• Ab dem 30.11. ist Lars Eidinger in der Serie "Faking Hitler" auf RTL+ zu sehen. Er verkörpert den "Stern"-Journalisten Gerd Heidemann.
  • Im Interview spricht der Schauspieler über Wahrheit und Fälschung auf der Leinwand, die Endzeitstimmung in der Gesellschaft - und was hinter seiner Vielseitigkeit steckt.
Ein Interview

Herr Eidinger, als Prominenter sind Sie selbst häufig 'in den Medien'. Konnten Sie durch die Arbeit an der Serie "Faking Hitler", in der Sie den einstigen "Stern"-Redakteur Gerd Heidemann spielen, noch etwas über die Medienwelt dazulernen?

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Lars Eidinger: Nicht unbedingt. Die gefälschten Hitler-Tagebücher werden ja häufig in Verbindung gesetzt mit dem Phänomen Fake-News – das hat für mich aber überhaupt nichts miteinander zu tun. Fake-News werden eingesetzt, um Menschen zu manipulieren, das war aber bei den Hitler-Tagebüchern nicht der Fall, sondern da ging es um Profitinteresse.

Aber natürlich lerne ich immer etwas, wenn ich mich einem neuen Projekt stelle, das empfinde ich als grosse Qualität meines Berufs. Es ist wie ein ewiges Studium, bei dem man auch viel über sich selbst lernt.

Das ist ja die Idee von Kunst im Allgemeinen: Sich und die Welt begreifen. Gerd Heidemann ist dafür natürlich prädestiniert, weil er ein sehr widersprüchlicher, schwer greifbarer Charakter ist.

Ihnen gegenüber steht Moritz Bleibtreu als Fälscher Konrad Kujau, der dem "Stern" Anfang der 80er Jahre die falschen Tagebücher unterjubelte. Hegen Sie Sympathien für die Fälscherfigur?

Ich tue mich damit ein bisschen schwer. Kujau ist in gewisser Hinsicht eine ähnliche Figur wie Heidemann: Es gibt bestimmte Punkte, wo man sich selbst wiedererkennt – und dann aber auch Dinge, die mich abstossen, etwa sein Umgang mit seinen Partnerinnen, der etwas Frauenverachtendes hatte.

"Von Fälschern lasse ich mich nicht beeindrucken"

Ich entwickle auch keine diebische Freude an der Täuschung. Man hat mir während des Projekts angeboten, die Originale der gefälschten Tagebücher im Stern-Archiv anzusehen, was ich abgelehnt habe. Warum sollte ich das tun? Mich fasziniert das nicht. Mich beeindrucken viel mehr aufrichtige Menschen. Von Fälschern lasse ich mich nicht beeindrucken, höchstens täuschen.

Haben Sie Gerd Heidemann eigentlich persönlich treffen können?

Es gab eine Verabredung während der Dreharbeiten, doch dann hatte ich kurz zuvor einen positiven Corona-Test. Der war zwar falsch-positiv, wie sich später herausstellte, aber ein Treffen kam dann nicht mehr zustande. Vielleicht war das auch Schicksal und am Ende besser so.

Ich hätte Gerd Heidemann ohnehin mehr aus Neugier und persönlichem Interesse getroffen, weniger um die Eindrücke in mein Spiel einfliessen zu lassen. Für mich ist als Schauspieler die Grundverabredung, dass ich, Lars Eidinger, Gerd Heidemann spiele, sprich: Es entsteht etwas durch das Aufeinandertreffen zweier Persönlichkeiten. Wenn ich Heidemann nur eins zu eins abbilden will, muss ich eine Dokumentation drehen, keinen fiktionalen Film.

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Auf Instagram haben Sie ein eigenes Set-Foto einem Bild von Heidemann gegenübergestellt: gleiche Haltung, gleicher Blick, ähnliche Brille...

Das war reiner Zufall. Ich hatte ein paar Bilder von den Filmaufnahmen bekommen und beim Durchsehen ist mir aufgefallen, dass es diese Übereinstimmung gibt. Wir haben das Bild aber nicht bewusst nachgestellt.

Sie spielen Heidemann unter seinem richtigen Namen. Verpflichtet Sie das zu etwas?

Ich habe nicht die Verpflichtung gespürt, Gerd Heidemann gerecht zu werden – das könnte ich auch gar nicht. Zum Beispiel weiss ich nicht, wie Heidemann seiner Frau 'Guten Morgen' wünscht, trotzdem zeigen wir so etwas, das ist also, wie im Übrigen vieles andere auch, fiktiv.

