Diesmal möchte ich meine wöchentliche Kolumne aus meiner politischen Essay-Serie "Subtile Indoktrination" dem Thema Geschichtswissenschaften widmen.
Sich in Weltgeschichte einen Hauch besser auszukennen als beispielsweise
Wer beim "Gang nach Canossa" etwa an italienische Salami denkt, wird es im Fortlauf der Debatte schwerer haben, einen sogenannten Punkt zu machen, als Holstein Kiel in der ersten Bundesliga. Ähnliches gilt für haltungsintensive Meinungsexperten, die bei "Ein Waterloo erleben" an ABBA denken, beim "Hornberger Schiessen" an Amokläufe im Baumarkt und bei "Über den Jordan gehen" an Sneaker einer Basketball-Legende. Als Serviceleistung für die knapp 14 Millionen Stammleser dieses Satirischen Wochenrückblicks habe ich mir für heute ein tagesaktuelles Beispiel vorgenommen, um in Zukunft den Eindruck ganzjähriger intellektueller Nebensaison in Disputsituationen vermeiden zu können. Also los:
Marcus Tullius Cicero war der berühmteste Redner des alten Rom und zudem Anwalt, Schriftsteller, Philosoph, Politiker und ein Kritiker der diktatorischen Vorgehensweise Gaius Julius Caesars. Er wurde 106 vor Christus geboren und gilt heute ob seiner flexibel-heterogenen politischen Praxis als prinzipienloser Opportunist. Ob das der Grund ist, warum sich rund 2050 Jahre nach seinem Tod das, na ja, Politmagazin "Cicero" nach ihm benannte, ist unklar.
Diese Woche erschien in jenem nach einer historischen Ikone der konformistischen Prinzipienlosigkeit benannten Monatsmagazin jedenfalls ein Text, in dem sich Autor Hans Martin Esser primär freut, eine neue Vokabel gelernt und umgehend prominent in seinen Alltagswortschatz integriert zu haben: Oligopol. Ein fantastisches Wort. Vor allem, weil es im ersten Moment ein wenig klingt, wie eine von russischen Oligarchen finanzierte Privatpolizei.
Tatsächlich jedoch bezeichnet es eine Marktform in der Wirtschaft, die durch wenige Marktteilnehmer gekennzeichnet ist. Sehr artverwandt daher mit "Cicero". Da handelt es sich im Grunde ja um eine Journalismusform in der Wirtschaft, die durch wenige Leser gekennzeichnet ist. "Cicero", das als kurzer Kontexteinschub, verkauft etwa 42.000 Exemplare. Hans Martin Esser kennt daher statistisch betrachtet vermutlich jeden seiner Leser persönlich. Das hat viele Vorteile. So kann man vor allem sehr zielgruppenangepasst arbeiten.
Esser geht's nicht
Jener Text von Objektivitätsweltmeister Hans Martin Esser, der vor seinem "Cicero"-Karrierebooster lange für "Die Achse des Guten" schrieb, dem Leuchtturm der ausgewogenen und vorurteilsfreien Faktenaufbereitung, enthält erfreulicherweise noch weitere Perlen aus dem Handbuch für Cheerleader des gepflegten Fremdworteinsatzes. Etwa "subkutan", eine stabile 2 auf der nach unten offenen Bruno-Labbadia-Xenismus-Skala. Labbadia, der Hans Martin Esser der kognitiven Fallrückzieher, ist wie Esser auch Avantgardist der Fremdwortapplikation und mit beispiellosem Konstruktivitätswillen aufgeladener Medienkritiker. Exemplarisch dafür sei hier kurz sein wohl legendärstes Kleinod der Newsmacherschelte erwähnt: "Das wird alles von den Medien hochsterilisiert!"
