Auf Erleichterung folgt Entsetzen bei den Festspielen St. Gallen: Die mehrere Tage verschollenen Leichenrequisiten sind endlich eingetroffen - aber zum Grossteil zerstört.
"Es ist ein Desaster!", klagt Diana von Ow, Pressesprecherin der Festspiele. "Von 100 Leichen sind gerade mal fünf noch intakt." Auch der Technische Leiter, Georges Hanimann, ist enttäuscht. "Das macht mich einfach nur traurig. Wenn man bedenkt, dass die Leute im Atelier in Rom einen ganzen Monat rund um die Uhr damit beschäftigt waren diese Requisiten herzustellen." Jetzt sei auch klar, warum der italienische Fahrer telefonisch nicht mehr erreichbar gewesen war.
St. Gallen hatte sehnsüchtig auf seine 100 Leichen gewartet. Sie sind Teil des Bühnenbilds der Verdi-Oper "Attila". Schon am 4. Juni hätten die Fiberglasrequisiten in St. Gallen eintreffen sollen. Auch Pressevertreter waren vor Ort, um sie gebührend zu empfangen. Wer jedoch nicht auftauchte, war der italienische Chauffeur samt Ladung. Wo sie sich befand, wusste kein Mensch, und auch der Fahrer ging nicht mehr ans Telefon.
Lieferant wurde an der Grenze gestoppt
Mittwochmorgen hatte der italienische Lieferant versprochen, um acht Uhr auf dem St. Galler Klosterhof einzutreffen. Kurz vor Mittag hiess es, der Lastwagen hänge immer noch in Como, Italien, fest. Freitagvormittag um 11:40 Uhr kamen die erst verschollenen und dann verspäteten Leichenrequisiten endlich an ihrem Bestimmungsort an.
Inzwischen ist auch bekannt, warum die Lieferung an der italienisch-schweizerischen Grenze gestoppt wurde. Der italienische Lastwagen wurde wegen technischer Mängel nicht in die Schweiz gelassen. Erst musste ein anderer Lastwagen samt Fahrer organisiert werden.
Transport ohne Verpackung
In St. Gallen kamen die Requisiten ohne Verpackung an. Beim Umladen dürften Gliedmassen und Köpfe der Leichen abgerissen worden sein. Die Zeit bis zur Premiere wird indes immer knapper. Eigentlich sollte kommende Woche auf der Bühne geprobt werden - und zwar mitsamt der Requisite. Regisseur und Bühnenbildner Stefano Poda hatte schon zuvor Befürchtungen geäussert, dass seine Stücke den Transport womöglich nicht überleben: "Ich hoffe, sie kommen nicht in kleinen Stücken an. Das wäre der Super-GAU." Der ist jetzt eingetreten.
Unklar ist, wer für den entstandenen Schaden aufkommen wird. Eine Leiche hat nach Angaben der Festspiele einen Wert von rund 200 Euro. Die Requisiten sollten mehrmals zum Einsatz kommen. Sie zu reparieren, ist kaum möglich. Poda versucht nun, die weniger beschädigten Stücke in das Bühnenbild zu integrieren. "Ich war eine Woche lang mit dem römischen Bildhauer am Entwickeln der Form für die Leichen. Nun sehe ich nur noch Bruchstücke. Es zerreisst mir fast das Herz", jammert er. Diana von Ow stellt aber klar: "Am 21. Juni um 20.30 Uhr wird hier in St.Gallen vor der Kathedrale die Opern-Premiere stattfinden. Mit oder ohne Leichen!" (ank)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.