Dieter Bohlen wird am Mittwoch 70 Jahre alt. Der Medienexperte Jo Groebel analysiert im Interview mit unserer Redaktion das Medien-Phänomen Dieter Bohlen. Groebel erklärt, welche Parallelen es zu Donald Trump gibt und warum der RTL-Juror vermutlich auch in zehn Jahren noch im TV zu sehen sein wird.
Herr Groebel,
Jo Groebel: Nein, gar nicht. Es gab eine längere Pause, weil RTL eine Zeit lang noch mehr auf journalistische Formate setzte, die dem Sender eben auch eine hohe Reputation eingetragen haben, zum Beispiel RTL Aktuell sowie weitere Informationssendungen und Dokumentationen. Gegenüber polarisierender und provokativer Unterhaltung also ein deutlicherer Akzent auf noch "seriöseres" Fernsehen. Das ist offenbar quotenmässig nicht so angekommen, wie es sehr nachvollziehbar intendiert gewesen war. Mit Dieter Bohlen ist nun wieder eine Gallionsfigur für Tabubruch und Polarisierung zurückgekehrt und präsent. Er bindet Menschen emotional, auch negativ, einfach mehr als liebenswürdige oder neutrale Bildschirmstars. Er ist immer für einen kleinen Skandal oder mindestens respektlose Sprüche gut und zieht damit grosse Aufmerksamkeit auf sich.
Parallel zu Dieter Bohlens zwischenzeitlichem Abschied 2021 wollte RTL diesen Imagewandel vollziehen. Markierte die Rückkehr von Bohlen das Ende dieses Versuchs?
Ich fand den genannten Gentrifizierungsversuch, die Seriositätsoffensive sicherlich sehr lobenswert. Aber ein USP, ein Attraktivitätsmerkmal des Senders war halt immer auch die tabubrechende Unterhaltung gewesen. Da hatte sich offenbar das Publikum gar nicht so sehr verändert. Gerade erst wurde bei "Das Supertalent" eine Blockflöte von einer Vagina gespielt. Das sind die Dinge, mit denen ähnlich vor zehn, 20 Jahren schon einmal viel Erfolg geschaffen worden war. Man dachte, man hätte diese Dinge abgehakt. Aber jetzt sind Polarisierung, Skandalisierung und Tabubrüche wieder angesagt. Wenn man auf die Quoten schaut, laufen solche Formate deutlich besser als Formate mit in die Tiefe gehendem Journalismus, jedenfalls bei einem Privatsender. Und da passt Bohlen natürlich perfekt rein. Er ist die Personifizierung von Polarisierung und provozierenden Sprüchen. Kurz eine eigenständige Marke.
Warum funktionieren Formate wie "Deutschland sucht den Superstar" und "Das Supertalent" anscheinend nicht ohne Dieter Bohlen?
Sie funktionieren auch ohne ihn. Aber mit ihm eben noch besser. Warum? Weil er am lautesten ist, weil er Tabus und Zuspitzung am wenigsten meidet. Dafür steht er, deshalb wundert mich das nicht wirklich. Mit jetzt 70 Jahren widerlegt er auch die These, dass jüngere Menschen im Fernsehen besser funktionieren. Je jünger, desto besser: Das gilt für ihn nicht wirklich. Altersgrenzen sind eine Sache der Vergangenheit. Leider trifft das bei der Besetzung von Unterhaltungsstars auf Männer eher zu als auf Frauen. Ohne Bohlen in einem Atemzug mit
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Bohlen bedient als "Bad Guy" in der Jury die Schadenfreude des Publikums. Ist das noch zeitgemäss?
Offenbar. Schadenfreude ist keine Erfindung der Medien, die meisten Menschen kennen den Impuls von sich selbst. Meist allerdings heimlich, da sie zu Recht nicht salonfähig war. Wir leben nun aber in sehr angespannten Zeiten, solche Phasen fördern nicht gerade die angenehmsten Eigenschaften von Menschen. Frustration führt sehr häufig zu mindestens psychologischer Aggression und eben zu Schadenfreude. Unangenehm finde ich daran, dass ein Bohlen oder auch ein
Immerhin muss man sagen, dass nach mittlerweile Jahrzehnten der Existenz solcher Formate jede und jeder weiss, worauf sie sich einlassen. Man muss es moralisch nicht gutheissen, aber Menschen sind mündig. Und manche profitieren ja auch davon. Menderes Bağci ist regelrecht gedemütigt worden von Bohlen und hat daraus seine eigene Marke entwickelt. Ein anderes Beispiel ist der mittlerweile leider verstorbene Daniel Küblböck. Die Chance ist zwar klein, aber es ist möglich, von den Demütigungen zu profitieren. Demgegenüber sind es mindestens ebenso viele, die die erhaltene öffentliche Schmach nur schwer verkraften. Es gibt aber auch einen grossen, darüber hinausreichenden Kritikpunkt.
"Er hat die Gesetze des Genres voll und ganz verstanden"
Welchen?
