Die Sehnsucht der Deutschen nach dem amerikanischen Traum war immer schon gross. Weniger nach dem politischen Amerika, mit seinem komplett veralteten Wahlsystem und Donald Trump. Auch nicht nach der morbiden Häufung von Kapitalverbrechen, die Amerika zum Land der unbegrenzten Möglichkeiten machen – vor allem für Serienkiller! Nein, es ist die Sehnsucht nach popkultureller Bedeutung. Generationsübergreifend.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Marie von den Benken dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Zwar schwärmten meine Eltern für Simon & Garfunkel und Billy Joel, während ich mich für Taylor Swift und meine Schwester für Eminem begeisterten und meine Oma verzückt zur Stimme von Frank Sinatra an alte, blaue Augen dachte, einte uns stets eine Gemeinsamkeit: Der Traum, unsere Idole mal im ausverkauften Madison Square Garden live zu erleben.

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Das verband uns, auch wenn meine Oma Songs von Eminem vornehmlich für musikalisch unterlegte Durchsagen in der U-Bahn hielt und mein Vater Taylor Swift für ein verwöhntes Mädchen, das sich mit einer Gitarre und zu viel Tagesfreizeit an ihrer offenbar endlosen Liste von Ex-Freunden abarbeiten wollte.

Genau diese Sehnsucht erwachte hier aber nicht erst mit meiner Familie, sondern bereits Ende der 40er Jahre wieder. Deutschland hatte die Welt gerade kurz vor den Weltkriegs-Abgrund geführt, konnte aber dank der Alliierten spät, aber gerade noch rechtzeitig gestoppt werden und durfte sich anschliessend im Schatten des neu gewonnenen grossen Bruders Amerika direkt zum Wirtschaftswunder aufschwingen.

Allerdings: Als die Jungs im Nachkriegs-Deutschland noch Marika Rökk oder Hildegart Knef anschmachteten und die Mädchen womöglich Heinz Rühmann, hatten die Amerikaner bereits Liz Taylor, Cary Grant, Judy Garland, Clark Gable, Ava Gardner, Marlon Brando, Katharine Hepburn, Burt Lancaster, Dean Martin oder Humphrey Bogart. Das ist ein bisschen wie im Adlon auf ein Interview mit U2 und Coldplay zu warten und dann kommen Michael Wendler und die Flippers.

And the Oscar goes to …

Auch die Award-Industrie unterscheidet sich im Glamour-Faktor bereits damals in entscheidenden Nuancen. Als in Deutschland 1949 erstmals eine damals noch aus Keramik bestehende Reh-Figur namens Bambi verliehen wird, hat Amerika bereits den Tony Award, die Golden Globes und natürlich die Academy Awards – im Volksmund vor allem als Oscars bekannt. Hollywood bringt die grosse, weite Welt in die Lichtspielhäuser rund um den Globus und die US-Handelskette Sears verkauft erstmals TV-Geräte sogar über ihren Bestell-Katalog.

Zu der Zeit hat Deutschland nicht mal einen eigenen TV-Sender. Während man hier Heidi Kabel im Ohnsorg Theater zujubelt, floriert in New York der Broadway zum Epizentrum der Live-Unterhaltung. Musicals sind die Blockbuster des Theaters. Die Entertainment-Flaniermeile am Times Square zwischen 41. und 53. Strasse sowie Sixth und Ninth Avenue wird zum Hollywood für Darsteller, die nicht nur sehr gute Schauspieler sind, sondern auch noch singen und tanzen können, dafür aber leider nicht gut genug aussehen, um in Los Angeles Karriere zu machen. Also, sagt man. Ist natürlich Unsinn. Viele möchten einfach lieber in Manhattan leben als in Bel Air und auch mal eine andere Jahreszeit als "zu heiss" erleben.

