Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, das wusste schon Hermann Hesse. Wie viel Trash-TV Hesse zu Lebzeiten konsumiert hat, ist nicht eindeutig überliefert. Dass er mit besagtem Anfang und besagtem Zauber das Fernseh-Jahr sowie den Jahresbeginn gemeint haben könnte, darf aber wohl auch ohne Literaturstudium mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.

Marie von den Benken
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Marie von den Benken dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Und doch birgt der Januar, nach üblicher aktueller westeuropäischer Kalenderstruktur gesehen der Startmonat eines jeden Jahres, neben meist recht durchwachsenem Wetter und gebrochenen Neujahrsvorsätzen vor allem Zauber für all diejenigen, die sich an der Unterhaltungsfront vor allem für TV-Erlebnisse begeistern lassen, für die man selbst im intellektuellen Nichtschwimmerbecken noch Schwimmflügel bräuchte.

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Voller Vorfreude dekliniert man da auf der heimischen Couch vor dem 85-Zoll-Flachbildschirm (jetzt zu 0,00 effektivem Jahreszins kaufen und in gemütlichen 3248 Monatsraten zu 3,00 Euro finanzieren) schnell die anstehenden fernvisuellen Grossereignisse durch. Legt man die Messlatte etwas kundenfreundlicher als nötig an, zählt zu diesen Highlights, die das Televisions-Jahr für den Reality- und C-Promi-Fan bereithält, sogar schon das grosse "RTL Turmspringen". Das gab es exklusiv und live in quälenden 4,5 Stunden am Freitag zur Primetime.

In Anbetracht der Tatsache, dass RTL uns auch schon "Adam sucht Eva" oder "Reality Queens auf Safari" in die Wohnzimmer eskaliert hat, ein durchaus brauchbares Format, auch wenn der Name etwas verwirrend gewählt ist. Während die Sendung von Freitagabend Viertel nach Acht (Grüsse an "Bild TV" an dieser Stelle) bis in den frühen Samstagmorgen dauerte, sprang in der gesamten Sendezeit, in der man locker auch Japanisch hätte lernen und danach noch schnell eine handelsübliche Doppelhaushälfte fertig bauen können, kein einziger Turm.

Eine Beobachtung, die mich seither nachhaltig beschäftigt. Wieso nennt man eine Sportart Turmspringen, wenn gar keine Türme springen? Weil man auf einem Turm steht und von dort runterspringt? Das ist für mich nicht stringent zu Ende gedacht. Fussball heisst ja auch nicht Stadionball, weil man in einem Stadion spielt.

Perlen der TV-Unterhaltung

Egal. Beim Turmspringen ohne Turmsprung war zumindest mein absoluter All Time Girl Crush Kim Hnizdo, insofern hätte ich auch bis kommenden Donnerstag durchgeguckt, ohne aus Ermangelung an springenden Türmen das Zapping-Weite zu suchen. (Erfundenes) Fun-Fact: Nach "Reality Queens auf Safari" wollte der Deutzer Publikumsmagnet-Erfinder RTL übrigens mit "Trash-TV Ikonen im Kotzrausch" nachlegen, hat dann aber glücklicherweise noch rechtzeitig festgestellt, dass es dafür beim Deutschen Bewegtbild-Konsumenten keinen Markt gibt. Wenn man nur Insidern und Geistesgestörten bekannte Menschen zusehen und dann vor Ekel kotzen will, kann man sich ja jederzeit einen Parteitag der AfD ansehen. Und da gibt es nicht mal Werbeunterbrechungen, ausser gelegentlich für Remigration. Aber das ist eine andere Geschichte.

Stichwort Promis und Kotzen: Gleich im Anschluss an das Turmspringen spendiert uns RTL nur eine Woche später, nämlich bereits diesen Freitag, das nächste Reality-Highlight des Jahres: "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus". Die Büffelhoden-Festspiele aus der Kulinarik-Ecke sind gemeinhin unter "Dschungelcamp" bekannt. Ganz harte Ironie-Junkies bevorzugen sogar die Hashtag-Kurzform #IBES. Das klingt zwar immer wie ein bescheiden komfortables Drei-Sterne-Hotel mit viel zu kleinen Zimmern und viel zu buntem Ambiente, ist aber tatsächlich der Qualitäts-Garant für Echtzeit-Kommentare auf dem sogenannten Kurznachrichtendienst X, den viele noch unter seinem Mädchennamen Twitter kennen.

Klum as you are

Dieses Jahr werden sich im australischen Dschungel traditionell wieder zwölf Feingeister ihre Notdurft am genderneutralen Regenwald-Plumpsklo verrichten, die die europäische Auffanggesellschaft für resozialisierungswillige Teilzeit-Privatinsolvenzler mit Trash-Hintergrund (RTL) kurzerhand zu Prominenten hochgehyped hat.

Als da wären: Anya Elsner, Cora Schumacher, David Odonkor, Fabio Knez, Felix von Jascheroff, Heinz Hoenig, Kim Virginia, Leyla Lahouar, Lucy Diakovska, Mike Heiter, Sarah Kern, Twenty4Tim. Wenn Sie jetzt verblüfft sagen: Hey, da kenne ich kaum jemanden von – Schwamm drüber. Ich bin sicher, einige dieser, naja, Promis, hat RTL per KI erzeugt. Heinz Hoenig kenne ich noch, auch Cora Schumacher und David Odonkor. Dann wird es aber auch schon eng. Und mal ehrlich: Twenty4Tim ist nicht mal ein richtiger Name. Das klingt eher wie ein Gay-Swinger-Club.