Wenn das Runtermachen, das gegenseitige Beleidigen, das Flegelhafte in unseren Umgangsformen salonfähig und sogar zur Erfolgsformel gemacht wird, ist das als Vorbild für eine Gesellschaft sehr bedenklich. Vielleicht ist es generell ein Symptom unserer gereizten und krisenbehafteten Zeit. Jedenfalls ist Bohlen ein deutscher Pionier tabubrechender Unterhaltung. Da es hier um seinen Geburtstag geht, möchte ich aber nicht nur Kritisches, sondern auch Positives über ihn sagen.
Erzählen Sie!
Spätestens seit "Modern Talking", wahrscheinlich schon davor, ist Bohlen ein absoluter Vollprofi. Er hat die Gesetze des Genres voll und ganz verstanden und die richtigen Plattformen bedient. Da geht es nicht um Moral, Würde oder Anspruch. Er ist ein reiner Marktmensch. Ihn interessiert nicht, ob Sachen inhaltlich wertvoll sind oder nicht. Oder ob seine Musik früher Kritiker begeistert hat. Oder ob er bei älteren Herren wie mir Stirnrunzeln hervorruft. Ausserdem weiss er sein Geld bis zur Sparsamkeit zusammenzuhalten. In diesen Punkten hat er alles richtig gemacht.
Nebenbei hat er seine Partnerinnen noch für sich selbst marktmässig einzusetzen gewusst, man denke nur zum Beispiel an Verona Pooth. Die dann wieder von seiner Bekanntheit profitierten. Die Kombination aus Tabubruch und gnadenloser Marktwirtschaft hat er besser drauf als nahezu jeder andere. Es gab immer mal wieder Amateur-Bohlens, die es in Deutschland auch versucht haben. Nicht wirklich erfolgreich. In seinem Bereich, im gerade noch justiziabel nicht anfechtbaren Bereich, ist er ein Superprofi.
Bei "Deutschland sucht den Superstar" gab es einen öffentlich ausgetragenen Streit mit Jurorin Katja Krasavice, die Bohlen vorwarf, sexistisch zu sein…
Das ist er ja auch. Das ist sein Erfolgsmodell. Auch wenn er in der modernen Unterhaltungsbranche tätig ist, würde ich ihm nicht absprechen von der Mentalität her ein männlicher Typus zu sein, wie ich sie in meiner Kindheit in den 1950er-, 60er-Jahren miterlebt hatte. Jemand, der komplett von sich selbst überzeugt ist und sich gar nicht darum schert, was andere von ihm halten. Für den eine Frau genauso wenig wie ein Mann an und für sich Respekt verdient. Wenn sie in sein Marktkonzept passt, wird das eben gemacht. Ich stimme da Katja Krasavice zu, dass da sein Erfolg ein fatales Signal für das Menschen- und besonders das Männer- und Frauenbild ist.
Vermutlich sehnen sich viele Männer sogar nach der überwunden geglaubten Rollenverteilung. Und mögen sich sogar manche Frauen dem gerne aussetzen. Immerhin macht es das Leben auf den ersten Blick häufig übersichtlicher und einfacher. Bohlen sieht nicht so aus, aber er ist gar nicht so weit vom Klischee eines westdeutschen Wirtschaftswunderkapitäns der 1950er Jahre entfernt. Fehlt nur die dicke Zigarre.
Denken Sie, es wäre das Ende von DSDS und "Das Supertalent", wenn sich Bohlen in den Ruhestand verabschieden würde?
Nein. Ich beobachte die Medienlandschaft seit Jahrzehnten. Regelmässig kommen immer wieder mal neue Formate und Stars. Dafür verschwinden andere. Bei "Wetten, dass…?" oder "Ich bin ein Star, holt mich hier raus!" hätte man vor ein paar Jahren noch gedacht, dass es bald vorbei ist. Was man aber nicht vergessen darf: Viele Sendungen stehen und fallen mit ihren Protagonisten. Daher wird Dieter Bohlen noch viele Jahre so weitermachen können. Seine Fans werden ja übrigens mit ihm zusammen älter. Die Riesenquoten im linearen Fernsehen schafft man heutzutage ja gerade mit älteren Leuten. Wenn er achtzig ist, werden seine Fans, die auch wieder zehn Jahre älter geworden sind, immer noch einschalten.
Also gehen Sie davon aus, dass man Dieter Bohlen auch dann noch im Fernsehen sehen wird?
Ja. Ich sage das jetzt mit einem Augenzwinkern: Wenn Trump mit fast achtzig Jahren nochmal für das Präsidentenamt kandidieren kann, wird Dieter Bohlen vermutlich auch im gleichen Alter noch Shows für RTL machen können. Wenn er nicht in die Politik geht. Aber die ist ihm vermutlich zu wenig einträglich.
Über den Gesprächspartner
- Prof. Dr. Jo Groebel lehrte und forscht zu den Wirkungen von TV, Film und Internet auf Handeln, Denken und Fühlen. Er gilt als einer der Begründer der modernen Medienpsychologie, hat national und international 38 Bücher zum Thema publiziert und ist regelmässig selbst in den Medien vertreten, so unter anderem aktuell mit dem wöchentlichen "Medientalk mit Jo Groebel".
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