Die Erfolgsgeschichte des Bambi beginnt trotzdem in genau diesen Jahren. Der Zeit, in der sich das Wirtschaftswunder ankündigt, der Ku'damm zu altem Glanz emporsteigt und Deutschland sachte wieder eine Unterhaltungs-Identität entwickelt. Die Nähe zum Heimat- und Folklorefilm bleibt dem Bambi in den Folgejahren erhalten. Um das Innovations-Level und die internationale Bedeutung zu steigern, etabliert sich nach der Übernahme durch den Burda Verlag in jüngerer Vergangenheit das Konzept, teure Hollywood-Stars einzukaufen, um Preisverleihung und Roten Teppich mit Blockbuster-Glanz und Oscar-Flair zu schmücken.

Statt volkstümlicher Helden und Heldinnen aus Oberbayern stehen plötzlich Tom Hanks, Penelope Cruz, Hugh Jackman, Tom Cruise, Meg Ryan, Keanu Reeves, Gwyneth Paltrow, Uma Thurman oder Sarah Jessica Parker auf der Bambi-Bühne. In der Panik, sich auch der jüngeren Generation als die deutschen MTV Awards anbiedern zu müssen, werden regelmässig verblüffende Entscheidungen hinsichtlich der Preisträger gefällt. Als der damals vor allem mit frauenfeindlichen Texten zu überregionaler Bekanntheit sprechsingende Bushido 2011 den eigens geschaffenen "Integrations-Bambi" erhält, ist die Empörung gross.

Der Plan, die Bambi-Verleihung zukunftssicher in der jungen Generation zu transferieren, ist trotz erheblicher Bemühungen bisher gescheitert. Noch heute beispielsweise sind die Rekord-Preisträger Heinz Rühmann, Peter Alexander, O. W. Fischer, Johannes Heesters, Sophia Loren und Maria Schell. Nicht unbedingt Ikonen der Generation Z. Wobei, wenn man tagesaktuell genauer hinschaut, scheint sich die Generation der Zukunft momentan via TikTok auf Osama Bin Laden als neues Role Model zu einigen – und da möchte man doch wirklich sagen: Lieber für den Rest meines Lebens jeden Tag einen Film mit Heinz Rühmann als nur zwei Minuten den "Letter to the American People".

Forever Young

Diese Woche stand er dann wieder an, der Bambi. 75 Jahre immerhin alt, dafür noch gut in Schuss, wenn auch nicht zwangsläufig als taufrisch zu bezeichnen. Bushido, inzwischen nach Episoden um häusliche Gewalt, Clan-Kriminalität, zahlreiche Gerichtsverfahren und Flucht nach Dubai nicht mehr das allererste Pferd, auf das die Jungendbeauftragten bei Burda Media primär setzen, spielt keine übergeordnete Rolle mehr. Während die Oscar-Verleihung in den vergangenen Jahren von Stars wie Jimmy Kimmel, Chris Rock, Alec Baldwin, Billy Crystal, Steve Martin, Whoopi Goldberg, David Letterman oder Ellen DeGeneres moderiert wird, geben sich bei Bambi vornehmlich Kai Pflaume, Florian Silbereisen oder Barbara Schöneberger die Präsentations-Klinke in die Hand.

Im Prinzip folgerichtig in dieser Ahnengalerie erledigen 2023 die beiden mit Abstand grössten Stars der Bundesrepublik den Job: Nazan Eckes und Giovanni Zarrella. Eckes ist bekannt für ihre preisgekrönten Lyrik-Explosionen als Moderatorin von "Explosiv – das Magazin", Giovanni Zarrella erlangte Weltruhm durch seinen Bruder Stefano Zarrella, Deutschlands bekanntestem Social-Media-Koch und Ex-Verlobter von GNTM-Starlet Romina Palm. Darüber hinaus ist Giovanni mit Jana-Ina Zarrella verheiratet, und die hat schon mal "Love Island" moderiert. Wenigstens singt Helene Fischer nicht.

