Diese Woche starte ich die meistgeliebte Montags-Kolumne des Landes (repräsentative Umfrage bei meiner Mutter) mal mit Selbstbeweihräucherung: Das Jahr ist kaum eine Woche alt und schon habe ich den ersten bedeutenden Titel eingefahren. Also, naja, zumindest die Silbermedaille.
Das Branchen-Magazin für Schiffrundfahrten in Berlin, "The Pioneer", hat seine Leserschaft wählen lassen: Welcher Promi ist im Bundestagswahlkampf der wichtigste Polit-Influencer gewesen? Das Ergebnis fiel eindeutig aus: Dank dieser hochpolitischen Leitkultur-Kolumne für Vordenker sowie meinem unermüdlichen Drang, täglich Replys auf Tweets von hochrangigen CDU-Vertretern auf Twitter zu verfassen, bin ich direkt von Null auf Platz zwei hochkatapultiert worden.
Eingebettet zwischen
Roland Kaiser, der in seinen Songs gerne zur Defloration aufruft ("Nachts an deinen schneeweissen Stränden, hielt ich ihre Jugend in den Händen", die alte Sau), ist quasi der Cat Stevens Deutschlands. Frank Thelen dagegen gilt eher als Wirtschafts-Genie, seit er breit in Wirecard investiert hat.
Um diesen Totalverlust auszugleichen, spendete er im Wahlkampf sicherheitshalber 500.000 Euro an die FDP. Eine sehr teuer erkaufte Absicherung, auf jeden Fall ein allgemeines Tempolimit zu verhindern, wie ich finde. Aber ich bin auch keine Start-Up-Expertin.
Jürgen von der dicken Lippe
Stichwort keine Expertise:
Jürgen von der Lippe, die Grosseltern der älteren Leser und Leserinnen erinnern sich vielleicht, hatte 1984 ein Buch mit seinen Lieblingswitzen auf den Markt gebracht. Ich war damals noch nicht geboren, aber die illustre Sammlung zotiger Pimmelwitze und Pennäler-Humor sorgen generationsübergreifend für ausgelassene Stimmung ab einem Promille-Durchschnitt von 6,2.
Gags aus einer Zeit, als Volkswissenschaftlerinnen noch darüber stritten, ob die kurz bevorstehende Erfindung der Dampfmaschine möglicherweise unangenehme Auswirkungen auf die Arbeiterklasse haben könnte. Arbeiterklasse oder wie Christinan
Jürgen von der Lippe jedenfalls, ohne dessen Vorreiterposition beim Etablieren sexistischer Bonmots es einen Mario Barth gar nicht geben würde, hat mal wieder öffentlichkeitswirksam untermauert, dass er Feminismus für gefährlicher hält als Klimawandel, Altersarmut und Omikron zusammen. Insbesondere das Gendern ist ihm eine Dörnin im Auge.
Nachdem er also etwa 40 Jahrzehnte lang keine Projekte mehr zum Entertainment-Potpourri der deutschen Medienlandschaft beisteuern konnte, diktiert er folgenden Satz für die Ewigkeit in die Notizbücher eifriger Qualitäts-Chronisten, denen vom ständigen Einschleimen bei Querdenkern mit absurden Freiheits-Fehlinterpretationen langsam selber langweilig geworden war: "Es ist doch ein Skandal, dass Universitäten verlangen, dass Arbeiten von den Studenten gegendert und so in einem falschen Deutsch eingereicht werden."
Genderspass mit Sprachwissenschaftler Jürgen von der Lippe
Falsches Deutsch. Da knallten die Champagner-Korken in den Chefetagen von PEGGIDA (Patriotische Elitejournalisten gegen Genderisierung im deutschen Alltag). Eine Steilvorlage für den täglichen Clickbait-Rausch im Reichweiten-Eldorado der Rechtsbubble. Schöner hätten es sich selbst hochbezahlte Redenschreiber für die AfD-Führungsriege nicht ausdenken können.
Gendern macht die schöne deutsche Sprache kaputt. Endlich mal jemand, der in diesen schweren Zeiten die wirklich relevanten Probleme anpackt. Man darf ja gar nichts mehr sagen in dieser linksgrünversifften Mainstream-Media-Diktatur. Gut, mit korrekter deutscher Sprache haben es 99 Prozent der Menschen, die von der Lippes Aussagen auf Social Media bejubeln, als hätte er gerade ein Heilmittel gegen Krebs erfunden, eigentlich nicht so. Das zeigen regelmässig ihre Premium-Beiträge in den Kommentarspalten.
