Millionen Fernsehzuschauer kennen Wrestling als spektakuläre Unterhaltung. Doch aus Show kann tödlicher Ernst werden, wie im Fall von Perro Ramirez, der in Mexiko bei einem Kampf starb. Der Wrestling-Europameister Karsten Kretschmer erklärt, warum sein Sport immer auch mit Risiko verbunden ist.
Wer zum ersten Mal Wrestling schaut, könnte sich an einen Bud-Spencer-Film erinnert fühlen. Die Guten kämpfen gegen die Bösen, es gibt ordentlich einen auf die Mütze, aber in Wirklichkeit tut sich niemand weh. Doch das Bild vom Wrestling als reine Unterhaltungsshow trügt: Hier sind die Schmerzen echt. Die Männer und Frauen im Ring sind Extremsportler. Wie Stuntmen, nur ohne jede Absicherung - eine falsche Bewegung kann tödlich sein.
Vor einigen Tagen starb der mexikanische Star Pedro Aguayo Ramirez, er brach sich nach einem Tritt seines Gegners das Genick. Laut mexikanischen Medien deutet alles auf einen tragischen Unfall hin: Nicht der Dropkick von Gegner Rey Misterio sei tödlich gewesen, sondern der unglückliche Aufprall des Kopfes an den Stahlseilen.
Karsten Kretschmer hat in seinen 21 Jahren als Wrestler schon viele Verletzungen gesehen, so etwas Schlimmes aber noch nicht. "Zum Glück", setzt er hinterher. Kretschmer ist der bekannteste deutsche Wrestler, er hält den Europameistertitel der Professional Wrestling Alliance PWA. Er glaubt, dass viele Menschen ein ganz falsches Bild vom Wrestling haben. "Viele Leute denken ja, wir spielen Theater", sagt Kretschmer. "Die sind sich nicht im Klaren, was für eine komplexe Sache das ist. Wrestling ist Hochleistungssport."
Verletzungen wie beim Boxen
Ein Hochleistungssport, in dem es immer wieder zu tödlichen Unfällen kommt - selten zwar, aber die Gefahr besteht. "Da gehen hochtrainierte Athleten in den Ring - und jeder von denen setzt sein Leben auf's Spiel", sagt Karsten Kretschmer. Es gibt keine genauen Statistiken darüber, wie viele Wrestler im Ring gestorben sind, wohl aber prominente Fälle: Owen Hart etwa, der Bruder des legendären Bret "Hitman" Hart, starb 1999 bei einem verunglückten Stunt. Er sollte von der Hallendecke in den Ring schweben, doch das Seil löste sich zu früh, Hart fiel aus 24 Metern Höhe in den Ring und starb.
Auch wenn die grobe "Storyline" der Kämpfe meist abgesprochen ist – die Tritte und Schläge sind echt. Deswegen lernen die Sportler, wie man richtig fällt und die Treffer abfängt. Nicht immer hilft das. In Österreich fiel vor drei Wochen ein 23-jähriger Kämpfer zwischenzeitlich ins Koma. Er war bei einem Wurf mit dem Kopf auf dem wohl zu harten Ringboden aufgeschlagen, erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma und Verletzungen der Lunge. Zu den typischen Schäden zählen ähnlich wie im Boxen vor allem Gehirnerschütterungen, laut Studien betreffen ein Drittel der Verletzungen den Kopf und den Nacken.
Zur Verletzungsgeschichte des Wrestling gehört auch der weit verbreitete Medikamentenmissbrauch: Gegen die Schmerzen helfen oft nur Drogen. Steroide zum Muskelaufbau, Amphetamine zum Fitwerden, Koks zum Kämpfen – liest man die Biografien von Legenden der WWF, finden sich häufig diese Zutaten. Auch im Tod ähneln sich viele Wrestler. Meist sind es Herzinfarkte im recht frühen Alter, so wie bei "Macho Man" Randy Savage, der mit 58 Jahren starb, oder dem "Ultimate Warrior", dessen Herz schon mit 54 Jahren versagte.
Das Restrisiko kämpft mit
"Perro" Aguayo war 35 Jahre alt, als er im Ring starb. Er war ein Profi, genau wie sein Gegner Rey Mysterio. Er verfügte über jahrzehntelange Erfahrung, er hat alle Bewegungen hundertfach geübt, hat gelernt, Tritte selbst setzen und auch abzufangen. Doch es bleibt immer ein Restrisiko, erklärt Europameister Karsten Kretschmer: "Man kann einen Kampf nicht durchchoreografieren. Da wird immer auch improvisiert."
Besonders in Mexiko gehe es mitunter recht chaotisch zu. Am tödlichen Match waren vier Sportler beteiligt, in Sekundenbruchteilen müssen die Kämpfer reagieren. Das mexikanische Wrestling sei ausserdem viel akrobatischer als in Deutschland, erklärt Kretschmer. "Da nehmen sich die Kämpfer auch gern mal eine Atempause in den Seilen." Deswegen sei den anderen Kämpfern zunächst gar nicht aufgefallen, wie schlimm es um "Perro" Aguayo stand, der leblos in den Seilen hing.
Karsten Kretschmer hat bislang immer Glück gehabt. Zweimal, erzählt er, sei er schon auf den Nacken gefallen, aber mit Schleudertraumata davongekommen. Das A und O auch in diesem Fall: Hartes Training. "Ohne austrainierte Muskulatur hast du im Ring nichts zu suchen." Einen Knockout hat Kretschmer auch schon erlebt: "Bei einem Dropkick hat sich mein Fuss im
Seil verheddert und ich bin seitlich auf die Schläfe gefallen." Wenn etwas schief geht, schwebt ein Kämpfer in Deutschland in grösserer Gefahr als in den grossen Ligen in Mexiko und den USA. Während dort in aller Regel ein Ringarzt und ein medizinisches Team bereit steht, ist das hierzulande unbezahlbar. Nur ein Sanitäter ist immer vor Ort.
Aber auch wenn ein Kampf wie geplant verläuft - es gebe keinen einzigen, aus dem er ganz ohne Blessuren herausgehe, sagt Kretschmer. Mit seinen 40 Jahren merke er die Schmerzen jeden Morgen. "Aber das ist bei allen Leistungssportlern so. Im Handball, im Basketball, auch im Fussball. Es klingt martialisch, aber: Man gibt seinen Körper zum Ergötzen des Publikums."
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