Eric und Edith Stehfest führen eine offene Ehe. Im Interview erzählt das Paar, was seine Beziehung ausmacht. Die beiden erwarten derzeit ihr zweites Kind.
Eric Stehfest und seine Ehefrau
"Das Leben, das für mich vorgesehen war, war das Leben eines Opfers. Dieses Leben in der Opferrolle hatte ich satt", erzählt
In "Rebellen lieben laut" geben Sie persönliche Einblicke in Ihre Ehe. Was macht Ihre Beziehung so besonders?
Edith Stehfest: Wir haben uns von Anfang an zu 100 Prozent füreinander entschieden. Wir waren zwei Monate zusammen, da wurde ich schwanger - das war gewollt, das haben wir uns gewünscht.
Nach einem halben Jahr haben wir geheiratet, weil wir gesagt haben, durch das Kind werden wir auf ewig miteinander verbunden sein. Und mit unserer letzten Verwandlung - unseren komplett identischen Tattoos - haben wir dem Ganzen ein neues Bild mitgegeben. Wir haben nie lange überlegt, sondern uns für diese Liebe entschieden.
Was mich gleich an Eric fasziniert hat: Er ist nicht nachtragend. Ziemlich am Anfang unserer Beziehung hat er herausgefunden, dass ich noch nicht clean bin - und auch andere Männer im Spiel sind. Er war verletzt und traurig, aber hat nicht herumgeschrien. Ich dachte: "Jetzt fliegt die Wohnung durcheinander, irgendwas muss kaputt gehen". Und das ist nicht passiert. Bei uns geht es immer um Fortschritte und Lösungen.
Eric Stehfest: Wir wollen radikale Ehrlichkeit leben. Wir muten uns alles zu. Es gibt nichts, was wir nicht aussprechen oder ansprechen dürfen. Niemand von uns lebt mit gewissen Teilen noch in seinem Kopf, anstatt in der Beziehung. Das hat zur Folge, dass wir sehr oft diskutieren und es zu Auseinandersetzungen kommt. Wenn ich diese Beziehung aber mit meinen vorherigen vergleiche, stelle ich fest: Es eskaliert nie. Selbst wenn wir lauter sprechen, bleibt es harmonisch. Wir beenden unsere offenen Themen. Zuvor konnte ich noch nie so bedingungslos offen und ehrlich sein.
Sie führen eine offene Ehe. Darüber berichten Sie auch in "Rebellen lieben laut". Sie laden Frauen dazu ein, Teil Ihrer Beziehung zu sein. Welche Regeln setzen Sie fest, damit so eine Beziehung funktioniert?
Eric Stehfest: Ich musste damit aufhören, meine Vorstellungen nur im Kopf zu leben. Ich habe angefangen, meine sexuellen Fantasien in die Beziehung zu integrieren.
Dabei haben wir festgestellt, dass Edith und ich noch viele nicht ausgelebte Fantasien im Kopf haben - angefangen bei Ediths Bisexualität, die sie nicht ausgelebt hat. Denn für sie war Sex etwas, das man für den Mann tut, damit es ihm gut geht. Wir haben uns dann langsam an diese Themen rangetastet.
Edith Stehfest: Eric kam zu mir und sagte, er möchte mir die Freiheit geben, meine Bisexualität zu leben. Es war nie so, dass wir jemanden mit bei uns zu Hause hatten, mit dem wir einen Alltag geführt haben. Es waren Erfahrungen, die wir mit verschiedenen Frauen teilen durften - als Geschenk für uns beide. Wir sind uns danach jedes Mal ein Stückchen nähergekommen.
Ich bevorzuge den Begriff "moderne Ehe". Denn es ist nicht so, dass ich andere Männer habe, während ich schwanger bin, und Eric andere Frauen hat. Es geht in allererster Linie um uns als Team. Wir wollen die Erfahrungen miteinander teilen. Wir suchen gemeinsam nach Sex.
Werden Sie eifersüchtig, wenn Sie gemeinsam mit einer dritten Person intim werden?
Eric Stehfest: Das ist das Spannende! Wir sind beide in der Vergangenheit krankhaft eifersüchtig gewesen und wollten das unbedingt ablegen. Ich weiss, dass Eifersucht eine Beziehung zerstört. Deswegen arbeiten wir aktiv an unserer Eifersucht, indem wir uns zusammen anderen Menschen annähern.
Als wir zum Beispiel einen Dreier hatten, ist Edith aufgefallen, dass ich die andere Frau gar nicht auf den Mund geküsst habe oder sie mir keinen Blowjob geben durfte. Da kommt plötzlich innerhalb des Aktes ein gewisser Respekt hoch, wodurch wir uns danach noch verbundener fühlen als vorher.
Bei mir war diese krankhafte Eifersucht gekoppelt an meine Sucht und Abhängigkeit. Sobald ich keine Drogen mehr genommen habe, kam Ruhe in den Kopf.
