Am 22. August 2011 starb der Satiriker Loriot. Er fehlt – aber eigentlich ist Loriot überall. Mit seiner Hilfe wird eine Pandemie erträglich und ein Frühstück zur Farce. Das Werk des ironischen Preussen ist der eleganteste Beweis dafür, dass die Deutschen erstens Humor haben und zweitens über sich selbst lachen können.

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Loriot ist tot. Aber das stimmt so natürlich nicht: Der Humorist starb zwar am 22. August 2011, aber Loriot lebt weiter. In Zitaten, die im deutschsprachigen Raum zum Allgemeingut gehören: "Ich heisse Erwin Lindemann, bin seit 66 Jahren Rentner ..." Oder: "Eine Klavier ein Klavier!" Oder: "Hildegard ... sagen Sie jetzt nichts!"

Und sein Ehrengrab auf dem Berliner Friedhof Heerstrasse wird anlässlich des Gedenktages von Fans bestimmt wieder mit Quietscheentchen geschmückt werden. Oder mit Lametta? Sicher ist: "Früher war mehr Lametta!"

Deutschland hat gut lachen

Das liesse sich auch über die vergangenen Monate sagen. Während der Pandemie könnten wir einen Loriot gut gebrauchen. Nicht nur wegen des Klischees vom Lachen als der besten Medizin (was Loriot so platt natürlich nie angeführt hätte), sondern weil er die Absurditäten des Alltags so gekonnt zuspitze, dass jeder, der in den 70er, 80er Jahren ferngesehen hat - oder Bekannte oder Verwandte hat, die in den 70er, 80er Jahren ferngesehen haben-, auch diesen Ausspruch bestimmt schon mal gehört hat: Das ist ja wie bei Loriot.

Eine Bestellung beim Lieferservice, ein Telefonat mit einer Behörde, Videokonferenz mit Oma und Opa: Wenn es umständlicher wird, als es sein müsste, wenn die Missverständnisse sich türmen, wenn ein Gespräch sämtliche Fäden verliert - dann ist das "wie bei Loriot". Das Werk des ironischen Preussen ist der eleganteste Beweis dafür, dass die Deutschen erstens Humor haben und zweitens über sich selber lachen können.

Loriot: Feierabend - "Ich möchte hier sitzen"

Ein bekannter Sketch von Loriot ist "Feierabend". Er handelt von den Kommunikationsproblemen eines Ehepaars. © YouTube

Egal, ob ein Ehepaar am Morgen den Härtegrad des Frühstückseis diskutiert ("Es ist mir egal, wie lange es kocht!" - "Es ist dir also egal, ob ich viereinhalb Minuten in der Küche schufte!"), oder Herr Müller-Lüdenscheidt es Herrn Doktor Klöbner nicht erlauben will, eine Quietscheente mit in die versehentlich geteilte Hotelzimmerbadewanne zu nehmen ("Ich leite eines der bedeutendsten Unternehmen der Schwerindustrie und bin Ihnen in meiner Badewanne keine Rechenschaft schuldig!"): Im Gegensatz zwischen imperfekten Menschen und perfekt eingesetzter Sprachkunst liegt bei Loriot die Komik, nicht in der Blossstellung.

Seine Dialoge müssten Pflichtstoff an Schreibschulen sein. Seine Stärke war die liebevolle Entlarvung der Spiesser, Wichtigtuer und Besserwisser. Mit Betonung auf "liebevoll", denn böse kann jeder, ganz besonders, wenn die Nerven wegen Abstandsregeln, Maskenpflicht, Impfung und Co. ohnehin blank liegen.

Loriots Revival in Coronazeiten

Kein Wunder, dass Israel während einer strengen Ausgangssperre vor einem Jahr ein kleines Loriot-Revival erlebte, nachdem der Schauspieler Dror Keren einen alten Zeichentricksketch von Loriot gepostet hatte, der perfekt in den - nicht nur israelischen - Quarantänealltag passte:

In "Feierabend" sitzt eines von Loriots typischen Knollennasenmännchen gemütlich in einem Sessel, während man die Ehefrau im Hintergrund geschäftig in der Küche hin- und hergehen sieht. "Hermann... Was machst du da?" "Nichts." "Nichts? Wieso nichts?" Es entwickelt sich ein immer aberwitzigerer Dialog, während dessen sie ihn mit immer grösserem Nachdruck zu verschiedenen Unternehmungen ermuntert, während Hermann einfach nur im Sessel sitzen will. "Hermann und Berta sind schon viele Jahre zusammen", schrieb Keren dazu auf Facebook, "sie gehören zur Risikogruppe. Er ist ihr Risiko. Und sie ist sein Risiko."

