Diese Woche möchte ich die durchschnittlich knapp zwölf Millionen Leser und Leserinnen dieses Wochenrückblicks zu einer Umfrage auffordern. Fragen Sie sich mal spontan: Was sind eigentlich Terroristen? Antwort A: Menschen, die sich in Angst um den Planeten mit Klebstoff und Kartoffelbrei bewaffnen, um sich damit an Strassen festzukleben oder Glasscheiben vor berühmten Kunstwerken einzusauen. Oder Antwort B: Menschen, die sich zu einer Gruppierung hochkrimineller Mörder zusammenfinden, um sich Maschinengewehre zu besorgen und dann Politiker zu entführen und zu töten?

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Marie von den Benken dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Falls Sie noch unschlüssig sind, empfehle ich Ihnen, sich bei den Satirebeauftragten von "Welt" die Bestätigung zu holen, dass alle Theorien aus Ihren abonnierten Telegram-Gruppen absolut korrekt sind: Corona ist nur eine Grippe und Klima-Aktivisten sind die neue RAF. Womit wir schon beim Königsthema der Woche wären: Jan #RAFDP Böhmermann.

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Der Lieblingsfeind aller Journalisten, die sich zwar jederzeit liebend gerne in ÖRR-Talkshows setzen, um Zeitungsabos zu verkaufen (oder wenigstens die Nachbarn zu beeindrucken), ansonsten aber bei jeder Gelegenheit die sofortige Abschaffung genau dieses ÖRR fordern. Dieser Jan Böhmermann hat am Freitag ein satirisches Fahndungsplakat in Umlauf gebracht, das neben Familie Lindner vor allem Edelfedern zeigte, die auf der Gehaltsliste des Axel Springer Verlags stehen.

Dort begab man sich – ohne die am Abend erklärend folgende Episode der Satiresendung "ZDF Magazin Royale" zu kennen – umgehend vollzählig in Alarmbereitschaft. Code Jan. Beim gemeinschaftlichen Firmensport sprang man einträchtig im Gleichschritt über das vom ÖRR angebotene Stöckchen. Es sollte wenigstens wie Teamarbeit aussehen, wenn man sich schon von seinem eigenen Endgegner vorführen lassen musste.

Und so hyperventilierten die umgehend bis zur Selbstaufgabe durchempörten Teilzeitsatiriker kollektiv: Ein RAF-Vergleich, das geht zu weit. Und also, der ÖRR gehört (Überraschung!) abgeschafft. Einigen Koryphäen der Kausalkettendysfunktion gelang es sogar, sich von einer verzückt mitpöbelnden Deppen-Brigade auf Twitter dafür abfeiern zu lassen, die sofortige Einstellung aller "GEZ"-Zahlungen verkündet zu haben.

GEZ habe ich aber endgültig genug!

Gut, die GEZ gibt es seit zehn Jahren nicht mehr, aber Schwamm drüber. Im Spiegelbild-Trauma der eigenen Doppelmoral kann man das schon mal durcheinanderbringen. Einig jedenfalls war man sich: An RAF-Fahndungslisten erinnernde Plakate, das ist keine Satire mehr. Das ist mindestens unterste Schublade! Böhmermann, dieser faschistische Axel-Springer-Hasser! Für philosophische Humorabende mit Dieter Nuhr oder das Markus-Lanz-Abo von Robin Alexander zahlt man gerne Rundfunkbeitrag (früher GEZ) – aber doch nicht für Böhmermann!

Nun könnte man anmerken, genau das wäre der Auftrag des ÖRR. Programmvielfalt. Für jeden Geschmack etwas. Dafür müsste man allerdings die Aufgabe des ÖRR begreifen. Ich verspüre auch keine unbändige Freude, Gebühren dafür zu zahlen, mir von Florian Silbereisen und seiner Schlager-Mafia die Primetime am Samstagabend ruinieren zu lassen. Oder von Alice Weidel im Sommerinterview erklären zu lassen, Rassismus gäbe es in der AfD nicht.