Unter anderem, weil das Line-up auf der Bambi-Bühne 2023 von Otto Waalkes, Peter Maffay, Thomas Gottschalk und Senta Berger angeführt wird und die Preisverleihung daher mit blossem Auge im Prinzip von der Gästeliste des Bambi von vor 30 Jahren nicht zu unterscheiden ist, wird der Goldreh-Jahrgang 2023 nicht als wegweisender Meilenstein in die Zukunft der Bambi-Historie eingehen. Zwar dürfen im Laufe des Abends irgendwann auch einige Alibi-Influencer wie die Elevator Boys hinten rechts über die Bühne laufen – am Ende kommen die rührendsten Worte aber doch wieder von Veronica Ferres, die man ebenfalls eher der Generation Frank Elstner zuordnen muss als der Generation Billie Eilish. Und selbst Berufs-Generation-Xer Florian David Fitz geht knallhart auf die 50 zu.

Zumindest auf dem Roten Teppich, dieses Jahr mit der stattlichen Länge von 300 Metern eher eine Art Iron Man für C-Promis, ist die Promi-Dichte aus Geburtenjahrgängen nach 1970 deutlich enger als auf der Bühne. Die meisten Fotografen scharen sich letztendlich aber doch wieder um Uschi Glas anstatt um Katja Krasavice. Der Grund, warum der Bambi aktuell noch nicht zukunftssicher in die Welt der 18-Jährigen überführt werden konnte, ist recht einfach. Neben den eher betagten, klassischen Prominenten mit "Bunte"-Hintergrund, dem Königsprodukt des Veranstalters Burda, das nach wie vor in erster Linie in Wartezimmern für Stützstrumpf-Privatkliniken ausliegt, fehlen kreative Content Creators.

Zwar sind inzwischen einige jüngere sogenannte Influencer ins Portfolio der Bambi-Gästeliste durchgesickert, bei der Auswahl wird jedoch offenbar ausschliesslich auf Reichweite und weniger auf Content-Qualität gesetzt. Um die Relevanz eines Medienpreises ins Jahr 2040 zu retten, reicht es nicht, als schmückendes Jungspund-Beiwerk Nina Chuba einzuladen. Auch wenn Nina Chuba grandios ist, sollten auch Influencer beigemischt werden, deren Content nicht nur 14-Jährige begeistert, sondern vor allem von seriösen Multiplikatoren wahrgenommen wird: Journalisten, Chefredakteure, andere Promis, Politiker. Nur diese Symbiose kann dafür sorgen, dass Bambi in 20 Jahren noch eine Rolle spielt. Also, sofern das überhaupt der Plan von Burda ist.

Skandal: Warum fehlte Marie von den Benken auf dem Bambi?

Ich persönlich konnte diesem Dilemma dieses Jahr keine Abhilfe schaffen, da meine Einladung zum Bambi offenbar in der Post verloren gegangen ist. Beschwerden dazu können Sie jederzeit in unflätigen Worten an diese Mailadresse übermitteln: presse@bambi.de. Aber mal Spass beiseite: Der Bambi ist eine sehr bekannte Marke. Das allein reicht zwar nicht aus, um Relevanz für die kommenden 20 Jahre zu garantieren, ist aber ein starkes Fundament für das Vorhaben, auch dann noch in aller Munde zu sein, wenn Heidi Klum erstmals Grossmutter wird. Grüsse an Leni an dieser Stelle.

Dafür müsste man aber bei Gelegenheit damit aufhören, weiterhin primär an eine Generation zu kommunizieren, die die einschlägigen #MeToo-Teilzeiteskapaden von Thomas Gottschalk für Perlen der TV-Geschichte hält. Der Jahrhundertmoderator hat während seiner "Wetten, dass..?"-Hochphase zur Primetime im ZDF mehr nackte Promidamenbeine in der Hand als die FDP-Wähler. Ich freue mich daher sehr auf den Bambi 2024. Mal sehen, wer dann den Roten Teppich beherrscht. Christian Lindner vielleicht. Das wird legendär.

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