, die nackt von einem Jeep tagelang als abschreckendes Beispiel durch die Strassen geschliffen wird, kommt einem der Claim "Queers for Palestine" etwa so stringent durchdacht vor wie "Kälber für Tönnies".
Free Palestine from Hamas
Drinnen, im Epizentrum der womöglich letzten Berlinale, rollen derweil historienallergische Filmschaffende mit Sätzen wie "Israel verübt einen Genozid" oder "Israel ist ein Apartheidstaat" dem Antisemitismus den Roten Teppich aus. Artig beklatscht vom Publikum, aus dem keinerlei Gegenrede, Kritik oder Empörung widerhallt, sondern lediglich Zustimmung in allen Facetten. Von schweigend nickender Zustimmung bis zu euphorischen Standing Ovations. Was am 7. Oktober passiert ist? Scheint nicht existent. Warum es im Gazastreifen zum Krieg kam? Spielt keine Rolle. Dass Israel auch für die palästinensischen Zivilisten kämpft, die keinerlei reelle Chance auf eine friedliche Zukunft haben, solange sie von der Hamas geführt werden? Egal. Auch verschiedenste signifikante Tatsachen aus den letzten Wochen werden gekonnt propagandakonform ignoriert.
Dass die Hamas Gaza statt in ein neues Singapur lieber in einen infrastrukturellen und bildungsseitigen Friedhof verwandelt hat? Nebensache. Dass die Hamas Hilfsgüter für palästinensische Zivilisten unterschlägt? Ach, egal. Dass die Hamas die grossen NGOs wie UNRWA oder Amnesty International unterwandert und mit zahlreichen Terror-Gehilfen infiltriert hat? Unwichtig. Dass die Hamas milliardenschwere Hilfszahlungen aus dem Westen nicht für ihr Volk, sondern zur persönlichen Bereicherung sowie den Bau von Terror-Tunneln und dem breiten Ankauf von Waffen und Raketen veruntreut? Nicht der Rede wert.
Dass die Hamas durch kriegsverbrecherische Massaker an Zivilisten und Kindern einen Krieg provoziert hat und sich seither feige zwischen palästinensischen Zivilisten versteckt? Ach komm, was solls? Dass die Hamas offiziell zugibt, Terroranschläge auf Israel so oft es möglich wird zu wiederholen und dabei eben auch das eigene Volk als Rückschlags-Kollateralschaden zu opfern? Nebensächlich.
Dass sämtliche aktuell in Gefahr schwebenden und ein Grossteil der schon tragisch verstorbenen Palästinenser in Sicherheit wären, wenn die arabischen Brüderstaaten sie als temporäre Flüchtlinge aufnehmen würden? Bedeutungslos. Dass Ägypten, das Land mit einer direkten Grenze zu Gaza, direkt am aktuell besonders im Fokus stehenden Rafah, seine Grenze nicht nur nicht öffnet, sondern im Gegenteil mit viel Aufwand noch unüberwindbarer macht? Irrelevant. Dass die Hamas weiterhin viele israelische Zivilisten als Geiseln hält, darunter ein Baby? Unbeträchtlich.
Und so ziehen sie also ihre Kreise durch das Herz der Berlinale und verkünden ungehindert ihre Propaganda-Agenda. Medien, Öffentlichkeit und Politik sind zu Recht entsetzt, stehen allerdings zunächst recht regungslos daneben. Erst nach einigen Minuten rappelt man sich auf, realisiert, was gerade geschehen ist und eröffnet umgehend die längst überfällige Diskussion. Rufe nach Aufklärung werden laut, übertönt nur von Rufen nach Beendigung aller staatlichen Zuwendungen und Förderungen für die Berlinale. Das wird eine echte Bewährungsprobe für Berlins neue politische Führungsriege um den regierenden Bürgermeister Kai "Lovebird" Wegener und seinen Kultursenator Joe Chialo.