Ich habe mich ausserdem um meine Präsenz gekümmert, denn Eifersucht bedeutet immer Selbstzweifel. Diese Selbstzweifel habe ich nicht mehr so sehr. Ich weiss, dass ich auch alleine klar komme - das gilt auch für Edith. Wir sind nicht abhängig voneinander.
Edith Stehfest: Es gibt Grenzen und Regeln. Ich hatte ein halbes Jahr lang eine Beziehung zu einer Frau, der "Füchsin". Dabei habe ich eine unausgesprochene Grenze übertreten. Denn die Themen, die wir sonst als Ehepaar besprochen haben, habe ich mit ihr besprochen.
Eric Stehfest: Die Grenze wurde dabei vor allem überschritten, weil der Partner der "Füchsin" nichts davon wissen durfte. Somit waren bei diesem sehr intimen Thema drei von vier Menschen beteiligt und deshalb hat es nicht funktioniert. Edith und ich wissen alles voneinander.
Werden Sie Ihrem jetzt fünfjährigen Sohn Ihr offenes Sexualleben später erklären?
Edith Stehfest: Natürlich sprechen wir mit unserem Sohn nicht darüber, was Mama und Papa nachts treiben - das macht keiner. Wir sind ein ganz normales Elternpaar, das in manchen Nächten etwas erlebt, was Kinder absolut nichts angeht. Deswegen muss ich unserem Kind auch nichts erklären. Unser Kind hat die Chance, ein unfassbar weltoffenes Bild aufgrund unseres Umfelds kennenzulernen. Es soll jede Form, Facette und Farbe von Liebe kennenlernen.
Sie sprechen in "Rebellen lieben laut" viel über Selbstliebe - auch darüber, sich im eigenen Körper nicht wohlzufühlen. Wie haben Sie gelernt, mit sich zufrieden zu sein?
Eric Stehfest: Ich wollte mich mehr mit dem komplexen Thema Feminismus auseinandersetzen, weshalb ich Edith als Autorin mit ins Boot geholt habe. Ich habe mich auch mit meiner femininen Seite auseinandergesetzt und in den Fokus gerückt.
Damit begann eine sehr schmerzhafte Reise für mich, weil ich mich meinen krankhaft männlichen Zügen stellen musste. Ich habe dann festgestellt, dass ich sehr oft Grenzen überschreite und versuchte, mich über Edith zu stellen.
Mit diesem Buch möchte ich andere Männer dazu einladen, dass wir uns mit uns auseinandersetzen. Tun wir das nämlich nicht, resultierten daraus Missbrauch, Leid und Hass. Seitdem ich das gemacht habe, spüre ich weniger Druck in meiner Brust.
Ich glaube, ich bin jetzt ein besserer Mann als vorher, weil ich alle meine Facetten zulassen kann, mich nicht für etwas schäme. Ich bin ein Missbrauchsopfer, was für einen Mann ein sehr schmerzhaftes Thema ist.
Denn einem Mann wird erzählt, dass er stark sein muss, die Familie versorgen muss oder nicht weinen darf. Das ist wahnsinnig schade. Denn wer sich mit Negativität auflädt, strahlt das auch in die Welt aus.
Edith Stehfest: Männlichkeit darf sich verändern. Eric wäscht besser als ich, bügelt besser als ich und staubsaugt besser. Das rührt alles daher, dass Eric sich mit sich selbst auseinandergesetzt hat. Bei uns gibt es keine typischen Männer- und Frauenaufgaben. Mit unseren Tattoos haben wir uns all unseren Gefühlen gestellt. Das ist schmerzhaft. Aber das Geschenk danach ist viel grösser.
Sehen Sie Ihre Tattoos als Teil einer Therapie?
Eric Stehfest: Sie sind eine Art Geschenk, diesen Prozess durchlebt zu haben. Sie sind Zeichen dafür, mit etwas abgeschlossen zu haben. Das Leben, das für mich vorgesehen war, war das Leben eines Opfers. Dieses Leben in der Opferrolle hatte ich satt.
Edith und ich sind beide missbraucht worden. Die Tattoos sind ein Zeichen dafür, dass wir unsere Opferrollen verlassen haben und nun ein selbstbestimmtes Leben kreieren. Mittlerweile kultivieren wir Zweifel und Angst, sie sind wichtig. Zweifel und Angst sind gute Berater, wenn du nochmal darüber nachdenkst, ob das, was du tust, auch wirklich richtig ist.
In Ihrem Buch berichten Sie davon, sich selbst im Spiegel nicht erkannt zu haben. Fühlen Sie sich mittlerweile wohl in Ihrem Körper?
Eric Stehfest: Ich bin von Testosteron und Anabolika abhängig geworden, weil ich dachte, ich muss mich unbedingt aufpumpen. Nachdem ich das gemacht hatte, habe ich mich nicht wiedererkannt. Ich war in einem fremden Körper. Mittlerweile stelle ich mich nicht mehr auf eine Waage, sondern mache Sport, so wie ich möchte und fühle mich wohl in meinem Körper. Der Fluch ist endlich besiegt! © 1&1 Mail & Media/spot on news
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