Esser sterilisiert nicht hauptberuflich, dafür identifiziert er bei Nachrichten-Reichweitengiganten wie GMX, T-Online oder WEB.DE latenten Meinungsjournalismus und wirft pauschal allen Beteiligten und Verantwortlichen, aber auch sehr essenziell mir persönlich vor, eine "linksliberal-grüne Agenda" zu verfolgen und in dieser Kolumne "regelmässig Talkshow-Besprechungen" zu platzieren, in denen ich "revisionistisch nachjustiere und frame". Das Ergebnis ist für Gesinnungs-Profiler Esser recht eindeutig: "Politiker von FDP, CSU und CDU werden dabei häufig sehr viel schlechter bewertet als solche der Grünen oder der SPD." Esser ist aber nicht nur filigraner Beobachter, er ist auch messerscharfer Analyst. Entsprechend invariabel fällt auch seine schlussfolgernde Begründung dafür aus: "Von den Benken müsste ja auch gegen ihre eigenen Parteikollegen anschreiben, was sie nicht tut."
Nun, mal abgesehen davon, dass ich spätestens seit dem 7. Oktober 2023 vehement regierungskritisch formuliere und gerade erst am Sonntag für den Satz "Auf ihrer Abschiedstournee aus der Spitzenpolitik hat unsere offenbar inzwischen auf Wählerstimmen-Vernichtung spezialisierte Aussenministerin Israel die Verantwortung an der Exekution der Geiseln durch Kopfschüsse der Hamas-Terroristen zugeschrieben" mal wieder einen veritablen, noch immer andauernden Shitstorm aus genau der Bubble kassiert habe, für die Esser ermittelt zu haben glaubt, ich würde ihr in die Haltungs-Poesiealben schreiben, während ich CDU/CSU-Politikerinnen wie Julia Klöckner oder Doro Bär lauthals und ausdrücklich lobe, lauteten die Themen meiner Kolumnen im gesamten Jahr 2024 bisher: Hochzeit von Gottschalk, Pocher-Scheidung, Promi-Trennungen, Nacktskandal bei Annemarie Carpendale, Olympische Spiele, Abgesang auf den Feminismus, die neue Lady Di, Hawk Tuah, Thomas Hayo, Fashion Week Berlin, Rassismus im Fussball, EM-Fieber, Max Kruse, Champions League, Robert Geiss, "Let's Dance", Mats Hummels, Dschungelcamp, ESC, OMR, Til Schweiger, Laura Müller, FC Bayern München, Dieter Bohlen, DFB-Trikot, Antisemitismus, Justin Timberlake, Berlinale, Supermodels.
Das ist alles. Das sind die Themen. Talkshows kommen schon lange nicht mehr vor, ich habe mir das Konsumieren von Talkshows – das nur nebenbei – insgesamt abgewöhnt. Nur am Rande sei erwähnt, dass meine eindeutig als "Satire" gekennzeichnete Kolumne keinen journalistischen Anspruch erhebt. Aber Schwamm drüber, das ist bei "Cicero" ja genauso.
Los Doppelmoral Wochos bei McCicero
Übrigens – Stichwort ausgewogene Berichterstattung: Um die von Hans Martin Esser postulierte Generalkritik an der vermeintlich fehlenden Unabhängigkeit der Nachrichten-Outlets WEB.DE, T-Online und GMX flankierend zu untermauern und gleichzeitig auf beeindruckende Art und Weise zu demonstrieren, wie eine lagerfreie redaktionelle Philosophie funktionieren kann, in der man ohne Tendenz zu einem bestimmten politischen Umfeld veröffentlicht, lauten die aktuellen Headlines im "Cicero" wie folgt:
- "Eine politische Bankrotterklärung" (
Olaf Scholz und Nancy Faeser) - "Moralische Insolvenzverschleppung" (SPD-Politiker, die Friedrich Merz kritisieren)
- "Olaf Scholz ist den Herausforderungen in keiner Weise gewachsen"
- "Die Partei der Irrelevanz" (SPD)
- "Falsche Idylle" (SPD)
- "Kubicki fordert Lauterbach-Rücktritt"
- "Zwischen Trotz und Tränen" (Reaktionen der Ampel auf die Landtagswahlen)
- "Die renitenten Reaktionen von Grünen und SPD"
- "Baerbocks dreistes Ablenkungsmanöver im Visa-Skandal"
- "Nachhaltigkeit braucht mehr als Ideologie" (das grün geführte Landwirtschaftsministerium)
Betrachtet man dieses illustre Potpourri journalistischer Ausgewogenheit, bemerkt man schnell: Exakt so geht neutraler, differenzierter, parteiloser und vor allem wertneutraler politischer Journalismus.
