Als Klischee-Türke "Müslüm" singt er mit starkem Akzent und schriller Aufmachung über Politik, Migration und Integration. Damit hat Semih Yavsaner einen Integrationspreis gewonnen. Privat ist der Sohn türkischer Einwanderer still, nachdenklich und bescheiden.
Der Mann, der für den Interviewtermin das Café Kairo im Berner Lorraine-Quartier betritt, fällt auch ohne Maskerade auf: Er ist gross und schlaksig, hat einen dunklen Teint und lange Locken. Als Privatperson will er nicht fotografiert werden. Nur von der Kunstfigur Müslüm existieren Bilder, und die sehen immer gleich aus: Künstliche Augenbrauen und Schnauz, bunte Anzüge, blumiges Hemd und grimmige Miene. Wenn Semih Yavsaner spricht, erinnert nichts an den schrillen Müslüm. Der 36-Jährige spricht leise und in akzentfreiem Berndeutsch.
Ganz anders Müslüm: In stark gebrochenem Deutsch geigt er jedem und allem seine Meinung, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Dass Müslüm als Witzfigur wahrgenommen werden könnte, ist Yavsaner egal. Die Figur habe die Leute im Herzen erreicht. "Was bringt es mir, ernst genommen zu werden, wenn ich nichts auslöse?" Er hat auch keine Angst, dass er mit seinem stark überzeichneten "Müslüm" als rassistisch oder diskriminierend gelten könnte. Seine Absichten seien doch klar, findet er. "Die Figur ist klischiert, weil man die Leute abholen muss." Negative Reaktionen gab es bisher keine – auch nicht aus der türkischen Gemeinschaft.
Müslüm ist ungehobelt – Semih anständig
Müslüm und Semih – unterschiedlicher könnten zwei Männer nicht sein. Während Müslüm schon mal eine Journalistin während des TV-Interviews besteigt, ist Semih Yavsaner anständig und zurückhaltend. Müslüm ist selbstbewusst und schämt sich nicht, anders zu sein. Yavsaner hingegen hat darunter gelitten, als Kind türkischer Gastarbeiter in der Schweiz aufzuwachsen. Er müsse sich immer aus der zweiten Reihe nach vorne arbeiten, das sei mühsam, sagt er.
Semih Yavsaner ist als Sohn eines Abwarts und einer Spitex-Angestellten in Bern geboren und aufgewachsen. Als Jugendlicher hielt er seine Eltern auf Trab und musste wegen seines unangepassten Benehmens fünf Mal die Schule wechseln. Heute sind die Eltern stolz auf den Sohn und seine vielfältigen Tätigkeiten.
Mit Telefonscherzen bekannt geworden
Semih Yavsaner ist nämlich ein Tausendsassa: Er ist Musiker, Sänger, Tänzer, Komiker, Performer sowie Film- und Theaterschauspieler. Nach der Handelsschule sendete er seine eigene Comedy-Sendung beim alternativen Radio Bern, wo er mit Telefonscherzen bekannt wurde. Es war die Geburtsstunde der Bühnenfigur Müslüm, mit der Yavsaner inzwischen sowohl als Musiker als auch als Komiker auftritt. Seine Alben und Singles schafften es in die Schweizer Hitparade. Ab 1. April geht er mit einer eigenen Comedy-Show am Schweizer Fernsehen auf Sendung.
2013 gab er sein Schauspieldebut im deutschen Kinofilm "300 Worte Deutsch". Er spielte darin einen türkischstämmigen Schweizer, der nach Köln zieht. Zurzeit spielt Yavsaner im Theaterstück "Hotel Kosmos" mit der Regisseurin Meret Matter. Er verkörpert darin einen südländischen Rezeptionisten, der Vorurteile hat gegenüber den zahlreichen Gästen. Das Stück sei eine Metapher für das momentane Europa-Geschehen, sagt Yavsaner: "Das Kommen und Gehen. Die Reibungen, wenn unterschiedliche Kulturen aufeinanderprallen."
Fremd in der eigenen Kultur
So unterschiedlich all diese Tätigkeiten sind: Es dreht sich immer um das Thema Fremdsein. Es ist Yavsaners Lebensthema. Trotz fehlendem Schweizer Pass fühlt er sich als Schweizer: "Ich lasse mir von einem Stück Papier nicht meine Identität vorschreiben." Er hat sich auch gegen die Ausschaffungsinitiative engagiert, die kriminelle Ausländer ohne Wenn und Aber ausschaffen will. Die schwarzen Schafe auf den Wahlplakaten, die von weissen Schafen aus dem Schweizer Territorium gestossen werden, fand Yavsaner furchtbar. Also singt er in einem Song über den Samichlaus, der alle schwarzen Schafe ausschafft: "Wir sitzen im gleichen Schlitten, und wenn du mal rausfliegst, hol ich dich sofort wieder zurück."
Für sein Engagement erhielt Semih Yavsaner 2013 von der Stadt Bern den Förderpreis für die Integration der Migrationsbevölkerung. In der Laudatio begründet die Stadt die Preisvergabe damit, dass Yavsaner als Komiker sehr oft Migrations- und Integrationsfragen thematisiere. Comedy sei ein ganz neuer Ansatz für das Thema: "Gut möglich, dass Yavsaner damit in bestimmten Kreisen eine grössere Wirkung erzielt als eine herkömmliche Sensibilisierungskampagne." Müslüm zeige wie kein anderer, dass Integration nicht immer anstrengend sei, sondern auch lustvoll sein könne.
www.müslüm.ch © swissinfo.ch
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