Zum Glück startet das TV-Jahr nach dem Dschungelcamp direkt richtig durch und öffnet im Februar die Quotenpforten für Strassenfeger wie "Germany´s Next Topmodel" und "Let´s Dance". Bei der gerne längengeschmeidig mit GNTM abgekürzten Synapsen-Doku mit Model-Akademie-Dekanin Heidi Klum als Runway-CEO erwarten uns diese Saison die liebgewonnenen Highlights Umstyling, Höhen- sowie Nacktshooting und Attitude-Alumni Thomas Hayo sowie eine signifikante Neuerung: Nach 18 Jahren fest in feministischer Hand sind ein Jahr vor dem 20. Jubiläum erstmals auch männliche Models mit in der Verlosung.

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Der Grund, weswegen nun auch Y-Chromosom-Träger zu den grossen Plusquamperfekt-Festspielen zugelassen werden, bleibt unklar. Ob Heidi Klum inzwischen bereits Alternativen zu ihrem mittlerweile vom Teenie-Schwarm zum leicht wohlstandsverpropperten Jesus mutierten Ehemann sucht oder ein hormongesteuerter, signifikanter Drama-Booster in der Model-Villa erhofft wird? Man weiss es nicht. Oder jedenfalls ich nicht. Jobst Benthues weiss es vielleicht. Und eventuell Tiësto. Der Niklas Süle der Grossraum-DJs steuert dieses Jahr nämlich den offiziellen GNTM-Titelsong bei.

Übrigens: Wenn Sie Jobst Benthues ebenso wenig kennen wie Twenty4Tim, sparen Sie sich bitte die Mühe, ihn aufwändig zwischen den unterdessen unzähligen "Love Island" und "Bachelor" Ex-Kandidaten zu verorten. Benthues ist der Chef der Produktionsfirma, die GNTM verantwortet und damit auch derjenige, der seit Jahren bei der Planung der neuen Staffel zuverlässig den Fehler macht, Deutschlands bekannteste GNTM-Kommentatorin (Marie von den Benken, klasse Autorin, googeln Sie mal!) als Gastjurorin einzuladen.

Das Allerschönste, was Füsse tun können, ist Tanzen

Beim beliebten freitäglichen Tanztee "Let's Dance" dagegen waren schon von Tag eins an Männer unerlässlich. Wer würde sich nicht gerne daran zurückerinnern, wie beispielsweise Italo-Hüftschwinger Massimo Sinató seine jetzige Ehefrau Rebecca Mir direkt vom Dancefloor weggefoxtrottet hat? Oder an den ersten Gewinner, Wayne Carpendale, der damals noch bei Hape Kerkeling vortanzte? Oder an Ingolf Lück, der in 14 Wochen auf dem Ossendorfer Tanzparkett von Ekaterina Leonova vom laufenden Kleiderständer zum spektakulären Doppelter-Rittberger-Aspiranten hochgepeitscht wurde? Oder an Jorge González, das atomphysikstudierte Outfit-Entfant-Terrible?

Über "Let´s Dance" übrigens können Sie sich ab Februar genau hier an dieser Stelle wöchentlich zu jeder Folge der neuen Staffel exklusiv bei Deutschlands wichtigster Tanz-Ikone nach Joachim Llambi informieren. Wie immer brauchen Sie das sich oftmals über mehr als vier Stunden erstreckende Langzeitformat nicht selbst zu verfolgen, denn das werde ich für Sie tun. Weil das hier eine Service-Kolumne ist.

Auch die Kandidaten der Tanz-Olympiade 2024 für Bewegungs-Asketen stehen bereits fest. Ähnlich wie im Ensemble des Dschungelcamps hagelt es hier vermutlich einige "Hä?" und "Wer ist das?". Ein wenig Federn lassen musste die Reputation der aufwändigsten Discofox-Hommage aller Zeiten offenbar aktuell. In den letzten Jahren galten die Startplätze bei "Let's Dance" als heissbegehrt unter A-Promis und echten Stars.

Namen wie Sylvie Meis, Katja Ebstein, Victoria Swarovski, Janin Ullmann, Vanessa Mai, Sarah Lombardi, Brigitte Nielsen, Regina Halmich, Andrea Sawatzki, Patrick Lindner, Nastassja Kinski, Sonja Kirchberger, Giovanni Zarrella, Anni Friesinger, Thomas Hermanns, Nazan Eckes, Oliver Pocher, Evelyn Burdecki, Laura Müller, Sabrina Setlur, Lola Weippert, Jan Hofer, Mickie Krause, Kai Ebel, Amira Pocher, Michelle, Hardy Krüger Jr. oder Knossi gaben sich auf dem Tanzflur die Trainings-Klinke in die Hand.

Dieses Jahr erwartet uns dagegen mit Ann-Kathrin Bendixen, Detlef D! Soost, Eva Padberg, Gabriel Kelly, Jana Wosnitza, Lina Larissa Strahl, Lulu, Maria Clara Groppler, Mark Keller, Simon Brunner, Sophia Thiel, Stefano Zarrella, Tillman Schulz und Tony Bauer ein Ensemble, gegen das der Cast von "Berlin Tag und Nacht" wie das Line-up des neuen Martin Scorsese Blockbusters wirkt. Das ist im Prinzip so, als hätten die letzten 16 Jahre lang Coldplay, U2, die Rolling Stones und Metallica auf deinen Geburtstagspartys live gespielt – und dieses Jahr kommen dann die Flippers. Aber das macht nichts: Ich freue mich trotzdem auf das Fernsehjahr 2024. Und Sie jawohl auch, oder?

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