Er bezeichnet sich als "bekennenden Nachrichtenjunkie", dem Polit-Rock allerdings bis heute suspekt ist und der mit "Berufsjugendlichen immer ein bisschen Mitleid" hat. Im Interview mit unserer Redaktion blickt Wolfgang Niedecken über den Tellerrand, ohne dabei seine Basis aus den Augen zu verlieren.
Der Kölner erklärt das "unerklärbare Phänomen" BAP und erläutert, warum die "BAPies" den "Swifties" in nichts nachstehen. Im November wird sich seine Kult-Band auf eine besondere "Zeitreise" begeben und im Rahmen ihrer Tour die Songs von zwei Erfolgsalben aus den 1980ern zum Besten geben – mit Kölschrock vom Feinsten, einem 73-jährigen Frontmann, der auf der Bühne keine "wilden Faxen" machen wird und der Unterstützung der treuen "BAPies".
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Wolfgang Niedecken: Wir waren damals eine stinknormale Rock ’n’ Roll-Band, die einmal in der Woche irgendwelche Coverversionen spielte. Und das auch nur im Proberaum. Von einer Karriereplanung waren wir weit entfernt. Irgendwann kam ich dann mit dem ersten Song auf Kölsch um die Ecke. Meine Bandkollegen fanden das Lied super und wollten mehr davon. So hat sich dann über die Jahre alles wunderbar fliessend entwickelt. Aus meiner Sicht ist das einer der Gründe, warum BAP immer authentisch geblieben ist.
Die Liste der ehemaligen BAP-Mitglieder ist lang. Warum war die Fluktuation früher so gross?
Das hat damit zu tun, dass wir eine reine Amateurband waren. Zum Beispiel arbeitete unser Bassist hauptberuflich im Finanzamt Köln-Nord. Wenn wir dann ein komplettes Wochenende durchgespielt hatten, lief er montagmorgens mit Panda-Augen in seiner Arbeitsstelle ein. Irgendwann wurde ihm das verständlicherweise zu viel. Wir mussten in der Anfangszeit also hin und wieder das Personal auswechseln.
Wie ist es Ihnen gelungen, die Authentizität der Band über bald fünf Jahrzehnte aufrechtzuerhalten?
Darauf habe ich in der Tat immer gut aufgepasst. Natürlich sind im Laufe der Jahre Berater der Plattenfirma an uns herangetreten, um uns zu erklären, was wir alles besser machen müssen. Davon haben wir uns aber nicht beeinflussen lassen, sondern sind bei uns geblieben. Diese Haltung hat letztlich dazu geführt, dass uns die Leute vertrauen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Viele Fans der ersten Stunde, die wir damals vor der Bühne haben aufwachsen sehen, besuchen unsere Konzerte mittlerweile gemeinsam mit ihren Kindern und teilweise sogar mit ihren Enkeln. Alle reden von den "Swifties", aber es gibt auch die "BAPies" (lacht).
Ab November wird sich BAP auf eine "Zeitreise" begeben – mit den Songs der Doppelplatin-Alben von 81/82. Funktioniert so heutzutage eine "Best-of-Tour 2.0"? Der Ansatz, mit den Songs von zwei Alben aus den 80ern auf Tour gehen zu wollen, klingt mutig …
Im Nachhinein finde ich das gar nicht mehr so mutig. Als mir diese Idee in den Sinn gekommen ist, habe ich aber schon etwas damit gehadert, wie ich das der Band am besten stecken sollte. Ich war davon ausgegangen, dass meine Kollegen lieber etwas Neues machen wollten. Alle waren aber sofort hellauf begeistert.
Die Idee basiert auf den Erfahrungen unserer vergangenen "Schliesslich unendlich"-Tour. Neben vielen neuen Songs habe ich damals auch einige Lieder auf die Setliste gepackt, die wir seit mehr als 30 Jahren nicht mehr gespielt haben – zum Beispiel "Wenn et Bedde sich lohne däät". Was dann im Publikum passiert ist, werden wir nicht so schnell vergessen. Ich habe Freudentränen in den Augen der Fans gesehen. Da die Reaktionen bei jedem Konzert ähnlich ausgefallen sind, habe ich mir überlegt, eine Tour ausschliesslich mit den beiden Doppelplatin-Alben "für usszeschnigge" (1981) und "vun drinne noh drusse" (1982) auf die Beine zu stellen. Von diesen Alben stammen ja auch viele unserer grossen Hits wie "Verdamp lang her" oder "Kristallnaach". Hinzu kommen ein paar Songs, die noch älter sind. Auch unserem Tourneeveranstalter hat die Idee gefallen. Allerdings hat er mich gefragt, ob es dazu denn auch einen Tonträger geben wird.
