Eine besonders lehrreiche Woche liegt hinter uns. Und Bildung ist wichtig, das lassen nicht nur jüngste Wahlergebnisse in den neuen Bundesländern oder terrorverherrlichende Sprechchöre auf angeblichen Friedensdemos in Berlin eindeutig erahnen. Nein, auch die jüngste PISA-Studie gibt für das ehemalige Land der Dichter und Denker nicht zwangsläufig uneingeschränkte Hoffnung auf bessere Zeiten.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Marie von den Benken dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Im PISA-Ranking liegt Deutschland nämlich ungefähr so souverän in der Spitzengruppe wie Schalke 04 im Meisterrennen. Den höchsten Bildungsstandard haben aktuell Länder wie Singapur, Japan, Korea oder die Schweiz. Aber auch Estland, Kanada, die Niederlande, Irland, Belgien, Polen, Litauen, Slowenien, England oder Dänemark liegen teilweise deutlicher vor Deutschland als der IQ von Dr. Christian Drosten vor dem eines durchschnittlichen Querdenkers (Median: Michael Wendler).

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Immerhin liegen wir turboheimatverbundenen Deutschen, die mittlerweile zur Erhaltung im Schatten der Zwangsgender-Truppen um Robert Habeck des anscheinend unwoke gewordenen Patriotismus sogar einen eigenen Stolzmonat ausgerufen haben, im Länderranking noch vor Brunei, der Mongolei, Kasachstan, Moldau, Chile, Jordanien, Spanien, Frankreich und Italien. Was wir diese Woche über die für PISA relevanten Themenbereiche Mathematik, Lesekompetenz und Naturwissenschaften hinaus aus der Kuschelkategorie Sozialwissenschaften lernen konnten, bezieht sich in erster Linie auf ein schon heute legendäres Interview mit Ex-TV-Ikone Thomas Gottschalk, dem letzten verbliebenen Dichter und Denker unserer Nation.

Um zu manifestieren, dass er einfach nirgendwo mehr sagen darf, was er sagen möchte, tingelt er seit Wochen auf Promotour für sein neues Buch durch sämtliche verfügbare Medien und sagt, was er nicht mehr sagen darf. Diese Woche stolperte er vor seinem Showdown mit Micky Beisenherz im "Kölner Treff" noch schnell beim "Wirtschaft"-Ressort des Hamburger Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" vorbei, der als ein Hort des Edeljournalismus gilt. Oder, naja, galt. Dem verbliebenen Haufen wackerer Investigativ-Journalisten, die der ehemaligen "Sagen, was ist"-Enklave im deutschen Journalismus-Dickicht nach der Claas-Relotius-Episode eben noch so geblieben ist. Jedenfalls stand er Rede und leider auch Antwort - und das ging aus PR-Sicht weitestgehend vollständig in die so genannte Hose.

Thomas Gottschalk ist unschuldig!

In besagtem Interview nämlich geht Gottschalk in die berühmten Vollen und müht sich redlich, seine verbliebene Restreputation nach einer annähernd sagenumwobenen TV-Karriere im Spätherbst seiner Schaffensphase doch noch gegen ein paar pseudo-kontrarevolutionäre "früher war alles besser, also vor dieser Cancel Culture"-Bonmots einzutauschen. Vielleicht gefällt er sich als Galionsfigur einer zu stark nach rechts tendierenden Nationalisten-Bubble, für die Gendern eine grössere Gefahr als der Klimawandel darstellt. Vielleicht gehen ihm einfach die Zoten aus. Vielleicht auch die Ideen. Vielleicht braucht er die Öffentlichkeit. Oder er wird, das kennt man in fast jeder Familie, auf die alten Tage dann halt doch irgendwie etwas, naja, komisch. Onkel Thommy redet mal wieder von früher, als man Frauen noch berufsbedingt überall anfassen durfte, ohne dass Berufsnörgler wie Micky Beisenherz sich live im Fernsehen an seinen strammen Machowaden festbeissen, nur weil er das Büsserkostüm verweigert.

Gut, Thomas Gottschalk ist jetzt keine Gefahr für die Allgemeinheit, nur weil er im TV und in Podcasts und im Radio und im "Spiegel" fortlaufend sagt, was man gar nicht mehr sagen darf. Er hat auch keine Historie verschwiegen wie beispielsweise Horst Tappert, die zweite ZDF-Ikone neben Gottschalk. Der verkörperte zwar jahrzehntelang den Top-Ermittler "Derrick" (quasi das "Wetten, dass..?" der Krimiserien), hatte über denselben Zeitraum allerdings dummerweise vergessen, während des Zweiten Weltkriegs aktives Mitglied der Waffen-SS gewesen und unter anderem in der SS-Panzergrenadier-Division Totenkopf in der Sowjetunion eingesetzt worden zu sein.