Sponsoren kehren Berlinale den Rücken
Bedenkt man, weswegen 2018 der berühmte Musikpreis "Echo" abgeschafft wurde – und das in einer Zeit, als nicht mal Dieter Nuhr schon den Begriff Cancel Culture kannte – darf man durchaus nicht ausschliessen, dass die Berlinale ihren Fortbestand für immer verspielt hat. Neben den vielerorts geforderten empfindlichen Streichungen aller Fördermittel aus staatlicher und kommunaler Hand ist nach einem derartig unmoderierten Antisemitismus-Tsunami auf der Berlinale wohl damit zu rechnen, dass auch die für die Finanzierung elementar wichtigen Sponsoren ihre zukünftigen Engagements sorgfältig überdenken werden.
Es ist wohl nicht damit zu rechnen, dass die Berlinale-Hauptsponsoren Uber und Armani Beauty ihr finanzielles und kulturelles Commitment nach diesem antisemitischen Offenbarungseid aufrechterhalten werden. Zumal Travis Kalanick, Gründer und Ex-CEO von Uber, sowie die Haupteigentümer des Armani Beauty Mutterkonzerns L'Oréal, die Familie Bettencourt, zur jüdischen Gemeinschaft gehören. Genauso wie Michael Dell, Gründer, Chairman und CEO von Co-Sponsor Dell.
Um den Schaden so gross wie möglich zu halten, die eigene politische Stossrichtung und die totale Akzeptanz von Antisemitismus zu unterstreichen und vor allem, damit nicht versehentlich der Verdacht aufkommen könnte, die offizielle Berlinale-Leitung wäre vielleicht von den vollkommen kontextlos beschämend einseitig vorgetragenen Propaganda-Lügen selbst überrascht worden und hätte nur nicht schnell genug eingreifen oder wenigstens im Laufe des Abends eine halbwegs vernünftige Einordnung nachreichen können, veröffentlicht der offizielle Instagram-Account "Berlinale Panorama" parallel zu den Entlgeisungen auf der Bühne ein Posting, auf dem "From the River to the Sea" gefordert wird – selbstverständlich nebst offiziellem Berlinale-Logo, für dessen Nutzung alle Sponsoren dieses traurigen Terror-Verharmlosungs-Festivals ordentlich in die Tasche greifen mussten.
Bevor ich jetzt noch erwähne, dass es während der Berlinale wenigstens einen skandal- und antisemitismusfreien Höhepunkt gab – nämlich die vom extra aus Bali angereisten Willem Tell organisierte "Place to B" Party – möchte ich der Vollständigkeit halber noch ergänzen, dass sich die Berlinale inzwischen zumindest zu den hochproblematischen und nebenbei gesagt auch strafbaren Inhalten aus ihren Instagram-Postings geäussert hat: Die Inhalte würden nicht die Sicht der Berlinale zum Ausdruck bringen, man habe alles umgehend gelöscht und wisse nicht, wer das Posting veröffentlicht hätte. Die Legende eines Hacker-Angriffs also ist es, die den Karren nun wenigstens noch ein bisschen aus dem Dreck ziehen soll. Ein Statement, das vielerorts lediglich als halbherzige Ausrede gewertet wird.
Aktuell wird in der Berlinale-Chefetage wohl noch beratschlagt, was zu tun ist, wenn der Bruder von Hubert Aiwanger keine Zeit haben sollte, in den kommenden Tagen irgendwann spontan die Verantwortung für die antisemitischen Ausfälle zu übernehmen.
Als Fazit bleibt: Die Berlinale ist wie Borussia Dortmund gegen die TSG Hoffenheim. Nach hektischem Start bis zur Halbzeit ganz ordentlich gefangen, dann aber aus unerfindlichen und nicht nachvollziehbaren Gründen der Totalabsturz. Wie dazu wohl das Nachspiel aussieht? Ich werde berichten! Schöne Woche.
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