Iris Berben wird 70. Aber vor allem ist die Schauspielerin furchtbar cool erwachsen geworden: Sie hat sich gegen die Nonnen im Internat aufgelehnt und gegen die 50er Jahre. Sie hat mit den Rolling Stones getanzt und sich mit KZ-Überlebenden getroffen. Und im Fernsehen kann sie spielen, was sie will: Wir bewundern sie.

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1995 war Iris Berben auf der Berliner Love Parade – inkognito. Sie wollte unbedingt einmal hin, "mittanzen, mitfeiern, wild sein", ohne Aufsehen und ohne Anmache, ohne Schminke, aber mit blonder Perücke und Sonnenbrille.

Das funktionierte, bis sie zum ersten Mal den Mund aufmachte. Also nicht sehr lange. "In dem Moment, in dem ich spreche oder lache", da würde man sie erkennen, hat sie gerade in einem Interview erzählt. Einem von unzähligen, die die Schauspielerin seit Wochen gibt.

Iris Berben wird 70, und Deutschland schwelgt in einem verzückten Delirium. Kaum eine Zeitschrift ohne ihre Lachfalten auf einer ganzen Seite, keine Radiosendung ohne ihre unverkennbare Stimme, mit diesem entspannten Timbre, das noch den banalsten Beobachtungen Tiefe verleihen würde. Das Fernsehen feiert sie mit gefühlt täglich mindestens einem Film über sie oder mit ihr.

Männer bekommen einen verklärten Blick und Frauen werden zu kichernden Groupies, oder umgekehrt, oder beides. Wenn es ein Idol gibt, auf das sich dieses Land einigen kann, dann ist das Iris Berben. Bei keiner anderen zeitgenössischen deutschen Schauspielerin sind persönliche Auftritte und klug gewählte Rollen zum Idealbild einer Frau verschmolzen, die Eleganz und Lebenslust, Stil, Erotik und Klugheit, politisches Engagement und Lebenslust so lässig vereint, dass sie jede Emanzipationsdebatte ersetzen könnte.

"Cool erwachsen werden", hat Iris Berben das gerade in einem Interview mit der Berliner Radio-Eins-Moderatorin Bettina Rust genannt, und besser kann man die ewig gleichen Fragen nach dem Älterwerden nicht vom Tisch fegen.

Iris Berben ist nicht 70, Iris Berben ist einfach voll da

Die Schauspielerin ohne klassische Schauspielausbildung und ohne Abitur kam am 12. August 1950 in Detmold auf die Welt. Sie stammt aus einer unkonventionellen Familie: Da gab es eine Urgrossmutter, die mit ihrem Klavierlehrer durchbrannte, und Berbens Eltern liessen sich scheiden, da war die Tochter vier Jahre alt – für die Zeit eine Aufsehen erregende Entscheidung.

Der Vater war Gastronom, die Mutter eine auf ihre Unabhängigkeit bedachte Frau, die nach Portugal auswanderte, als Iris noch ein Kind war. Irgendwann baute sie sich dort selbst ein Haus, in Nachbarschaft zur Mutter. Die ist inzwischen tot, aber Portugal ist Berbens Zufluchts- und Erholungsort geblieben.

Berben flog von mehrere Schulen

Iris Berben verbrachte ihre Kindheit bei den Grosseltern in Hamburg und auf mehreren Internaten und einer Klosterschule. Von fast allen ist sie geflogen, aber das lag nicht unbedingt am aufsässigen Wesen der Schülerin. "Das waren Bagatellen", sagt Iris Berben, und heute würden eher die Lehrkörper für die Strafmassnahmen von der Schulen fliegen.

Einmal war es der Besitz einer Schallplatte mit dem Bild einer Frau in Badekluft, dem "Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu Strandbikini". Ein andermal hatte sich die junge Iris aus Albernheit das einzige Accessoire, mit dem man der Schuluniform Individualität verleihen konnte, ins Haar gebunden: einen Schal.

Dafür bekam die 13-Jährige die "schlimmste Strafe", an die sie sich bis heute erinnere: "Ich musste mich drei Stunden vor einen Spiegel setzen." Eine Nonne passte auf, dass sie auch wirklich die ganze Zeit in den Spiegel starrte. "Drei Stunden." Um sich ihre Eitelkeit vor Augen zu führen.

