Berlin zeigt sich unversöhnlich dieser Tage. Kaum spucken U-Bahn-Schächte und Frappuccino-Ketten wieder tonnenweise hoffnungsvolle Jungmodels und ins kognitive Woke-Delirium durchgenagellackte Modeblogger auf die pulsierenden Boulevards der Hauptstadt, weiss der traditionell schlechtgelaunte Urberliner: Es ist wieder Fashion Week.
War dit nich jrade noch im Januar jewesen? Kaum hat man zu Jahresbeginn die hochplateaubeschuhten Glitzerfummel-Träger mühevoll aus Gedanken und Stadtbild rauskomplimentiert, ist Berlinale, ist Art Week, ist Ostern und dann ist auch schon wieder Fashion Week. Irgendwas ist ja immer - und diesen Sommer sogar mit Bonus-Stadt-Verstopfer: die EM. Direkt im Anschluss an die trink- und grölfesten Schlachtenbummler, die uns die Fussball-Europameisterschaft in die Hauptstadt gespült hat, rückt ansatzlos die nächste Generation GNTM-Models und Soap-Schauspieler nach, um die Front Rows der Fashion Shows zu bevölkern, die uns der Modegott diese Saison im Spreehafen der Designkapitäne angespült hat.
Passend zur mauen Gemütslage der Stammberliner, die sich mit dem Eintreffen des Fashion-Zirkus rund um die Museumsinsel einstellt, beginnt der ansonsten oft sommerlich anmutende Juli nach einer stabil im Dreissigerbereich verbleibenden Sommerhoffnung plötzlich mit 19 Grad und Regen. Danke an dieser Stelle also aus der Fashion-Hauptstadt an Frau Holle und
Rain over Berlin
So regnet es sich also ein an diesem Fashion-Week-Dienstag, zwischen Hackescher Markt und Tiergarten, zwischen Bebelplatz und Gendarmenmarkt, zwischen Grill Royal und KaDeWe. Plötzlich ist der Regenschirm das Fashion-Accessoire der Saison. Dabei waren das im vergangenen Sommer doch noch Pastellfarben.
Zum Glück gibt es aber auch gute Nachrichten. Auf Regen folgt Sonnenschein, so will es das Wettergesetz. Und das vor allem im übertragenen Sinne. Während sich also in München die EM-Teams von Rumänien und Holland im Achtelfinale duellieren, duellieren sich an der Spree die Fashion-Kollektionen von Haderlump und Ewa Herzog, die beide parallel um 17 Uhr starten. Die eine auf dem Flughafen Tempelhof, die andere in der König Galerie. Da weiss der handelsübliche Fashionblogger gar nicht, was zu tun ist. Das ist ein bisschen wie am Freitag, wenn Deutschland im Viertelfinale auf Spanien trifft. Da kann man auch nicht für Deutschland und für Spanien sein. Nicht mal, wenn man jedes Jahr drei Mal nach Mallorca fliegt und sogar schon "Wo geht es zum Strand?" auf Spanisch fragen kann.
Die Entscheidung ist schwer. Niemand kann im Vorfeld seriös vorhersehen, wo sich mehr Streetstyle-Fotografen zeigen werden, denen man mit exaltierten Outfits und neongefärbten Haaren suggerieren kann, man wäre ein TikTok-Followermillonär, den halt nur im so genannten Real Life keiner kennt. Ein Insider-Tipp, der in Berlin nach wie vor zieht. Die auf den Strassen vor den Showlocations rumlungernden Agenturfotografen gehören oftmals einer Generation an, die selbst mit Facebook noch zu neumodisch überfordert ist. Die kaufen dir sofort ab, dass du 50 Millionen Follower hast, selbst wenn du nur acht hast - und drei davon sind deine Eltern und deine Schwester.
Promiauflauf in den Kolonnaden
Wer richtiger Promi ist, hat es da einfacher. Der hat um 17 Uhr nämlich weder für Haderlump noch für Herzog Zeit. Um 17 Uhr sitzt er nämlich bereits im Shuttle ins entfernte Potsdam, wo der Fashion-Week-Gigant Marc Cain diesen Sommer an der Kolonnade mit Triumphtor am Neuen Palais sein Défilé abhält. Und das lässt sich niemand entgehen, der in den Genuss einer der raren und begehrten Einladungen gekommen ist.