Heidemann war an der Entwicklung der Drehbücher beteiligt

Ich recherchiere für so eine Rolle auch nicht das Leben der realen Figur, sondern lese nur das Drehbuch. Ein Vorteil ist, dass Heidemann noch lebt und in die Entwicklung des Projekts und Recherche zu den Drehbüchern involviert war.

Wer "Faking Hitler" für eine realitätsnahe Version der damaligen Ereignisse hält, könnte am Ende glauben, der Skandal um die gefälschten Tagebücher sei um ein Haar von einer mutigen Journalistin verhindert worden...

... was ebenfalls Fiktion ist. Bertolt Brecht hat gesagt: "Zeigt, dass ihr zeigt." Ich glaube, dass Brecht an der Stelle weiter war, in dem Bestreben, den Zuschauer ernst zu nehmen, dahingehend, dass ein Schauspieler dem Publikum in jedem Moment zeigt, dass er zeigt.

Die Propagandamaschine der Nationalsozialisten hat ja versucht, die Menschen glauben zu lassen, dass das, was inszeniert war, Realität sei. Ich glaube, dass wir in der Art, wie wir heute Filme machen und schauen, mehr in der Tradition der Logik der Propagandamaschine der Nationalsozialisten stehen als in der Lehre Brechts.

Der Film "Schtonk" zeigte in den 90ern die Geschichte der Hitler-Tagebücher, jedoch ohne die realen Namen zu verwenden. Ist das die aufrichtigere Variante?

Ich traue dem Zuschauer zu, dass er weiss, dass das auf der Leinwand nicht Gerd Heidemann ist. Insofern ist es eigentlich egal, wie die Figur im Film heisst. Es ist allerdings auch nicht meine Entscheidung. Mir persönlich ist es grundsätzlich lieber, wenn man im Film so wenig wie möglich mit realen Figuren operiert und mehr in die Abstraktion geht.

Im Kino starten regelmässig neue Biopics, von Aretha Franklin bis Ronald Reagan. Können Sie mit diesem Genre etwas anfangen?

Finde ich schwierig. Mich stört zum Beispiel, dass ich bei Johnny Cash jetzt immer an Joaquin Phoenix denken muss, obwohl er ihn oder vielleicht gerade weil er ihn so genial verkörpert. Gleichzeitig kam ich selbst schon in die Verlegenheit, jemanden wie Bertolt Brecht zu spielen.

"Fiktion ist viel weniger Grenzen und Einschränkungen unterworfen"

Es gibt schon etwas in mir, was sich dagegen sträubt und ich finde die Tendenz, ständig Biographien zu verfilmen, nicht nachvollziehbar. Man könnte ja fragen: Warum schreiben wir nicht unsere eigenen Geschichten? Ich glaube an die Macht der Fiktion – und die Fiktion ist viel weniger Grenzen und Einschränkungen unterworfen als die Realität.

Haben Sie als Künstler bestimmte Prinzipien?

Mein einziges Prinzip ist, dass ich nichts mache, worauf ich keine Lust habe, ich mache nichts aus karrieristischen oder finanziellen Gründen.

Das heisst, auch wenn Sie zum Beispiel als DJ im Berliner KaDeWe auflegen...

Ins KaDeWe bin ich schon als kleines Kind gegangen, das ist eine Art Sehnsuchtsort. Und mit dem Auflegen angefangen habe ich bereits als Jugendlicher, ich war der DJ auf unseren Klassenfahrten und später auf der Schauspielschule.

Bei der Veranstaltung im KaDeWe habe ich übrigens den Musiker Yung Hurn kennengelernt, mit dem ich dann später ein Musikvideo gedreht habe und den ich als Künstler-Persönlichkeit sehr schätze. Ich bin in der Situation, dass ich nichts um des Geldes willen oder aus karrieristischen Gründen machen muss – und bin mir bewusst, dass dies ein grosses Privileg ist.

Seit wann haben Sie dieses Privileg?

Seit ich zehn Jahre alt bin. Damals habe ich angefangen, Kinderfernsehen zu machen und pro Drehtag 150 Mark verdient. Seitdem verdiene ich Geld mit meinem Beruf. Ich komme aus einem behüteten Elternhaus, habe mir das aber trotzdem auch selbst so erarbeitet.

Wobei ich mich noch erinnern kann, wie mich damals ein Nachbar in Berlin-Marienfelde zur Seite nahm und sagte: 'Du willst Schauspieler werden? – Davon rate ich dir ab, das ist eine brotlose Kunst.' Tatsächlich glaube ich, dass niemand diesen Beruf ergreift, weil er Geld verdienen will.