Halte ich aber aus, weil ich dafür eben auch bekomme, was für mich interessant ist. Und andere das, was sie grandios finden. Richard David Precht oder so. Nicht nur an sich selbst, sondern an alle zu denken – ein Konzept, das bei den RAF-Experten der ex-liberalen Freiheits-Journaille nicht sonderlich populär zu sein scheint. Verständlich, denn Freiheit beginnt beim ich!

Los Doppelmoral Wochos im Meltdown der Rechtsbubble-Publizisten

Dass exakt solche Listen (vollkommen unironisch übrigens, nicht im Kontext einer Satire-Show) mit Gesichtern von Dr. Christian Drosten, Lothar Wieler oder Annalena Baerbock im Querdenker-Kosmos schon lange kursieren und sich darüber aus der Hautevolee selbsternannter Leitkulturisten nie jemand auch nur halb so engagiert beschwert hat: geschenkt.

Auch die Feindeslisten inklusive physischer Adressen von Arztpraxen: Kann man als Faktenchecker schon mal übersehen. Triumphierend wurden sogar Galgen für Angela Merkel oder Karl Lauterbach vor dem Reichstag aufgebaut. Aber auch da scheint Kartoffelbrei besorgniserregender zu wirken. Morddrohungen aus einem Milieu, das bereits Studenten in Tankstellen exekutiert oder Walter Lübcke auf der Veranda seines Hauses erschossen hat: Okay. Klebstoff auf der Strasse: Sofort wegsperren! Kartoffelbrei oder Schusswaffen – gegen was muss ein Land sich vehementer stellen?

Die Antwort darauf verkündet die "Welt"-Chefreporterin Freiheit nach 48 Stunden intensiver RAF-Klausurtagung am Sonntag auf Twitter höchstselbst: "Nicht kriminelle Klimaaktivisten sondern Nazis und der Klimawandel seien unser Problem – intellektuell dürftiger wird es nicht mehr" (Interpunktions-Philosophie aus Original-Text beibehalten). Etwas sperrig formuliert zwar, dennoch eindeutig. Sie sagt: Nazis und Klimawandel sind kein Problem – Klimaaktivisten schon. Und wer das anders sieht, ist intellektuell minderwertig. So unverschleiert hatte das noch keiner aus dem Springer Verlag zugegeben: Nazis sind okay, Klimawandel gibt es nicht, Klimaaktivisten müssen eingesperrt werden!

Was war passiert? Hatte Trump-Verehrer Mathias Döpfner sich dazu entschlossen, künftig ohne den Umweg über SMS an Benjamin von Stuckrad-Barre zu kommunizieren, an welche Agenda man sich als, naja, Journalist unter seiner Führung zu halten hatte? Kurz schien es so. Aber: Ganz einig war man sich an der Axel-Springer-Strasse dann offenbar doch nicht. Einige Stunden nach der stolzen Veröffentlichung löscht die Verfasserin ihren Tweet kommentarlos. Vielleicht hatte zufällig jemand aus dem Vorstand drauf geguckt, panisch zum Handy gegriffen und in den Hörer gebrüllt, dass es mit einem auf Rechtsextremismus eher sensibel reagierenden US-Grossinvestor KKR im Rücken nicht unbedingt die klügste Idee sei, Nazis offiziell als unproblematisch zu deklarieren und nebenbei den Klimawandel zu leugnen.

Der Kampf gegen Kartoffelpüree geht uns alle an!

Dabei hatte man im Epizentrum der Freiheits-Deformation schon Champagner kaltgestellt. Endlich mal wieder. Nachdem es trotz zahlreicher Desinformationskampagnen nie gelungen war, Aktivistinnen wie Luisa Neubauer oder Greta Thunberg als grösste Gefahr der Neuzeit zu definieren, hatte es lange nicht viel zu feiern gegeben. Dazu der historische Sinkflug der Printauflage. Doch dann: Rettung via "Letzte Generation". Endlich Demonstranten, die liefern, was man Jahre zuvor "Fridays For Future" andichten wollte: zivilen Ungehorsam.