Berben und die wilden 68er

Kurz vor dem Abitur ging Iris Berben ab, weniger wegen dem, was in den Schulen passierte, als vielmehr wegen dem, "was mir nicht erzählt wurde". Mit 18 reiste sie zum ersten Mal nach Israel.

"Ich habe das grosse Glück gehabt", hat sie Rust erzählt, "meinen Geschichtsunterricht, den ich in den 60er Jahren nicht in der Schule bekommen habe, von Menschen vermittelt zu bekommen, von denen ich in meinem Leben nicht erwartet hätte, dass sie überhaupt mit mir sprechen würden." Menschen, die ihr mit der tätowierten KZ-Nummer am Handgelenk gegenüber sassen.

Die deutsch-israelische Versöhnung und der Kampf gegen Antisemitismus wurde zum lebenslangen Anliegen und einem zentralen Aspekt ihres politischen Engagements, für das sie zahlreiche Preise bekommen sollte – aber erst, nachdem sie in den 80er Jahren sehr zögerlich angefangen hatte, damit auch in die Öffentlichkeit zu gehen, mit einer Buchvorstellung hier, einer Lesung dort – man müsse aufpassen, hat sie der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erzählt, "dass man nicht die Vorzeigefrau wird, die man dann aus der Schublade hervorholen kann. Das würde dem widersprechen, was ich eigentlich damit erreichen wollte: Dass jeder für sich selber im Alltag Haltung beweist, und nicht nur zu Gedenktagen."

Doch die Zeit nach dem Schulabbruch brachte vorübergehend auch eine Iris Berben hervor, die die Öffentlichkeit nie sehen sollte. Sie nahm Drogen, hatte eine Abtreibung, unternahm einen Selbstmordversuch.

Es war die Zeit der 68er, und Iris Berben stürzte sich bereitwillig in den Trubel einer Jugend, die gegen die deutsche Verlogenheit der Nachkriegsjahre rebellierte. Sie war inzwischen aus Hamburg nach München gezogen, nahm an Castings teil und bekam eine Rolle in Rudolf Thomes Kinofilm "Detektive".

Sie tanzte mit ihrer Filmkollegin Uschi Obermaier im angesagtesten Club der Stadt, "La Cave", wo sie den Rolling Stones ganz nahekam und wo sich in den 70ern alles traf, was als Münchner Schickeria jahrzehntelang das deutsche Filmbusiness prägen sollte.

Die ersten Rollen

Der Trailer zu "Detektive" lässt sich im Internet betrachten und wird an seiner Lachhaftigkeit nur übertroffen von "Das Stehaufmädchen" von 1970: Willy Bogners einziger Film ohne Skier und mit dem Arbeitstitel "Liebe in Zeiten der APO", in dem Berben ebenfalls vor allem hübsch anzusehen ist.

Auch die Comedyserie "Zwei himmlische Töchter", Michael Pfleghars "Klimbim"-Ableger, mit dem Iris Berben neben Ingrid Steeger ab 1978 erstmals einem Millionenpublikum bekannt wurde, liess noch nicht die spätere Grimme-Preisträgerin erkennen. Im selben Jahr liess sie sich für den "Playboy" fotografieren, ihr Sohn verkaufte signierte Hefte auf dem Schulhof.

Denn 1971 war Iris Berben wieder ungeplant schwanger geworden, aber dieses Mal wollte sie das Kind behalten. Im August kam Oliver zur Welt, den Namen seines Vaters hat die Mutter bis heute nicht öffentlich gemacht. "Oliver war mein Stabilisator, mein Lebensretter", hat Iris Berben über ihren Sohn gesagt. Als habe sie sich instinktiv genau die Disziplin verordnet, die sie vor dem Abrutschen bewahrte.

In der Branche wird Iris Berben bis heute für ihre "Überdisziplin", wie sie es selbst nennt, geschätzt. Ihre Pünktlichkeit und das ständige Sich-selbst-zur-Verantwortung ziehen habe die strenge Internatszeit in ihr verankert, glaubt Berben. "Zwei Minuten zu spät zu kommen ist für mich die Hölle, da kriege ich Magenschmerzen." Die Disziplin und ein vollgepackter Drehplan werden aber auch zum Korsett, das die Lebenslust im Zaum hält, weil sie sonst "alles ausprobieren, alles mitnehmen" wollen würde – und "vielleicht verloren" ginge.