Und diesen Tonträger hatten Sie noch nicht in petto?
Richtig. Daran hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch nicht gedacht. Ich habe mich dann mit der Plattenfirma auf ein Live-Album verständigt. Ein Studioalbum wäre eine Beleidigung für die Musiker gewesen, die damals dabei gewesen sind. Zudem besteht bei älteren Liedern immer die Gefahr, dass man sie überproduziert, damit sie besonders modern klingen. Das Live-Album haben wir letztendlich an vier Terminen in den Kölner Sartory-Sälen aufgenommen – also an dem Ort, an dem wir zwischen 1980 und 1985 unsere grössten Konzerte gespielt haben. Schon der Vorverkauf hat uns gezeigt, dass wir auf dem richtigen Pfad sind: Alle vier Konzerte waren nämlich innerhalb von drei Stunden ausverkauft. Unfassbar!
Wie erklären Sie sich diese Begeisterung der BAP-Fans?
Die Leute besuchen sich sozusagen selber in ihrer Jugend. Wenn du heute knapp 60 Jahre alt bist, warst du damals 17 oder 18. Klar, dass da die ganzen Emotionen wieder hochkommen. Die vier Sartory-Konzerte waren im Prinzip Familienveranstaltungen. Viele der Fans, die vor der Bühne standen, kennen wir natürlich schon lange. Ich habe sie vor der Bühne aufwachsen sehen und sie haben gesehen, wie ich auf der Bühne alt werde. So etwas verbindet.
Die Fans und Musiker sind also älter geworden, während die in den Songs besungenen Themen – zum Teil leider – aktueller denn je sind. Was macht diese Erkenntnis mit Ihnen?
Man schluckt schon, wenn man Stücke wie "Kristallnaach" spielt. Ich hätte nichts dagegen, wenn dieser Song mal unaktuell sein würde, befürchte aber, dass es nicht dazu kommen wird. Es gibt auch BAP-Lieder, die eine neue Aktualität bekommen haben. Ich denke da an "Zehnter Juni" mit der Hookline "Plant mich bloss nit bei üch inn". Dieser Song wurde einst zum Nato-Doppelbeschluss, der mit grossen Demonstrationen verbunden war, geschrieben. Aus heutiger Sicht müssen wir uns eingestehen, dass es zum Glück zu diesem Beschluss gekommen ist. Das atomare Gleichgewicht hat uns eine lange Friedenszeit beschert. Wenn ich heute "Zehnter Juni" spiele, denke ich vor allem an die jungen russischen Deserteure, die sich ins Ausland abgesetzt und damit Putin das Signal gegeben haben: "Plant mich bloss nicht bei diesem Scheiss ein".
Werden Sie diese Geschichte und andere politische Botschaften im Rahmen Ihrer "Zeitreise 81/82"-Tour mit den Menschen teilen?
In Massen. Ich werde nicht von einem Stück zum nächsten predigen. Ich kann formulieren, was politische und gesellschaftliche Situationen mit mir persönlich machen. Alles andere ist meines Erachtens nicht die Aufgabe von Kunst. Damit missbraucht man Kunst sogar ein Stück weit. Polit-Rock war mir immer sehr suspekt, wenngleich ich bis heute ein politischer Mensch bin.
Wie äussert sich das konkret?
Ich bin ein bekennender Nachrichtenjunkie. Wenn ich nicht vernünftig informiert bin, werde ich unruhig. Ich muss das alles wissen. Das bedeutet aber nicht, dass ich andere Leute mit meiner Meinung behelligen werde. Ich bin auch kein Aktivist. Vielmehr versuche ich zu verstehen, was in der Welt vor sich geht.
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Bewegen Sie sich bei BAP-Konzerten heute noch genauso wie in den 80ern?
