Kurz bevor mich am Dienstagabend ein vorzeitiger Blasensprung drei Wochen vor meinem errechneten Geburtstermin spontan zu einem ungeplanten, aber dafür weiterhin anhaltenden Klinikaufenthalt überredet, flaniere ich noch über einen Berliner Weihnachtsmarkt, erfreue mich der typischen Berliner Gesprächsfetzen, die man in Menschenmengen so aufschnappt ("Fünf Fuffzich für diese olle Thüringer? Rappelts bei dir? Senf dabei kost mich wahrscheinlich ooch noch ma zwee Euro oder watt?") und plane in Gedanken mein Weihnachtsfest.
Übrigens, nur als Kontext für alle, die nicht dabei waren: Mit "diese olle Thüringer" war nicht
Für den Verzehr einer solchen antibiotikaverseuchten Koronaren Herzerkrankung in Stockform könnte man mir ein Vielfaches der diskutierten 5,50 Euro bieten, ich würde dennoch ablehnen. Thüringer Weihnachtsmarkt-Würste aus dem Fleisch-Grossmarkt – quasi der Zauberstab, mit dem ein bestimmter Trick verlässlich jedes Mal gelingt: Das herbeizaubern von verstopften Herzkranzgefässen.
Schönheit liegt im Auge des Betrachters
In diesem Szenario jedenfalls erblicke ich plötzlich eine ehemalige GNTM-Finalistin, mit der mich eine lose Freundschaft verbindet, seit ich sie mal in einem Text über eine Folge von
Nach einem hochsensiblen Floskel-Austausch vor dem Holzweihnachtsschmuck-Eldorado versichern wir uns, dass wir im neuen Jahr gemeinsam mit ein paar gemeinsamen Freunden, die ebenfalls einen GNTM-Hintergrund mitbringen, eine vegane Bolognese kochen wollen (auf jeden Fall!) und gehen unserer Wege. Den Rest des Abends verbringe ich damit, darüber zu sinnieren, warum das deutsche Äquivalent zu
Bevor ich jetzt aber detaillierter auf diesen hochbrisanten und gesellschaftsrelevanten Heimweg-Gedanken eingehe, möchte ich vorwegschicken: Dieser Wochenrückblick wird (das kommt nach diesem Intro sicher überraschend) durchaus etwas oberflächlich werden. Nach den demnächst eintrudelnden Twitter-Kommentaren á la "Geht es noch sexistischer und irrelevanter?" könnte man vermutlich eine Atomuhr stellen. Aber: Mir egal. Ich habe gerade fast 72 Stunden im Kreisssaal, gefolgt von 48 Stunden Schlaflosigkeit mit einem Neugeborenen hinter mir und werde daher jetzt und hier bestimmt nicht an der Pulitzer-Preis-Palme rütteln.
Nein, heute soll es um etwas gehen, das ich nach 10 Monaten Schwangerschaft und tagelanger Verwahrlosung im Wochenbett kaum noch Buchstabieren kann: Schönheit. Verläuft sie linear oder entgegengesetzt, wenn es um das beliebte Thema Anziehungskraft geht. Verhält Schönheit sich da wie Yin und Yang oder doch eher wie sich gegenseitig abstossende Magnet-Pole? Anders als eine Unbeteiligte wie ich auf den ersten Blick nämlich vermuten würde, scheint der Impuls "Schön zu Schön gesellt sich gern" weniger ausgeprägt vorhanden zu sein als erwartet. Und dafür gibt es wissenschaftliche Evidenz.
Supermodels etwa, ähnlich wie offenbar GNTM-Finalistinnen, verlieben sich überdurchschnittlich oft in Männer, die ihnen zumindest auf der äusserlichen Attraktivitäts-Skala nicht das berühmte Wasser reichen können. Schönes Thema. In Zeiten von #MeToo möchte ich aber ergänzen: Mir ist bewusst, dass eine Bewertung auf Äusserlichkeiten keinerlei Substanz oder gar Relevanz hat. Dennoch bleibt es interessant. Oder glauben Sie, die seit Wochen unsere Boulevard-Blätter elektrisierende Pocher-Trennung hätte ein Medienecho, wie wir es gerade erleben, wenn Amira (Noch-)Pocher phänotypisch weniger Richtung
Waldschrat vs. Supermodel
Ja, ich weiss. Unwichtig, aber faszinierend. Ich kann mit Schönheit und der damit einhergehenden Banalität leben, ohne sie zu ernst zu nehmen. Wer mich kennt, den überrascht diese Überzeugung vermutlich nicht – aber für die anderen Leser, die die letzten Jahre im Koma lagen, habe ich das mal ins Protokoll aufgenommen.
Unsere auf Hochglanz aufglamourisierte Welt funktioniert eben so. Ich habe die Regeln nicht gemacht. Ich tue nur zu wenig dagegen, das gebe ich zu – und profitiere bisweilen sogar davon. Denn in meiner Welt, in Magazinen, Filmen, Musik-Videos, Social Media, Events, dem TV und natürlich nicht zuletzt der Fashion-Branche wird ein Schönheits-Ideal propagiert, das sich in den Köpfen der Konsumenten verankert und dann langsam runter sickert bis in die Kinderzimmer und die TikTok Accounts leichtbekleideter Minderjähriger, die anhand eines Schönheits-Rankings entscheiden, wem sie nach dem Club gönnen würden. Klingt erstmal eigentümlich, ist es auch. Dazu aber an anderer Stelle mehr.
Eppendorfer Möchtegern-Model-Jungmütter, die ihren 4-jährigen Töchtern bereits Dior-Stiefel und Miu Miu-Miniröcke verordnen, sind einer der vielen absurden Auswüchse dieses oftmals fehlgeleiteten Diktats von Stil, Trend und Schönheit. Ich habe diese Entwicklung nicht in Gang gesetzt, genau so wenig, wie ich sie stoppen kann. Ich beobachte aber.