Iris Berbens Sohn ist auch im Filmgeschäft

Oliver Berben ist inzwischen ein Filmproduzent, mit dem sie oft zusammenarbeitet und für den sie unter anderem "Krupp – Eine deutsche Familie" (2009) und den "Wagner-Clan" (2014) gedreht hat.

Wer sonst sollte für deutsche Familiensagas auch besser geeignet sein als Iris Berben, die "Überdeutsche"? In der Seifenoper "Das Erbe der Guldenburgs" spielte sie 1987 bis 1990 eine der interessantesten Frauenfiguren des ZDF-Megahits, die Grafentochter mit Alkohol- und Tablettenproblem Evelyn Lauritzen. In Heinrich Breloers "Buddenbrooks"-Verfilmung (2008) war sie die frömmelnde Konsulsgattin Bethsy Buddenbrook.
Zu Iris Berbens grossen Erfolgen zählt aber auch die Comedyserie "Sketchup", in der sie 1985/86 in 23 Folgen an der Seite von Diether Krebs in völlig entstellenden Masken und hemmungslos albernen Sketchen auftrat – eine Rolle, die sie ganz bewusst annahm um zu zeigen, "dass ich mich nicht auf dem Äusseren ausruhe".

Und dann war da natürlich "Rosa Roth", die Iris Berben seit 1994 verkörperte, zu einer Zeit, als Kommissarinnen noch keineswegs so allgegenwärtig waren wie Leichen im "Tatort". Rosa Roth ist rastlos, taff, nachdenklich, unabhängig, sie hat etwas von einer eigensinnigen Altachtundsechzigerin – kurz: Wäre Iris Berben Beamtin und nicht Schauspielerin, sie wäre Rosa Roth. Nach fast 20 Jahren hatte die Schauspielerin genug, liess sich von dem Flehen des ZDF nicht erweichen und hörte auf. "Auf der Höhe des Erfolgs", und nicht erst, bevor man zum Klischee im Trenchcoat wird.

Längst kann Iris Berben spielen, worauf sie Lust hat. Zum Beispiel 2018 "Die Protokollantin", eine einsame, verwundete Frau, die beim LKA Berlin Aussagen protokolliert und eigenmächtig damit beginnt, das Schicksal ihrer lang verschollenen Tochter aufzuklären. Eine Frau, fast ungeschminkt und im unbarmherzigen Licht der Realität gefilmt. Solche Rollen liebt Iris Berben.

Oder Figuren wie Simone Mankus, die sie gerade gespielt hat – eine launische, saufende Filmdiva, die von ihrer wilden und glorreichen Zeit in den 70er Jahren nicht lassen kann und am liebsten ihre alten Filme sieht. In den Ausschnitten, vor denen die Diva in alten Erinnerungen schwelgt, ist eine junge Iris Berben zu sehen. Und der Name des ZDF-Films ist "Nicht tot zu kriegen": Ein so witziges wie würdiges Geburtstagsgeschenk des Senders an Iris Berben und Iris Berbens an sich selbst.

Iris Berben: Ohne klassische Schauspielausbildung an die Spitze

Sie sei eigentlich erst seit sie 50 ist zufrieden mit sich selbst, hat die Wahl-Berlinerin einmal gesagt. Auch daran dürfte die Internatszeit nicht unschuldig sein: Wer seine halbe Jugend lang wöchentlich nicht nur für seine Schulleistungen (in der Hinsicht war die Schülerin Iris übrigens hervorragend, aber faul), sondern auch für sein Benehmen beurteilt wurde, um zu entscheiden, ob man am Wochenende nach Hause darf, der kriegt die Messlatte sein Leben lang nicht mehr aus sich heraus.

2010 wurde sie, die nie eine klassische Schauspielausbildung absolviert hat, zur Präsidentin der Deutschen Filmakademie gewählt. Das Amt, das sie bis 2019 bekleidete, half, die Anerkennung nicht nur des Publikums, sondern auch der Branche endlich anzunehmen und die Getriebenheit abzulegen.

"Ich habe geliefert", hat sie Barbara Schöneberger in einem Interview im vergangenen Jahr erklärt, sie müsse sich und anderen nichts mehr beweisen. "Das gibt dir eine ungeheure Freiheit."

Und das sei der einzige Vorteil des Älterwerdens – irgendwelche Plattitüden zum würdevollen Altern soll man von ihr besser nicht erwarten. Iris Berben ist einfach nur anbetungswürdig cool erwachsen geworden.

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