Bei Gottschalk geht es nicht um eine Nazi-Vergangenheit, sondern "nur" um latenten Sexismus und Diskriminierung. Gottschalk hatte während seines letzten Auftritts als Moderator von "Wetten, dass..?" bereits im vergangenen November per selbstgefälliger Generalbeschwerde an die beschwerdeintensive neue Zeit seine Medienkarriere für beendet erklärt. Oder okay, seine TV-Karriere. Oder okay, seine ZDF-Karriere. Oder okay, seine "Wetten, dass..?"-Karriere. Überall sonst trieb er weiterhin seinen Schabernack, auch wenn er nicht mehr sagen durfte, was ihm wichtig erschien, ausser überall dort, wo er auftrat. Damals sagte er in etwa: "Ich gehe lieber, weil ich öffentlich nicht mehr sagen darf, was ich zu Hause auf dem Sofa sage" - und das ist auch ein knappes Jahr später noch der Grundtenor, mit dem er sich in seinem "Spiegel"-Interview durch die Kritik an den problematischen Momenten und Verhaltensweisen seiner Generation und seiner TV-Auftritte laviert.

Thomas Gottschalk ist das Opfer des Wokeismus!

Gottschalk nämlich, das muss man wissen, hat zwar über mehrere Jahrzehnte als Showmaster der Herzen mehr nackte Beine prominenter weiblicher Gäste ungefragt getätschelt, als Heidi Klum in 19 Jahren "Germany's Next Topmodel" gesehen hat - das aber nur, das ist ihm wichtig: "dienstlich". Anfassen auf Anweisung der ZDF-Chefetage quasi. Angeordnetes Grapschen. Das muss ein interessanter Vertrag gewesen sein, den Gottschalk seinerzeit mit dem ZDF ausgehandelt hatte und der ihn offenbar zum unzüchtigen und uneingeladenen Abtasten nackter Körperteile gezwungen hat.

Damals allerdings, beeilt sich Gottschalk zu verharmlosen, wären das normale Dinge gewesen. Nur heute dürfe man das ja nicht mehr machen. Ja, naja, halbrichtig lieber Thomas, möchte man ihm da zurufen. Handauflegen ohne Einladung oder Konsens war auch damals schon deplatziert, was unter anderem zahllose Gesichtsausdrücke verärgert-verwunderter weiblicher Stargäste recht zweifelsfrei dokumentieren, die sich über die Jahre in der "Wetten, dass..?"-Mediathek angesammelt haben. Heute ist die Gesellschaft glücklicherweise deutlich höher sensibilisiert, was derartige Verhaltensmuster angeht. Das ist vermutlich auch das, was Gottschalk und seine Mitstreiter (etwa Jan-Josef Liefers, der inzwischen gar keiner Frau mehr Komplimente machen möchte, weil man dann ja ganz schnell als Sexist abgestempelt wird) heute in Ermangelung der geistigen Frische, diese neue Entwicklung vollumfänglich zu begreifen, als "Cancel Culture" brandmarken. Ich persönlich halte es da mit Tim Mälzer, der im Zusammenhang mit veganer Ernährung (und dem Argument, dass man das früher auch nicht gemacht habe), mal sagte: "Früher hat man auch seine Frau mit der Keule zurück in die Höhle geprügelt".

Nur Thomas Gottschalk kann uns vor dem Untergang durch Powergendern retten!

Gottschalk jedenfalls, das zeigt sein jüngster Hilferuf nach Aufmerksamkeit durchaus präzise, hält sich nach wie vor für den hyperintellektuellen Grandseigneur der Entertainmentwelt, der der ahnungslos in einer hysterisch durchgewokten Parallelwelt lebenden jüngeren Generation die Weisheit seiner Alte-Weisse-Männer-Aura eintrichtern muss. Revitalisierung des Patriacharts. Darum hat Gottschalk es sich augenscheinlich zur Restlebensaufgabe gemacht, das Lied des missverstandenen und in seiner Freiheit beschnittenen Opfers zu singen, dem durch wahnwitzige neue Regeln bei jeder ganz normalen sexistischen Handlung heute sofort ein Orkan der Echauffierungs-Industrie droht.