Sie sind künstlerisch in ganz verschiedenen Medien aktiv, drehen neben Theater und Film auch Musikvideos oder bringen einen Foto-Bildband heraus. Hatten Sie für diese Vielseitigkeit ein bestimmtes Vorbild?

Nein. Das würde ja bedeuteten, dass dahinter ein Konzept steckt – das habe ich nicht. Ich mache die Sachen, weil ich lustgetrieben bin und nicht aus strategischen Gründen.

Zum Beispiel bin ich leidenschaftlicher Fotograf. Dann sieht eine Kuratorin meine Bilder und bietet mir an, eine Auswahl in der Hamburger Kunsthalle zu zeigen, als Gegenüberstellung zu niederländischen Alten Meistern. Über diese Einladung freue ich mich, nehme sie an – aber ich kann es nicht beeinflussen oder provozieren, da steckt kein interdisziplinärer Plan dahinter.

Sie haben mal in einem Interview erzählt, wie viel Hass und Missgunst Ihnen im Internet entgegenschlägt. Sehen Sie als Künstler eigentlich die Möglichkeit, selbst gegen gesellschaftliche Verwerfungen etwas auszurichten?

Nein, dafür sehe ich die Weltgeschichte viel zu dystopisch. Wir befinden uns ja aktuell in einer Phase, in der ich denke: "Warum merken wir nicht, dass dies gerade das Ende der Welt ist?"

"Näher an der Apokalypse kann man als Gesellschaft nicht sein"

Ressourcen sind aufgebraucht, die Natur zerstört und eine weltweite Pandemie ist ausgebrochen – näher an der Apokalypse, näher an der Endzeitstimmung kann man als Gesellschaft ja gar nicht sein. Und jetzt soll ich mich als Künstler der Illusion hingeben, ich könnte das noch irgendwie beeinflussen?

Gibt es keine Projekte, die Sie gemacht haben, weil Sie damit etwas Positives bewirken wollten?

Nein, ich glaube nicht daran, dass man die Menschen dahingehend beeinflussen kann. Dafür hat sich die Gesellschaft die letzten Jahrhunderte und Jahrtausende als zu unbelehrbar und unbeeinflussbar erwiesen.

Wir wiederholen mantraartig die immer gleichen Fehler, ein Klassiker im Theater ist ja nur deshalb ein Klassiker, weil die Probleme und Konflikte, die darin beschrieben werden, immanent sind. Es wird keine Zeit kommen, in der wir bei "Hamlet" oder "Othello" sagen, die darin verhandelten Konflikte haben wir überwunden. Wahrscheinlich machen sie uns als Menschen sogar aus.

Sie sehen also gesellschaftlich keine Weiterentwicklung?

Wenn ich mir die Wahlergebnisse anschaue, nicht.

Keine positiven gesellschaftlichen Entwicklungen, im Vergleich zu, sagen wir, vor 100 Jahren?

Vielleicht gibt es in einem kleinen, intellektuellen, elitären Kreis Menschen, die das verklären.

Ich habe dieses Jahr sechs Wochen in Cleveland gedreht, wenn ich mir dort den Umgang mit Plastikmüll anschaue, mit dem Tragen von Masken.... Oder wenn sich die dortige Baseballmannschaft "Indians" nennt* – es gibt keine Indianer. Die werden so genannt, weil sich Kolumbus verfahren hat und sich in Indien wähnte.

Trotzdem prangt das als Schriftzug über der Anzeigetafel im Stadion und jemand singt "God bless America, my home sweet home". Wo ist da die Veränderung, wo ist da ein gesellschaftliches Bewusstsein darüber, dass man in der Vergangenheit etwas falsch gemacht hat, was man in der Zukunft besser macht? Es gibt keine Erkenntnis.

Wenn wir der Apokalypse tatsächlich so nah sind – sind dann die Partys, auf denen Sie auflegen, der 'Tanz auf dem Vulkan'?

Unser ganzes Leben gleicht einem Tanz auf dem Vulkan. Das ist, was Greta Thunberg meint, wenn sie sagt: "Das Haus brennt. Wir sollten in Panik geraten." Stattdessen wird getanzt.

*Die erwähnte Baseballmannschaft "Cleveland Indians" beschloss im Juli 2021 die Umbenennung in „Cleveland Guardians“ und wird ab der Saison 2022 unter dem neuen Namen spielen. (Anm. d. Red.)
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