Und hier kommen wir an diesen "Supermodel x Bad Boy" Punkt, der mich seit dem Weihnachtsmarkt beschäftigt. Warum haben so viele weltbekannte Models, immerhin so was wie die Königinnen der Schönheit in unserem System der Trivialität, Partner oder Ehemänner, die (Achtung, Oberflächlichkeits-Alarm) auf herkömmlichen Klischees basierenden Attraktivitäts-Hitlisten möglicherweise eher 5 bis 12 Stufen unter ihrer jeweils eigenen rangieren würden?
Für Dich solls Axl Rosen regnen
Jeder kennt doch die Bilder. Als Guns´N´
Diese Konstellation ist kein Phänomen der 90er. Heute laufen mir optisch auf dem Papier erstmal absurdesten Paarkonstellationen mehr denn je über den Weg. Von unzähligen Victoria´s Secret Angels bis zu den Ikonen unserer Zeit – es gibt auch hier mehr fantastische Beispiele für unorthodoxe Verschmelzungen als FDP-Wähler:
- Adriana Lima: war mit Marko Jaric verheiratet. Einem serbischen Basketballprofi, der immer ein bisschen aussieht, als käme er direkt aus einem Streetfight zwischen verfeindeten Drogenbossen.
- Heidi Klum: vereinigt in ihrer Historie von Ex (Ehe-)Männern so illustre Kandidaten wie Ric Pipino sowie Flavio Briatore und rundet sie aktuell mit Tom Kaulitz ab. Das ist der eine von den Tokio-Hotel-Zwillingen, der aussieht wie ein adipöser Jesus. Nicht der, der bei Joko Winterscheidt eingezogen ist. Männer vornehmlich, die meine Mutter für Fotos auf einer Familienfeier eher an einen Tisch möglichst weit abseits des Weitwinkelobjektivs platzieren würde.
- Anastassija Makarenko datet seit sehr vielen Jahren Mickey Rourke. Auf Couple-Fotos wirken beide stets wie ein Supermodel, das gerade zufällig ihren völlig zugedröhnten Urgrossvater von der Strasse aufgelesen hat und jetzt schnell zurück ins Heim bringen möchte.
- Lily Aldrigde und Caleb Followill. Wenn man den Kings of Leon-Sänger neben Lily sieht, reagiert das Gehirn automatisch im ersten Moment mit dem Gedanken: Oh, der Stalker hat es aber nah an sie rangeschafft.
- Mit Josephine Skriver hat ein weiterer Diamant aus der besten Victoria´s Secret Generation ihr Herz an einen Mann verloren, den man eher an der Seite von Jigsaw (dem Monster aus den "Saw"-Filmen) als im Arm einer der schönsten Frauen des Jahrhunderts vermuten würde: Alexander DeLeon.
- Oder auch Behati Prinsloo. Sie ist mit Adam Levine verheiratet. Okay, Adam ist nicht unbedingt in die Kategorie "Ugliest Man Alive" einzuordnen. Sein Hang zu Exzessen. Affären. Fremdgeh-One-Night-Stands, Ganzkörper-Tattoos und sein Drang, sich möglichst oft komplett nackt zu zeigen, würde meine Mutter dennoch dazu verleiten, ihn auf einer Wunsch-Schwiegersohn-Skala von 1-10 so etwa bei Minus 3 einzuordnen.
Diese Beispiele sind sogar nur der berühmte Tropfen auf dem heissen Stein. Es handelt sich also um einen belastbar belegbaren Trend, nicht um zufällige Ausnahmen zur Bestätigung der Regel. Warum ist das also so?
Ist Schön + Schön wie Minus mal Minus?
Man kann nur spekulieren. In einer Welt voller - oftmals mit viel Aufwand extrem manipulierter - Schönheit, sehnt man sich vielleicht einfach im Privaten nach etwas Rauem? Etwas Wildem? Etwas, das nicht wieder der Schönheitsnorm entspricht, das disruptiv auf das Leben wirkt und sich völlig unterscheidet von der Glitzerwelt des Jobs? Können Frauen, die ihr Leben in dieser Beauty-Welt verbringen, womöglich besser erkennen, was wirkliche Schönheit ist? Supermodels sind finanziell selbst abgesichert. Das typische Gold-Digger-Phänomen ist nicht identifizierbar.
Bleibt noch eine steile These: Ist Schönheit für Frauen womöglich unwichtiger als für Männer? Brauchen Frauen, die sehr gut aussehen, viel weniger diesen psychologischen Pusher, einen möglichst attraktiven Partner zu haben, um sich in ihrem Umfeld geschätzt zu fühlen? Können sich Frauen, die sich optisch nichts mehr beweisen müssen, eher auf innere Werte, Charakter oder Talente bei ihrer Partnerwahl fokussieren? Oder ist das ganze einfach nur ein logisches Bild der Realität: Es gibt tolle Menschen, die gut aussehen und es gibt tolle Menschen, die optisch eher die Blutgrätsche machen.
Und die alte Regel "man datet in seiner Preisklasse" verschiebt sich bei den Parametern der Bewertungsgrundlage von Optik zu Menschlichkeit? Sind genau die Frauen, mit denen die Industrie es schafft, Schönheits-Normen zu kreieren, am Ende sogar die, denen es gelingt, genau dieses Diktat der vorgefertigten Ideale zu ignorieren? Und wenn dem so ist – was wäre das für ein Signal an die "Schönheit", die wir alle in dieser Branche verkaufen? Eine interessante Frage. Ich bleibe dran.
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