Diese linksgrünversifften Berufsdenunzianten haben derweil sogar dafür gesorgt, dass Gottschalk nur noch streng nach Geschlechtern getrennt die Etagen wechselt: "Ich betrete heute keinen Aufzug mehr, in dem nur eine Frau steht! Was mache ich, wenn sie im zweiten Stock rausrennt und ruft '#MeToo, der hat mich angefasst'?" Ich weiss auch nicht. Vielleicht die Hand vom nackten Knie nehmen? Aber ich bin da keine Expertin.

Im Gegenteil. Tief im Inneren kann ich Gottschalk verstehen. Wir alle, oder? Jeder weiss, dass hochintelligenten, supererfolgreichen Adonissen wie Thomas Gottschalk Tag und Nacht Horden von Frauen auflauern, um sich bei ihnen ihren #MeToo-Moment und ihre 15 Minuten Ruhm zu verschaffen. Welche Frau würde das nicht wollen, einen Thomas Gottschalk fälschlicherweise der unangebrachten Verhaltensweise zu beschuldigen, wo doch unsere Gesellschaft stets so feinfühlig und verständnisvoll auf Berichte von Frauen reagiert, die von unangebrachten männlichen Verhaltensweisen oder Übergriffen berichten?

Aber das einsame, nur von Y-Chromosomenträgern begleitete Paternosterfahren ist nicht die einzige signifikante Einschränkung, die Oberschenkelflüsterer Gottschalk in dieser empörungsanfälligen neuen Welt ertragen muss. Im Gegenteil. Es kommt noch viel drastischer: "Heute ist es so, dass ich erst einmal nachdenke, bevor ich etwas sage! Für mich ist das schlimm!" Das muss man sich mal vorstellen. Nach über 50 Jahren im Showgeschäft soll ausgerechnet der Mann, der auf Du und Du mit Tom Hanks, Tom Cruise und den Oberschenkeln der Spice Girls, Jennifer Lopez, Michelle Hunziker und Cher ist, vor dem Reden nachdenken. Wo kommen wir denn da hin?

Das grösste Opfer unserer Zeit: Thomas Gottschalk

Für mich ein ausgewachsener Medienskandal. Was kommt als nächstes? Darf man als Firmen-Archeget seine weiblichen Mitarbeiter nicht mehr motivierend an den Hintern fassen? Darf man im Gedränge der S-Bahnen, den Schlangen an Supermarktkassen oder engen Tanzflächen etwa sein erkundungsfreudiges männliches Geschlechtsorgan nicht mehr anerkennend an den Körper einer hübschen Frau reiben? Früher haben die das als Kompliment gesehen! Heute stehen unbescholtene Alterspräsidenten der Anti-Woke-Bewegung direkt mit einem Bein im medialen Gefängnis der Meinungsdiktatur. Das ist nicht mehr mein Deutschland.

Verständlich daher, dass Thomas Gottschalk sein historisches Erbe ernst nimmt und uns Sexismus-Avenger mit den Korrektheitsquerulanten der Neuzeit nicht allein lässt. Wir sollten ihm dankbar sein, dass er seine Rentenzeit, in der er gemütlich seine Millionen zählen und täglich dreimal gut essen gehen könnte, opfert, um überall zu nörgeln und sich zu beschweren. Meistens über, Achtung: "nörgelige Beschwerdementalität".

Übrigens, was die Cancel Culture angeht, funktioniert das Gedächtnis des fünffachen BAMBI-Preisträgers Gottschalk nicht mehr flächendeckend reibungslos. Als er Anfang der 1980er Jahre seine TV-Karriere begann, wurde man in Bayern für "Stoppt Strauss"-Aufkleber, Plakate und Buttons von Schulen, Unis und aus öffentlichen Gebäuden geworfen. Franz-Josef Strauss war damals bayerischer Ministerpräsident und wäre gerne Bundeskanzler geworden. Verblüffende Ähnlichkeiten zum Schmalspur-Strauss von heute, Markus Söder. Heute kann man "Söder Rücktritt" oder "Stoppt Söder" jedoch sogar auf T-Shirts drucken, als Flugblätter in Schulen verteilen oder vor dem Landtag skandieren, ohne dass irgendwas passiert. Wirklich astrein recherchiert das mit der Cancel Culture von Thomas "das darf man heute gar nicht mehr sagen" Gottschalk. Da freut man sich doch auf sein Buch "Ungefiltert: Bekenntnisse von einem, der den Mund nicht halten kann". Den Titel "Ungefiltert: Bekenntnisse von einem, der seine Finger nicht an sich halten kann" hatte der Verlag scheinbar abgelehnt.

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