Erinnern Sie sich noch an die Zeit, als alles so schön wollig-mollig-wohlig war? Als es keine Lösungen brauchte, weil es keine Probleme gab. Ein gutes Gefühl, was? In genau dieser Stimmung klingelt in der neuesten Folge "Kaulitz Hills" bei Bill und Tom das Dosentelefon. Am anderen Ende: die Vergangenheit.

Christian Vock
Eine Satire
Diese Satire stellt die Sicht von Christian Vock dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Mittwochmorgen, das ist die Zeit für eine neue Folge "Kaulitz Hills", denn nur hier bei "Kaulitz Hills" gibt es nicht nur die neuesten Neuigkeiten, sondern auch die hüllenlosesten Enthüllungen, und da haut Bill gleich mal eine Schlagzeile raus. "Georg ist fast 40 – hab' ich mich erschrocken", berichtet Bill über seinen Bandkollegen, und man kann seinen Schrecken nachvollziehen. Früher war man einfach jünger.

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Aber früher war ohnehin alles besser, besonders die Werbung: "Ich finde so neu-moderne Werbung – mag ich einfach nicht", erzählt Bill. Stattdessen bevorzuge er Werbung, "wo man mir so ein schönes Lebensgefühl verkauft, was so wollig-mollig-wohlig ist, das liebe ich."

Ja, was ist nur aus diesem wollig-mollig-wohligen Gefühl in der Werbung geworden? Irgendwie weg. Genauso wie der Bär, der einem die Milch brachte, der Tiger, der einem die Frühstücksflocken reichte und der Gilb, der extra zu einem nach Hause kam, um die Vorhänge schmutzig und grau zu machen.

Danke dafür nochmal, lieber Gilb, das war eine echte Arbeitserleichterung. Vor deiner Zeit musste ich die Vorhänge noch selber schmutzig machen. Ja, früher war alles einfacher, besser, eben wollig-mollig-wohliger.

"Die Leute mögen das Alte, Beliebte", interveniert dementsprechend Bill, als sein Bruder Tom darüber nachdenkt, ob es nicht Zeit für neue Jingles für die "Kaulitz-Hills"-Rubriken wäre.

Aber wer sagt denn, dass die Vergangenheit vorbei sein muss, nur weil es die Vergangenheit ist? Und so springt Tom am Mittwoch für eine Werbepause kurz in der Zeit zurück: "So, Maus! Es ist Zeit mal wieder für ein kleines bisschen Werbung und unser Werbepartner heute: Coke light!", beginnt Tom, und das ruft bei Bill Erinnerungen wach:

"Und wer erinnert sich nicht, ich natürlich als kleiner Junge habe sabbernd vor dem Fernseher verbracht. Immer um halb eins, da kam nämlich der heisse Fensterputzer hochgefahren, ich glaube, es war in einer Grossstadt, irgendwo so new-york-mässig, und die ganzen Frauen haben sich getroffen und denen tropfte der Zahn, weil der heisse Fensterputzer draussen war, und der hat sich 'ne Coke light reingekippt."

Auf eine Dose Cola mit Tom Kaulitz

Freuen wir uns an dieser Stelle kurz, dass Bill diese Fensterputzer-Erinnerungen genau in dem Moment kommen, als die beiden Werbung für Coke light machen müssen und nicht, sagen wir einmal, 20 Minuten später. Das wäre echt ärgerlich gewesen. Aber man muss auch mal Glück haben.

Tom will aber auch seinen Beitrag leisten und empfiehlt die neue Dose des Zuckerersatz-Getränks, denn "aus der Dose, Bill, mag ich Coke sowieso am liebsten", erzählt Tom, und sofort stellt sich bei mir ein wollig-mollig-wohliges Gefühl ein und ich denke gerne an die Zeit des Cola-Fensterputzers zurück, der sich erst sein T-Shirt vom verschwitzten Sixpack-Körper zog, ehe er sich eine Dose eisgekühlte Cola aufmachte.

Das war die Zeit, in der Dosenpfand noch ein Fremdwort war und man gar nicht so sehr über den hohen Energieverbrauch bei der Produktion von Aludosen diskutierte oder über die Mengen von giftigem Rotschlamm, der bei der Gewinnung von Aluminium entsteht. Daher kann man nur froh sein, dass Bill und Tom mit ihrer Werbung für Getränke in Dosen uns in diese wollig-mollig-wohlige Zeit zurückversetzen. Aber Bill und Tom surfen nicht als einzige auf der Retro-Welle.