Loriot wurde 1923 als Bernhard-Viktor Christoph-Carl in das mecklenburgische Adelsgeschlecht derer von Bülow hineingeboren und bald nur noch Vicco gerufen. Nach dem Abitur arbeitete er als Holzfäller, auf die besorgten Briefe seines Vaters hin ("Holzfäller mit Abitur gäbe es wie Sand am Meer") begann er in Hamburg ein Kunststudium.

Als er sein winziges Studentenzimmer 1947 in einer Karikatur festhielt, signierte er sie mit einem Pseudonym, weil die Skizze "abseits meiner ernsten künstlerischen Ziele lag". Der Künstlername Loriot war geboren, nach dem französischen Wort für den Vogel Pirol, dem Wappentier der Bülows.

Loriot wurde in den 50er Jahren von den Lesern des "Stern" und in den Sechzigern von den Lesern der Zeitschrift "Quick" für seine Hundekarikaturen gehasst ("ekelerregend", "menschenunwürdig"). Er zeichnete Werbeanzeigen für Agfa-Kameras und Stenwell-Pfeifentabak und schuf Titelbilder für den "Spiegel".

Ein grosses Stück deutscher Fernsehgeschichte

Von 1967 bis 1972 moderierte er das Fernsehmagazin "Cartoon", in dem internationale Zeichentrickfilme gezeigt wurden und für das Loriot, als das Material ausging, auch selbst Beiträge verfasste. Und durch seine Zeichentrickfiguren Wum und Wendelin, die in Wim Thoelkes Quizshow "Der grosse Preis" von 1974 bis 1992 auftraten, war Loriot auch Zuschauern ein Begriff, die mit seinem Humor (noch) nichts anfangen konnten.

Aber das Zentrum seines Werkes, mit dem er unsterblich wurde und deutsche Fernseh- und Kulturgeschichte schrieb, ist die gerade einmal sechsteilige Comedy-Serie "Loriot" von 1976 bis 78. In jeder Folge wurden Sketche und Zeichentrickfilme von und mit Loriot gezeigt, moderiert vom Autor und seiner kongenialen Fernsehpartnerin Evelyn Hamann.

Hier waren sie alle zu sehen: Die Ansagerin, die mit der Inhaltsangabe eines englischen Krimis kämpft ("Nach einer dramatischen Auseinandersetzung zwischen Lady Hesketh-Fortescue und Priscilla Molesworth in North Cothelstone Hall..."), der stolze Besitzer eines angeblich sprechenden Hundes, der im Interview kläglich versagt ("Ho hoho hoho" - "Man muss schon sehr genau hinhören!" ). Und auch der bereits erwähnte Erwin Lindemann, den Fernsehkameras in seinem Wohnzimmer so durcheinanderbringen, dass er stammelt, von dem Lottogewinn werde seine Tochter mit dem Papst in Wuppertal eine Herrenboutique eröffnen.

Loriots Gedenktag hat sein Verlag Diogenes gerade mit einem weiteren aktuellen Ereignis kombiniert und einen kleinen Sammelband "Im Wahlkampf mit Loriot" herausgegeben (Diogenes, Zürich, 127 S., zwölf Euro). Zwar wirkt Loriots Gesellschaftskritik heute etwas bemüht und immer dann banal, wenn sie den intimen Bereich zwischenmenschlicher Kommunikationshürden verlässt, aber gekonnt karikierte deutsche Bräuche finden sich auch hier. Zum Beispiel im Dialog zwischen einer Stylistin und einem Herrn, der aus Kostengründen gleich für drei Parteien als Kandidat aufs jeweilige Wahlplakat soll: "Herr Fröbel, lächeln Sie ... nicht so intelligent... ganz unverbindlich."

Ein Leben ohne Loriot ist möglich, aber sinnlos

Natürlich gibt es auch in Loriots Werk Beiträge, die nicht gut gealtert sind. Die Ehefrauen sind mitunter arg bieder und ein Prosastück wie der satirische Brief "Abschlägige Antwort an einen Lustmörder", in dem eine junge Frau auf Verlangen ihres Vaters den Heiratsantrag eines Psychopathen ablehnt, hätte heute keine ernstzunehmende Chance auf Veröffentlichung.

Aber das sind Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Eine Regel, die Loriot 1980 in einer Geburtstagsrede für seinen Onkel Carli formulierte: "Die Bülows sind die einzige mir bekannte Familie, deren männliche Mitglieder ... als vollkommen bezeichnet werden müssen. Sie haben beispielsweise immer recht und sind von quälender Gründlichkeit." Man kann es auch kürzer sagen, wieder in Abwandlung eines Zitats des leidenschaftlichen Hundeliebhabers Loriot, der den Spruch allerdings auf den Mops bezog: Ein Leben ohne Loriot ist möglich, aber sinnlos.

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