Ein Festmahl für müde Diskreditierungs-Jäger, die im Fake-News-Dschungel täglich neue Feindbilder erfinden müssen. Erlösende Freude, den tausenden rechtsradikalen Straftaten, Morden und Mordversuchen endlich etwas entgegensetzen zu können. Etwas, das zumindest für faktenresistente Kommentarspalten-Clowns ausreichend linksradikal choreographiert werden konnte, um Angst vor Kommunismus und linkem Terror zu reaktivieren. Folgsam wie teilsedierte Königspudel auf Schönheitswettbewerben schossen sie ihre "DIE NEUE RAF!"-Tweets und Kolumnen in die dankbaren Arme ihrer vollzeitechauffierten Leserschaft, einer bemerkenswert wahrheitsflexiblen Melange aus Mensch gewordener Stammtischparole und Hate-Speech-Jukeboxen.

Von der Social-Media-Beauftragten bis zur Armee der Chefreporter zogen sie in den Kampf gegen Kartoffelpüree. Bis unter die Zähne bewaffnet mit Strohmännern, Whataboutisms und der neuen Kampfvokabel "Juste Millieu", die der Chefredakteur persönlich am Wochenende beim Anti-Stress-Googlen zufällig bei Benjamin Constant entdeckt hatte. Bereit zum totalen Clickbait-Überschriftenbingo als Anbiederungs-Taktik beim rechtsdrehenden Hass-Moloch.

Während man jahrelang gepredigt hatte, man müsse die Ängste besorgter Bürger ernst nehmen, mit ihnen sprechen und sie verstehen, bleibt für die Ängste der "Letzten Generation" keine Zeit. Man fraternisiert sich eben lieber mit gewaltbereiten Faktenleugnern, die Politiker gerne aufhängen würden, als mit politisch enttäuschten Menschen, die fordern, Politiker sollten gelegentlich mal tun, was sie versprochen hatten.

Das Kleben der anderen

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich halte die Aktionen der "Letzten Generation" für maximal hirnrissig. Es ist zwar wichtig, der Politik beim Thema Klima keine Ruhe zu lassen und man muss auch immer wieder daran erinnern, dass keine Klimaschutz-Massnahme je teurer sein könnte als die Schäden, die uns durch zu späte Reaktionen entstehen. Sich aber auf Strassen zu kleben oder Kartoffelpüree auf Kunstwerke zu schmieren, ist ein denkbar bekloppter Weg. Protest sollte aufrütteln und– wenn überhaupt – "denen da oben" schaden. Man kann intelligent protestieren oder humorvoll. Oder wie die "Letzte Generation".

Unbeteiligte Menschen, die vermutlich die eigene Überzeugung sogar teilen, mit Staus und Flugausfällen zu nerven, hat nur einen Effekt: Das richtige Anliegen tritt in den Hintergrund. Durch Aktionen, bei denen Unschuldige die Unannehmlichkeiten davontragen, wird man niemals die Masse begeistern. Entsprechend kenne ich nicht eine einzige Person, die gesagt hätte: "Das Ankleben auf Strassen hat mich aufgeweckt! Ab jetzt bin ich auch für kompromisslosen Klimaschutz!" Es ist absurd, darauf zu hoffen, solche Aktionen würden am Ende dazu beitragen, das Klimawandel-Ruder noch rechtzeitig rumzureissen.

Dieses fragwürdige Vorgehen jetzt aber als Hetz-Katalysator zu nutzen, die "Letzte Generation" als neue RAF und die Protagonisten als Terroristen zu diffamieren, ist von einer derartig moralischen Skrupellosigkeit, dass ich Jan Böhmermann nur gratulieren kann. Und Ihnen auch. Sie haben es bis zum Ende dieses Wochenrückblicks geschafft. Bis nächsten Montag!

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