Als meine Kolumne von letztem Montag überschattet war von Sprach- und Hilflosigkeit den Überfall Russlands auf die Ukraine betreffend, hatte ich – auch wenn ich keine Zeile darüber verlor – eine gewisse Resthoffnung. Resthoffnung darauf, die konzentrierte, unmissverständliche und einzigartig geschlossene Reaktion der freien Welt könne Wladimir Putin zu einem Umdenken bewegen oder meinetwegen notfalls auch zwingen. "Little did she know", sagt man im amerikanischen – und das ist in meinem Fall fraglos zutreffend.
Very little did I know. Wie auch? Ich bin keine politische Journalistin. Ich bin keine Kennerin der Situation in den Ländern, die man früher mal hinter einem Eisernen Vorhang wähnte und die im Strudel eines nicht enden wollenden Kräftemessens mit Amerika sogar meine Mutter auf die Strasse trieb. Ich habe mich, wie vielleicht viele von uns, jahrelang viel zu wenig mit der Situation um
Um so entschlossener möchte ich heute sein. Wenigstens. In den letzten Tagen, als auch meine Familie Tag für Tag erschütterter wurde und mich als Nesthäkchen zurecht für besonders ahnungslos hielt, habe ich jede Menge alter Bilder zugeschickt bekommen. Per Handy abfotografiert aus alten Fotoalben. Meine Mutter hat im Keller sogar eine alte "Friedensmarsch ´81" Kappe gefunden. Ich werde sie mit Stolz auf der nächsten Demo tragen.
Was ich damit eigentlich sagen wollte: Meine Hoffnung ist geschwunden. Auch diese Woche steht im Schatten einer verbrecherischen Kriegshandlung, die – das steht schon heute fest – zumindest die Ukraine und Russland um Jahrzehnte zurückwerfen wird. Und tausende, wenn nicht mehr, unschuldige Leben nehmen wird. Dieser Gedanke ist unerträglich.
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Russland: Diktatur vor unseren Augen
Ich kann verstehen, dass dafür oft Worte fehlen. Mir jedenfalls. Statt Einlenken und Vernunft erkennen zu lassen, lacht Wladimir Putin in seinem grenzenlosen Grössenwahn der freien Welt ins Gesicht. Lässt seine Armee Schüsse und Raketen auf ukrainische Kindergärten, Wohnviertel, Krankenhäuser, Atomkraftwerke, Versorgungs-Flughäfen und Privatpersonen regnen. Schon nach zehn Tagen sind so viele Kriegsverbrechen dokumentiert, dass das Internationale Strafgericht in Den Haag später allein mit den Anklageschriften gegen Putin und seine engsten Vertrauten mehrere Schrankmeter in den Archiven füllen wird.
Von aussen betrachtet erscheint es daher annähernd grotesk, dass innerhalb Russlands weiterhin ein Grossteil der Menschen den Lügenmärchen der Putin-Propaganda Glauben schenkt. Es ist für eine freie Gesellschaft wie die, in der wir das Glück haben leben zu dürfen, nicht vorstellbar, dass alle kritischen Medien, Journalisten, Online-Magazine, Blogs, Podcasts, Zeitungen, Radio- und TV-Sender einfach verboten und ruhiggestellt werden können.
Dass nur noch manipulierte Kriegspropaganda versendet wird, die als grösste Gehirnwäsche der Historie in die Geschichtsbücher eingehen wird. Russland, so wird es innerhalb des von Putin inzwischen diktatorisch geführten Landes fortlaufend erklärt, möchte in einem selbstlosen Akt der Friedensmission die Ukraine befreien von der Unterjochung durch Nazis und Drogenbarone.
Die Frage, warum dann seit Kriegsbeginn mehr als 1,5 Millionen Menschen vor ihren angeblichen Befreiern in den so verhassten und unterjochenden Westen geflohen sind und die daheimgebliebenen, auch und gerade die Zivilbevölkerung, die russischen Invasoren mit allem bekämpfen, was sie haben, wird nicht gestellt und vor allem nicht beantwortet. Es gäbe nämlich nur eine einzige richtige Antwort darauf: Jedes Wort, das Wladimir Putin, seine despotenhörige Führungselite und seine PR-Maschinerie öffentlich äussern, ist eine Lüge.
Es gibt keine Befreiung der Ukraine, es gibt keine Entnazifizierung. Es gibt keine jubelnden Ukrainer, die den russischen Panzerfahrern Blumen und ihre Herzen schenken, wie es auf deutschen Strassen der Fall war, als die Alliierten den letzten Weltkrieg beenden konnten. Was es gibt sind Völkerrechtsverletzungen und Bomben auf Kinder. Putin ist kein Befreier. Putin ist ein Schlächter und ein Kriegsverbrecher – und er wird für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werden.
