Ich möchte diesen Wochenrückblick mit einer kollektiven Ehrerweisung an eine der ehemals wichtigsten Feministinnen des Landes beginnen. Alice Schwarzer ist seit Samstag 80 Jahre alt! Bitte erheben Sie sich daher nun – wo immer Sie sind – von Ihrer Sitzgelegenheit und singen Sie mit mir: "Happy Birthday" für Alice Schwarzer. Aus aktuellem Anlass, wenn Sie zu dieser unerträglichen Randgruppierung der oberwoken Menschenrechtler gehören, meinetwegen auch gefolgt von einem "Who The F**k Is Alice".

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Marie von den Benken dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Zur Feier ihres runden Geburtstages durfte Alice Schwarzer in der ersten Adventswoche wieder mal auf eine Kaffeefahrt durch Deutschlands Talkshow-Elite aufbrechen und zu ihren verschiedenen Themenschwerpunkten ihre wissenschaftlich, ethisch und moralisch stets einwandfreie Expertise in die Wohnzimmer der Teilzeitakademiker versenden, die glauben, politische Bildung könne man durch von Anne Will, Maybrit Illner, Markus Lanz oder Sandra Maischberger choreografierte Gesprächsrunden nachrüsten.

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Inwieweit der Austausch von auf Twitter längst ausdiskutierten Themen und den dazu bereitgelegten Argumenten gewinnbringend sein soll, wenn man sie noch mal mit den immer gleichen Gesprächspartnern aus dem offenbar auf circa 60 Personen limitierten Talkshowgast-Reservoir der Öffentlich-Rechtlichen Sendeanstalten aufwärmt und nacherzählt, ist eine von Alice Schwarzer abgekoppelte Frage, der Medienwissenschaftler der Zukunft mit gleichsam grossem Interesse und höchster Verwunderung nachgehen werden.

Iran ist menschlich

Schwarzer jedenfalls, die sich in den vergangenen Jahren von ihrer im Kontext von Reichweitenrelevanz eher unterrepräsentierten Kernkompetenz Feminismus zu einer Art Generalgelehrten für jedes aktuell medial ausgeschlachtete Thema weiterentwickelt hat, glänzte diese Woche mal wieder zu verschiedenen Themen mit ihrem beneidenswert konsequenten Talent, immer zielgenau exakt das zu sagen, was bei Wissenschaftlern und Experten das grösstmögliche Kopfschütteln auslöst. Im Prinzip ist es nur eine Frage der Zeit, wann sie ein Sachbuch gemeinsam mir Richard David Precht herausgibt.

Getreu dem Motto "Egal wie schwarz du etwas siehst, Alice sieht es Schwarzer" referierte sie gewohnt wortgewandt und stets an der Schwelle zur intellektuellen Selbstaufgabe balancierend auch zum Thema Iran. Die beispiellos mutigen Frauen, die trotz andauernder Lebensgefahr die Strassen des Landes fluten, um für ihre Freiheit und Menschenrechte zu demonstrieren, sind auch Alice Schwarzer nicht entgangen.

Durch ihre legendäre Gabe, komplexe Zusammenhänge für das einfache Volk in leicht verständliche Stammtischparolen umzuwandeln, stellte sie vor allem die Wichtigkeit der westlichen Solidarität mit den Kämpferinnen in Teheran und dem gesamten Iran heraus. Schwarzer referierte, sie würde es als einen grossen Akt der Solidarität sehen, wenn Kopftuchtragende im Westen das Kopftuch ebenfalls fallen lassen, um sich mit den Iranerinnen solidarisch zu zeigen.

Gut, das ist in etwa so spektakulär, wirksam und solidarisch, wie die Aufforderung, Homosexuelle sollten sich aus Solidarität mit den in den Golfstaaten aufgrund ihrer sexuellen Orientierung eingesperrten Schwulen und Lesben vor das Brandenburger Tor stellen und sich dort küssen, aber der Wille zählt.

Sexist Man Alive

Als ebenfalls mindestens bemerkenswert muss Schwarzers Positionierung zum Thema Ukraine gelten. Schon ihr glanzvoller Offener Brief, in dem sie die gesamte politische Elite der westlichen Welt mit dem Vorschlag von Friedensverhandlungen zwischen Kiew und Moskau verblüffte, hatte erahnen lassen: Mit der Dame, die in ihrem postfeministischen Fachmagazin "Emma" kürzlich Sascha Lobo zum "Sexist Man Alive" gekürt hat, ist uns eine exzellente Bundeskanzlerin durch die Lappen gegangen.

In was für einer fantastischen Welt könnten wir leben, wenn Alice Schwarzer statt Journalistin zu werden, in die ganz grosse Politik eingestiegen wäre? Grosse Entscheidungen für bildungsferne Buzzword-Bauernopfer volksnah auf Trash-TV-Niveau herunterzuquatschen – ein Talent, das nur den wenigsten vergönnt ist.