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Nehmen wir zum Beispiel mal den jüngsten Bundestagswahlkampf. Auch da ging es nicht um die Zukunft, sondern um die Vergangenheit. Deshalb verloren die grossen Parteien und auch die FDP kein Wort über die Klimakrise, die grösste Bedrohung der Zukunft, die es gerade gibt.

Statt sich um die echte Bedrohung der Zukunft zu kümmern, redeten die Parteien lieber über den, der schon immer als Bedrohung der Zukunft herhalten musste: der Ausländer. Warum? Weil wieder einmal eine Partei ängstlichen Schrittes vorangeht und den Leuten mit völkischen Ideologien erneut das Hirn verdreht. Hat früher ja auch schon geklappt. Retro-Welle!

Wie schön war bitte die Vergangenheit!

Ein paar Autostunden weiter östlich will noch jemand die Zeit und die Grenzen zurückdrehen, und sein Pendant auf der anderen Seite des Atlantiks macht beim guten, alten Ost-West-Konflikt begeistert mit – nur dass Russland und die USA jetzt auf derselben Seite sind. Aber ein kleiner Plot-Twist hält jung.

Dazu sind Öl, Gas, Rassismus, Beleidigungen, Frauenfeindlichkeit und Lügen wieder en vogue, "Wokes", also achtsame und angesichts Ungerechtigkeit wachsame Menschen, hingegen nicht mehr. Retro-Welle, yeah! Nein, Zukunft ist gerade nicht angesagt, wir setzen lieber auf die Vergangenheit, als alles noch so wollig-mollig-wohlig war. Aber ich finde, da geht noch was.

Deshalb fordere ich hier und jetzt das Ozonloch zurück! Ich finde, so eine Klimakrise ist nur mit Ozonloch eine runde Sache. Was ich ausserdem zurückwill, sind die Fanta-Mango, das Tamagotchi und die Karottenjeans. Ich hätte auch gerne wieder die Hexenverbrennung zurück, insbesondere von Hexen in Karottenjeans.

Und was sollte das bitte mit dem Nichtraucherschutz? Vermissen Sie nicht auch die Zeiten, als man sich nach einem harten Arbeitstag mit roten Augen und brennender Lunge auf den Heimweg machte, weil die Kollegen im Büro noch qualmen durften?

Apropos Auto: Es wird auch Zeit für eine Retro-Welle bei der Gurtpflicht. Die verdirbt einem den ganzen Spass am Autofahren. Wie schön war das bitte, als man bei einem Auffahrunfall noch ungebremst durch die Frontscheibe fliegen durfte – sofern man nicht das Glück hatte, sich den Schädel am Armaturenbrett einzuschlagen. Freier Flug für freie Bürger! Und fanden Sie die Wasserqualität des Rheins 1950 nicht viel besser als heute? Als man den Fluss schon von Weitem riechen konnte?

Wozu Zukunft, wenn es die Vergangenheit gibt?

Ausserdem will ich das Modem zurück! Ich vermisse die Zeit, als ich meine Steuererklärung machen konnte, während ich darauf gewartet habe, dass sich mein Modem ins Internet einwählt. Bei der Gelegenheit fordere ich auch gleich die Telefonzelle zurück. Nichts war besser, als in einer vollgepinkelten Telefonzelle nach einer Telefonnummer zu suchen, um dann festzustellen, dass jemand die gesuchte Seite herausgerissen hatte.

Was haben sich die Generationen vor uns nur dabei gedacht, als sie all das abgeschafft, ersetzt oder "verbessert" haben? Haben die wirklich geglaubt, uns ginge es in der Zukunft mit Smartphones und ohne Lungenkrebs besser?

In der Vergangenheit steckte viel zu viel Zukunft, deswegen fordere ich für die Zukunft wieder mehr Vergangenheit! Atomkraft, Wahlrecht nur für Männer – nichts schmeckt besser, als wenn es mit den Rezepten der Vergangenheit gekocht wurde. Zukunft – was für ein lächerliches Konzept!

Dabei gibt es die Zukunft ja gar nicht – und das ist die gute Nachricht. Stattdessen gibt es Zukünfte, weil die Zukunft eben noch nicht geschrieben ist. Deswegen können wir uns noch aussuchen, in welcher Zukunft wir leben wollen. Soll es die Zukunft sein, in der wir wieder Ausländer durch die Strassen jagen, es sei denn, uns ist es wegen der Klima-Krise draussen zu heiss?

Oder soll es die Zukunft sein, in der wir aufeinander aufpassen? Auf alle von uns. Klingt irgendwie cooler. Vielleicht ist es ja doch Zeit, die Zukunft mit Rezepten für die Zukunft anzugehen.