Lieber frieren als Blut an den Händen
So viel ist klar. Putin wird nicht davonkommen. Jeden noch so kleinen Gedanken an die Wiederaufnahme normaler diplomatischer Beziehungen zu einem Russland unter Putin würden die Völker der Welt ihren gewählten Vertretern niemals verzeihen. Putin, scherzend mit den Mächtigen der Welt in den Prunksälen der Regierungspaläste oder weltmännisch auf G7-Gipfeln, das ist ein Bild, das auf ewig der Vergangenheit angehören wird. Putin hat die Ukraine angegriffen – aber sich selbst beerdigt. Egal, wie der Krieg in der Ukraine ausgehen wird. Die Menschen haben viele Ängste und jeder trägt sein eigenes Schicksal als grösste Hürde seines Lebens mit sich – aber kaum etwas hat die Menschen der Welt jemals so vereint wie die Fassungslosigkeit und die Wut über die kriminellen Handlungen von Wladimir Putin der letzten zehn Tage.
Die Angst vor einem kalten Winter, sollte man die Sanktionen gegen Russland vervollständigen, schwindet. Ich höre vielerorts Sätze wie "lieber frieren als schämen". Die einen wünschen sich einen neuen Stauffenberg, nur mit mehr Erfolg. Die anderen setzen die Nato unter Druck, in der Ukraine einzugreifen. Und damit womöglich einen dritten Weltkrieg heraufzubeschwören. Zumindest jedoch einen gigantischen Versorgungsengpass im Energiesektor, denn nach wie vor fliessen für Gaslieferungen wohl 700 Millionen Euro aus dem Westen nach Russland – am Tag! Wenn man so will, heizen wir mit den Wohlfühltemperaturen in unseren Loft-Wohnungen Putin die monetären Mittel in die Hände, die er benötigt, um diesen Krieg überhaupt finanzieren zu können.
Die vollkommene Abkehr von jeglicher Realität auf der Seite der Aggressoren lässt sich recht einfach mit einem Twitter-Beitrag der Russischen Botschaft in Wien dokumentieren. Ein Bild, das zeigt, wie ein Beutel Roter Farbe das Schild der russischen Botschaft in die Farbe des Blutes getaucht hat, kommentierte die russische Botschaft mit den Worten: "Eine barbarische Aktion". Barbarisch. Ein Farbklecks. Wie kaputt muss jeder moralische Kompass im Umkreis mehrerer Denkkilometer sein, wenn sein eigenes Land gerade ein winziges Nachbarland in Schutt, Asche und Leid legt und man dann das Verschmieren eines Botschafts-Klingelschilds als barbarisch bezeichnet?
Russlands Machthaber haben, das ist wohl unstrittig, jedweden Kontakt zur Realität verloren. Insofern geht es in diesem gigantischen, weltweiten Infokrieg nicht nur um die Ukraine, sondern auch um Russland selbst. Die fantastischen Menschen in diesem aussergewöhnlichen Land. Sie haben es nicht verdient, von einem Diktator an ihrer Entfaltung gehindert und mittels milliardenschwerer Manipulations-Propaganda vor der Wahrheit isoliert zu werden.
Es ist der Anfang vom Ende
Wie viel Angst muss ein Regime vor der Wahrheit über ihr eigenes Tun haben, wenn sie Medien zensiert, Demonstranten einsperrt, Legitimationen für ihre vorsätzlichen Kriegsverbrechen erfindet, Social Media Plattformen sperrt und Zugänge zu echten Informationen von ausserhalb der eigenen, kontrollierten Staats-Propaganda schliesst? Wie sehr muss man sein Volk hassen, um die Welt an den Rand eines Weltkrieges zu drängen und für diesen geistesgestörten Egotrip die Versorgung der Menschen in seinem eigenen Land mutwillig zu sabotieren?
Wenn Du im Recht bist, weiss es schnell die ganze Welt und jubelt Dir zu. Solidaritätsbekundungen überfluten die Nachrichten. Helden werden geboren. Und Helden wurden geboren in diesen Tagen. Viele. Keiner jedoch aus dem Umfeld von Wladimir Putin. Es sind ausnahmslos ukrainische Menschen, vom Staatspräsidenten über die Klitschko-Brüder und die mutigen Mütter, die ihre Kinder alleine bis über die sichere Grenze bringen, bis hin zum kleinen Bauern, der mit seinem 30 Jahre alten Traktor einen russischen 25-Millionen-Panzer aus dem Verkehr zieht. Früher oder später werden die Geschichten dieser Helden auch den letzten Winkel Russlands erreichen. Spätestens dann wird Putins System der Kleptokratie und der Megalomanie aus dem Inneren heraus zusammenbrechen.
Nun bin ich bereits wieder am Ende dieses Wochenrückblicks angelangt. Ich möchte mich entschuldigen, dass es erneut nichts zum Schmunzeln gab. Die Woche hätte Potenzial gehabt. Schalke 04 beispielsweise hat das gemacht, was es am besten kann: Trainer entlassen. Vielleicht, mit viel Fortune und politischer Raffinesse der Mächtigen der Welt, gibt es ja kommenden Montag wieder etwas Anlass zu Ausflügen in die schöne Welt der ausschweifenden Belanglosigkeiten. Ich könnte es gebrauchen. Bis dann!
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