Beispiel Sascha Lobo: Als die Pressemeldung die Runde machte, Schwarzer und ihre Entourage aus erfolgsverwöhnten und preisüberhäuften "Emma"-Top-Autorinnen hätten Lobo zum "Sexist Man Alive" ausgerufen, liefen die hasserfüllten Tastaturfingerchen der Kommentarspalten-Gutmenschen heiss. Sie verstehen? "Sexist", also wie in "Sie können ein Dekolleté aber auch ausfüllen". Nicht "Sexiest", wie in George Clooney. Da ist Wolfgang Kubicki vor Lachen beinahe die Hand vom Bein von Silvana Koch-Mehrin gerutscht.

Kaum jemand triggert die deutsche Öffentlichkeit, die inzwischen von Mainstream-Medien fremdgesteuert wird (das weiss jeder, der endlich seinen Weg zu alternativen Medien auf Telegram gefunden hat), kompromissloser und regelmässiger als Vordenkerin Schwarzer. Diese Woche, in der sie mal wieder mühelos von Menschenrechtsaktivistin auf Sicherheitspolitik-Expertin umfirmiert, durchbrach sie bei Sandra Maischberger die gleichgeschaltete Schlafschaf-Lethargie der Zuschauer mit einer bahnbrechenden neuen Theorie zu Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine: "Das ist ein Stellvertreterkrieg der USA gegen Russland".

Was folgt, ist ein handfester Medienskandal. An dieser Stelle mischt sich nämlich ausgerechnet der von unseren Rundfunkgebühren bezahlte ÖRR-Ukraine-Korrespondent Vassili Golod ein und erinnert das geopolitische Ausnahmetalent Schwarzer daran, dass es nicht Amerikas Schuld ist, wenn Russland die Ukraine angreife und nicht akzeptiert, dass die Ukraine ein demokratischer Staat ist. Auch den Hinweis, mit diesem Narrativ endgültig im Bereich der Verschwörungstheorien angekommen zu sein, erspart er der Feminismus-Ikone nicht. Zum Glück ist Schwarzer auch rhetorisch eine Virtuosin der Extraklasse und weist Golod umgehend mit einem argumentatorischen Hole-in-One in die Schranken: "Bitte nicht mit einer solchen Polemik bei einer so bitterernsten Sache!"

Das ist doch Alice Quatsch

Um das weltpolitische Triple gekonnt voll zu machen, bringt sich Schwarzer diese Woche im grossen Geburtstagsinterview mit der "NZZ", die inzwischen als rechtspopulistisches Ausbildungszentrum für Chefreporterinnen bei "Welt" fungiert, sicherheitshalber nochmals als Biologin und Trans-Forscherin in Stellung. Schon zuvor hatte sie sich mit Formulierungen wie "Trans-Mode" auf diskursseitig eher schwieriges Terrain begeben.

Zum Achtzigsten durfte sie ihre Angst, 14-jährige Mädchen würden mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz nun je nach Laune beim Shopping regelmässig nebenbei auch noch schnell ihr Geschlecht ändern, nun noch mal flächendeckend ausformulieren: "Frauen müssen dünn sein, perfekt, Botox spritzen usw. Immer ist unser Körper falsch und muss verändert werden oder geleugnet. Da ist es ja nur noch ein Schritt zu dieser fanatischen Trans-Propaganda. Man sagt diesen jungen Frauen: Ach, du fühlst dich nicht wohl als Frau? Klarer Fall, dann bist du ein Mann."

Ich bin keine Expertin, aber wenn man "Fanatische Trans-Propaganda" als legitimen Diskursbeitrag deklariert und vor einer "Trans-Welle" warnt, muss man sich auch nicht wundern, wenn man im Spätherbst seiner Karriere plötzlich auf einer Stufe mit Beatrix von Storch einsortiert wird. Von Storch spricht – neben ihrer Version des Kampfes gegen den Klimawandel: Die Sonne verklagen – im Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsgesetz gerne von "Gender-Gaga" oder davon, dass ein Fisch kein Fahrrad sei.

In einer der absurdesten und niederträchtigsten Reden, die der ehrwürdige Bundestag in den letzten 50 Jahren ertragen musste, echauffierte sich von Storch Ende Februar vor allem gegen die Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer, die zwar privat machen dürfe, was sie wolle (wie nett), es aber "schlicht rechtswidrig" sei, wenn "der Kollege Ganserer" aufgrund der Frauenquote ein Bundestagsmandat bekleiden dürfe. Hauptquelle ihrer Rede übrigens, da schliesst sich der Kreis, war damals ein Artikel in der – jetzt raten Sie mal – genau: "Emma". Das alles, da sind wir uns sicher einig, in nur einer Woche. Da kann man schon mal respektvoll "Happy Birthday" wünschen. In diesem Sinne: Happy Birthday, Alice Schwarzer!

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