Natürlich sind auch wir nicht stehengeblieben, aber ich verstehe mich nicht als Berufsjugendlicher. Ich laufe mit 73 mittlerweile nicht mehr auf der Bühne umher und mache wilde Faxen. Mit Berufsjugendlichen habe ich immer ein bisschen Mitleid. Wenn Leute es nicht schaffen, in Würde zu altern, dann tun sie mir leid. So jemand möchte ich auf keinen Fall sein.
Sie leben nach wie vor in der Kölner Südstadt. Weil sich das für den Frontmann einer Kölschrockband so gehört oder weil sie sich nur dort zu Hause fühlen?
Köln ist einfach meine Heimat – mit allem, was ich an dieser Stadt auch zu kritisieren habe. Dort bin ich aufgewachsen und Kölsch ist die Sprache meiner Seele. Im Alter von sechs Jahren musste ich meine erste Fremdsprache lernen: Hochdeutsch (lacht).
"Wenn die Kölner reden, dann singen sie schon fast."
Warum sind Kölsche Bands bundesweit und – im Fall von BAP – auch über die Grenzen Deutschlands hinweg so beliebt, während zum Beispiel bayerische Bands häufig nur in Oktoberfestzelten oder beim Après-Ski funktionieren? Ausnahmen bestätigen die Regel.
Kölsch ist ein angenehmer Dialekt. Wenn die Kölner reden, dann singen sie schon fast. Du kannst als Kölner die Endungen wunderbar in das nächste Wort übergehen lassen. Das Eine fliesst in das Andere über – ähnlich wie im Französischen oder Italienischen. Hochdeutsch hingegen ist unglaublich zackig, was es schwierig macht, damit Musik zu machen. Irgendwie klingt es immer ein bisschen beamtet.
Sie sind alles andere als ein Beamter, sondern Künstler durch und durch. Sind Sie eigentlich noch als Maler aktiv?
Das sind zweierlei Berufe. Ich habe ja Malerei studiert und war immer mit grosser Leidenschaft bei der Sache – bis mir eines Tages meine Hobbyband dazwischen gekommen ist.
Eine Hobbyband namens BAP …
Das waren wir damals – nicht mehr und nicht weniger. Mit zunehmendem Erfolg der Band ist mir dann aber klar geworden, dass ich mich für eine der beiden Passionen entscheiden muss. Andernfalls hätte ich keine der beiden Sachen richtig machen können. Spätestens mit dem grossen Besetzungswechsel bei BAP um die Jahrtausendwende, als der "Major" (Spitzname des Gitarristen Klaus Heuser; Anm. d. Red.) ausgestiegen ist, wusste ich, dass ich die Band komplett an der Backe haben würde – auch mit Blick auf die organisatorischen Herausforderungen. Eigentlich ist alleine das schon ein eigenes Berufsfeld. Heute kümmere mich um unser Artwork und das Bühnenbild, sodass ich mich weiterhin kreativ entfalten kann. In Museen oder Galerien werde ich aber nicht mehr ausstellen. Das ist nochmal ein ganz anderer Beruf.
Hat es auch etwas damit zu tun, dass der Applaus des Publikums direkter und prägender ist als das Lob eines Kunstkritikers?
Auch wenn es etwas uncharmant klingen mag: Das Rockpublikum ist mir deutlich lieber als das Kunstpublikum – weil es unverstellter ist. Die Reaktionen der Fans bei einem Konzert kommen immer direkt und ehrlich. Damit kann ich persönlich mehr anfangen.
Henning Krautmacher hat sein "Höhner"-Zepter mittlerweile weitergegeben. Wäre BAP ohne Wolfgang Niedecken vorstellbar?
Auch wenn es eitel klingt: Letztendlich bin ich BAP. Die ersten drei Alben sind unter dem Bandnamen "Wolfgang Niedecken’s BAP" erschienen, weil die Plattenfirma das so wollte, ehe wir meinen Namen rausgenommen haben. Seit einigen Jahren treten wir offiziell wieder als "Niedeckens BAP" auf – allerdings aus rein juristischen Gründen, weil ich bei der grossen Besetzung mit Bläsern nicht garantieren kann, ob immer dieselben Musiker dabei sind. BAP wird es ohne mich wahrscheinlich nie geben. Ich finde es aber grossartig, dass das zeitlose Repertoire der Höhner und der Bläck Fööss weiter gepflegt wird. Diese Lieder bedeuten den Kölnern eine Menge, so wie die Songs von Willi Ostermann.
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