Bei der Lektüre dieser Diskursbeiträge reduziert sich der IQ des Lesers automatisch um rund 20 Punkte. So einen orthografischen Synapsenzirkus kann kaum ein intaktes Sprachzentrum unbeschadet überstehen. Aber anderes Thema.
Die Brigade tapferer Tastatur-Grabenkämpfer gegen die Woke-Hysterikerinnen dieser Tage jedenfalls ist sofort angefixt. Alte, weisse Männer, die sich noch trauen, den LGBTQ- und Black Lives Matter Kapriolen der Fridays For Future Generation ordentlich die Gutmenschen-Ohren lang zu ziehen. "Gendern ist doof", das Gammelfleisch-Argument der Billig-Nackensteak-Revoluzzer.
Humor-Vorreiter, die auch auf jede Äusserung, in der die Vokabel "vegetarisch" vorkommt, reflexartig "darauf brate ich mir heute Abend erstmal ein 750-Gramm-Filetsteak" antworten. Wenn die Mutter der Dummheit wirklich immer schwanger ist, dann hatte sie bei Jürgen von der Lippes Einlassungen diese Woche definitiv einen spontanen Eisprung.
Jürgen von der Cancel Culture
Von der Lippe, das werden Sie jetzt kaum für möglich halten, ist übrigens nicht zum ersten Mal auf Kreuzzug gegen Feinde des alteingesessenen Kulturguts "Herrenwitz". Schon während der Debatte um die #MeToo-Bewegung hatte er vehement dafür geworben, Flirt-Feingeistern wie Frauenversteher Harvey Weinstein doch lieber ein Denkmal zu bauen, statt sie zu inhaftieren.
In panischer Angst um das grösste Evolutionsgeschenk seiner Generation, dem ungestraften Anfassen wildfremder Frauen, echauffierte er sich 2020 in der "Bild", dem Leitmedium für bildungsferne Vernunftverweigerer, deren Weltbild sich seit den 50er Jahren nicht mehr linear vorwärtsbewegt hat: "Es traut sich keiner mehr eine Frau anzugraben". Ausser vielleicht, ja okay, einige ausgewählte Chefredakteure, aber dazu an anderer Stelle mehr.
Eigentlich schade, dass von der Lippe, wo er doch gerade mal wach und so in Fahrt war, nicht auch noch ein paar Aperçus zum Thema Böllern im Repertoire hatte. Seine inspirierende Definition von Freiheit, die man mit in Polen erworbenen Feuerwerkskörpern und abgesprengten Körperteilen verteidigen muss, hätte mich persönlich durchaus interessiert.
Aber vielleicht war für dieses brandaktuelle Thema keine Zeit mehr, weil er schnell zu einem Spaziergang musste oder einen Leserbrief ans ZDF schreiben, ob es beim "Heute-Journal" jetzt Publikum im Studio gibt, oder warum da jetzt immer die "Zuschauer innen" begrüsst werden. Ein Trumpf hat von der Lippe dabei allerdings wirklich im Ärmel: Er spielt seit Jahren keine Rolle mehr und kann insofern trotz Alarmstufe Rot auf der Political Correctness Skala auf keinen Fall gecancelt werden.
Das "C" in FC Bayern steht für Corona
Naja, egal. Es gab ja diese Woche noch andere Highlights. Etwa vom Jürgen von der Lippe der Bundesliga: Dem FC Bayern München. Beim FC Hollywood hat der hochbezahlte Luxuskader die Bedeutung von "There´s no Glory in Prevention" offensichtlich irgendwie falsch verstanden und seine Urlaubsziele für die Weihnachtstage nach Superspreader-Potenzial ausgewählt.
Pünktlich zum Auftakt der Rückrunde haben sich darum etwa 50 Prozent des relevanten Kaders mit Corona infiziert und dadurch dem Spielbetrieb entzogen. Das führte umgehend zu reichlich Spott, Unverständnis und einer hübschen Heimniederlage gegen Borussia Mönchengladbach. Also ausgerechnet dem Team von Edelfan Dunja Hayali.
In Anbetracht der ungewöhnlichen Situation, statt elf nur neun Nationalspieler in der Startelf aufbieten zu können, zeigte man sich an der Säbener Strasse leicht pikiert, dass die DFL eine bayernfreundliche Absage des Spiels nicht in Erwägung zog. Das ist ein bisschen so, als würde ich Christian Lindner vor dem Bundestag auflauern, ihm einen linken Haken verpassen und hinterher die FDP verklagen, weil ich mir an Lindners markantem Kinn einen Fingernagel abgebrochen habe.
Mal schauen, wie sich der Rekordmeister am nächsten Spieltag schlägt. Da geht es immerhin nach Köln. Ich werde berichten. Schöne Woche.
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