Womit wir direkt bei der wichtigsten Entwarnung der Saison wären: Die Gerüchte stimmen nicht. Nachdem sich im Januar auf der After-Show-Party plötzlich die Gerüchte überschlugen, wir hätten womöglich gerade die letzte Marc-Cain-Show gesehen und der Modeunternehmer aus der Fashionmetropole Bodelshausen würde nicht mehr nach Berlin zurückkehren. Nun, was soll ich sagen: Marc Cain ist zurück und lässt sich auch von 50 Zentimetern Regen pro Minute nicht aus dem Konzept bringen.
Vor dem imposanten Kolonnaden-Bogen in Potsdam trudeln mit mir zusammen erste Promis und andere wichtige Rädelsführer der Branche ein. Plötzlich flaniere ich neben Philipp Welte die Stufen zum Roten Teppich hoch. Welte ist Vorstand bei Hubert Burda Media und somit quasi die Anna Wintour der Bundesrepublik. Mit Szene-Titeln wie "Freizeit Revue" und "SuperIllu" hat Burda das Fashion-Gen an die Kioske getragen. Nicht sehr überraschend also, dass Welte heute persönlich der Geburt der neuen "Pure Radiance"-Kollektion beiwohnen möchte. Mit weit offenem Hemd, Karl-Lagerfeld-Gedächtnis-Pomadenfrisur und stetig am Handy irgendwen anschreiend, wirkt er erfrischend bodenständig. Lediglich sein Auftritt mit eigener Limousine und eigenem Chauffeur, der ihn beinahe bis zu seinem Platz in der ersten Reihe fährt, lässt ihn etwas wie den Bundespräsidenten wirken. Apropos: Wo war eigentlich Frank-Walter Steinmeier, der Yves Saint Laurent der Politik?
Pomade in Germany
Pomade ist übrigens ein Verschönerungsmittel aus verschiedenen Fetten, das vor allem in der Haar- und Lederpflege verwendet wird. Im Falle von Welte vornehmlich zur Haarpflege. Pomade bitte nicht verwechseln mit pomadig, Welte spielt ja nicht für Italien bei der EM. Kaum kann ich mich von ihm losreissen, steht auch schon der zweitschönste Mann Deutschlands nach Philipp Welte vor mir:
Weil Düren die Öffentlichkeit eigentlich meidet und den grossen Promizirkus um sich weitestgehend befremdlich findet, hat er sich für den medienwirksam zielgenau hier bei Marc Cain inszenierten ersten gemeinsamen Auftritt als Paar einen Sommeranzug in dezenter Jagdgrün-Camouflage-Optik rausgelegt. Lediglich das Memo, dass man Businessschuhe nur dann ohne Socken trägt, wenn man Tennislehrer auf Ibiza ist, ist wohl in Dürens Spamfilter gelandet. Der Auftritt der beiden Neo-Turteltäubchen verursacht Herzstillstand bei den Klatschblättchen-Fotografen und Entrüstung bei Teilen des Publikums. Plötzlich zischt es aus allen Ecken, was Düren für ein unangenehmer Mensch sei. Offenbar hat jeder, der schon mal namentlich in der "Bunten" erwähnt wurde, direkten Kontakt zu jemandem, der jemanden kennt, der jemanden kennt, der ganz schlechte Erfahrungen mit Christian Düren gemacht hat.
Nur ein Thema polarisiert am Abend mehr. Mehrfach werde ich gefragt, ob Marc-Cain-Connaisseur Düren wohl ein stattliches Honorar bekommen würde, damit er seine Liaison mit der Mutter von zwei der ungefähr 23 Kinder von Oliver Pocher ausgerechnet vor dieser Kulisse dokumentiert. Keine Ahnung, sage ich, aber wenn ich Christian Düren auf meinem Event den Roten Teppich ausrollen soll, müsste man im Gegenteil mir etwas bezahlen. Dennoch natürlich ein Reichweiten-Geniestreich, Amira Düren und Christian Pocher in Sanssouci auflaufen zu lassen, um das Blitzlichtgewitter auf Marc Cain noch zu vergrössern. Die ersten offiziellen gemeinsamen Bilder - da frohlockt man bei "Promiflash". Vor allem, weil die letzten gemeinsamen Bilder aus einem heimlichen Urlaub in Kapstadt vor einigen Wochen nicht so grandios angekommen sind.
Ob sich das Düren-Engagement für Marc Cain am Ende zu einem Clickbait-Wunder entwickelt, scheint jedoch nach erster Kurzanalyse fraglich. Die "Bild" jedenfalls, die, noch während die After-Show-Party läuft, das Red-Carpet-Foto von Amira Pocher und Christian Düren auf die Startseite hebt, hat alle Hinweise aus dem Schnappschuss rausretuschiert, die auf Marc Cain schliessen lassen. Statt der aufwändig marccainisierten Pressewand findet sich im Hintergrund auf der nach wie vor grössten Boulevardzeitung des Landes lediglich eine per Photoshop markenbereinigte lila Fototapete.