Witziger als Chris Tall und Dieter Nuhr zusammen
Wie schon der Volksmund wusste: Lachen ist gesund. Im Prinzip also durchaus eine gute Nachricht, dass "Cicero" jetzt auch Comedy macht. Ich persönlich lache sogar doppelt, denn mich erwartet dank der investigativen Sensationsrecherche von Hans Martin Esser, dem Bob Woodward des "Cicero", ein ziemlich immenser Geldregen. Ein entscheidender Satz in Essers journalistenpreisverdächtigem Enthüllungspamphlet lautet nämlich: "Marie von den Benken schreibt einen grossen Teil der Artikel, die bei GMX und WEB.DE erscheinen."
Daraufhin habe ich selbstredend umgehend meine Anwälte eingeschaltet, die sich zeitnah bei GMX und WEB.DE melden werden. Regelmässig schreibe ich nämlich genau einen Text pro Woche. Da mir nun über diesen einen Text hinaus noch ein "Grossteil" aller anderen veröffentlichten Texte zugeordnet werden, ergibt sich ein stattliches Honorardelta. Ich werde nun also selbstverständlich unverzüglich die fehlenden Vergütungen einklagen.
Da allein auf WEB.DE täglich Dutzende Texte erscheinen, wird dabei eine signifikante Summe zusammenkommen. Ich plane, die gesamte Summe in Exemplare des Hans-Martin-Esser-Bestsellers "Polemik – ein philosophischer Beipackzettel" zu reinvestieren. Dieses Jahrhundertwerk, das den Journalismus der Zukunft nachhaltig prägen wird, steht bei Amazon aktuell zu Unrecht nur auf Verkaufsrang 290.639, und damit sogar hinter dem im Eigenverlag erschienenen Fungarant "Die besten Paralympics-Gags" von Luke Mockridge.
Wenn man jetzt noch bedenkt, dass ab der kommenden Woche temporär eine zweite Kolumne hinzukommt, nämlich meine Framing-Analyse zur Polit-Talkshow "Sommerhaus der Stars", kann man sich leicht ausrechnen, dass ich mich inzwischen zur einflussreichsten Polit-Essayistin des Landes hochgegendert habe. Und niveauinhaltlich ist das "Sommerhaus der Stars" ohnehin der heilige Gral der – Sie erinnern sich – Oligopol-Industrie.
Wer das TV-Highlight "Sommerhaus der Stars" auf Deutschlands wichtigstem News-Sender RTL nicht kennt: In dieser Legislaturperiode ziehen die Spitzenpolitiker Raúl Richter, Vanessa Schmitt, Alessia Herren, Tessa Bergmeier, Sarah Kern, Tobias Pankow, Sam Dylan, Rafi Rachek, Theresia Fischer, Stefan Kleiser, Gloria Glumac, Umut Tekin und Emma Fernlund ins "Sommerhaus der Stars" und werden anschliessend von mir persönlich revisionistisch nachjustiert!
Hans Martin Esser freut sich schon ein paar neue Fremdwörter in den Wortschatz, eines davon soll unbestätigten Gerüchten zufolge "Hypokrisie" lauten. Das wird ein vollkommen parteikollegial unkritisches Fest!
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