Hollywood in Potsdam
Die weitestgehend ausschliesslich aus Promis (und mir) bestehende Front Row der Marc-Cain-Show wirkt beruhigend seriös. Während der Rest der Fashion Week Berlin mehr und mehr zu einem Auffangbecken für ehemalige "Germany's Next Topmodel"-Kandidatinnen wird, verhält sich bei Marc Cain die GNTM-Dichte umgekehrt proportional zum A-Promi-Auflauf. Hier verderben viele Köche volksmundanekdotisch zwar den Brei, die Realität sieht aber anders aus. Bei Marc Cain sitzt nur ein paar Stühle links neben mir beispielsweise Kelly Rutherford. Die US-Schauspielerin spielte die Mutter von Serena van der Woodsen in "Gossip Girl". Ich sitze also quasi neben der Mama von Blake Lively. Als "Gossip Girl"-suchtgefährdete Retro-Bingerin bin ich da natürlich Fangirl.
Direkt neben Serenas Mama sitzt eine junge, blonde Schauspielerin, die ich nicht sofort erkenne. Eine ziemlich bekannte Sängerin, der ich versprochen habe, sie nicht namentlich zu nennen, weil sie ihren eigenen Satz etwas gemein findet, erklärt mir, sie kenne sie auch nicht, aber wenn ich "die blonde Zicke von Bridgerton" googeln würde, würde ich sie umgehend finden. Und tatsächlich, es funktioniert! Die " blonde Zicke von Bridgerton" ist laut Google-Ergebnis Jessica Madsen, die in "Bridgerton" die Cressida Copwer spielt. Ein kurzer Foto-Abgleich zeigt: Sie ist es. Eine sehr sympathische, hübsche Frau. Wäre sie mit Oliver Pocher gekommen, hätte es Szenenapplaus im Klatschblätterwald gegeben. Aber man kann ja nicht alles haben.
Vor Showstart huscht noch schnell der Sohn von Supermodel Nico Potur an mir vorbei. Aus dem BVB-Trikot, das ich ihm zum siebten Geburtstag schenken wollte, wäre er inzwischen ohnehin rausgewachsen, aber in seinem bunten Zweiteiler sieht Nico Junior auch so aus wie ein junger Gott. Vor lauter Aufregung wird Nico einige Minuten später beim Final Walk einen Schuh auf dem Runway verlieren - aber egal, denn niemand läuft halbbarfuss so filigran wie sie.
Fashion und Fussball
Unentschuldigt fehlen die Marc-Cain-Inventarstars Giovanni Zarrella und Bruce Darnell. Vielleicht haben sie inzwischen empört herausgefunden, dass Marc Cain gar keine Kollektionen für Männer kreiert. Andererseits: Auch die Ikonen Frauke und Nele Ludowig scheinen verhindert. Dafür ist Gizem Emre da, für die offenbar der Song "Schön von hinten" komponiert wurde. Minutenlang starre ich verliebt auf ihren Po-Bereich. Woran es genau lag, dass mich ihre Rückansicht so sehr faszinierte, kann ich hier aus jugendschutzrechtlichen Gründen nicht konkretisieren. Ihre Schauspielkollegin Jessica Schwarz neben ihr trägt ein gelbes Outfit von Marc Cain. Vermutlich eine Hommage an den BVB. Schwarz trägt Gelb, Sie verstehen?
Da Marc Cain keine Männerkleidung anbietet, laufen die Herren der sogenannten Schöpfung teilweise recht skurril auf. Ich entdecke sogar ein recht auffällig unechtes Balmain-Shirt. Aus Protest, dass man als Mann nicht von Marc Cain ausgestattet werden kann, ein im Sommerurlaub am Strand von einem Handtuch gekauftes Designer-Replikat zu tragen, darauf muss man auch erstmal kommen. Das ist, wie wenn man sich im Schalke-Trikot auf die Südtribüne stellt und hofft, dass diese Garderobenwahl unkommentiert bleibt. Zum Glück ist Fashion keine Fankurve und niemand interessiert sich weiter für das Fake-Balmain-Y-Chromosom.
Ansonsten verläuft der Abend wie erwartet. Marc Cain präsentiert eine farbenfrohe, abwechslungsreiche und gleichsam tragbare wie nicht langweilige neue Sommerkollektion, ich treffe viele alte Bekannte und es fühlt sich wieder an wie ein Klassentreffen. 10 von 10 Punkten, gerne wieder.
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