• Das Jahr neigt sich dem Ende entgegen und RTL präsentiert mit "2020! Menschen Bilder Emotionen" seinen grossen Jahresrückblick.
  • Allerdings wurden nicht alle Themen ausreichend behandelt.
  • Dabei blieben auch die Emotionen auf der Strecke.
Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Markus Bosch dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Der Dezember ist da und damit auch Zeit für die Jahresrückblicke im TV. Am Sonntagabend war RTL mit "2020! Menschen, Bilder, Emotionen", wie gewohnt präsentiert von Günther Jauch, an der Reihe.

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Doch das Jahr 2020 war sicherlich kein gewöhnliches Jahr, das Thema Corona war und ist allgegenwärtig. Bleibt da noch Raum für andere Themen?

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Den Auftakt machte aber natürlich das Corona-Thema mit der Influencerin Zara Todil, die sich in einem Video über die Hamsterkäufe amüsierte. Doch dem amüsanten Auftakt folgte ein ernster Einblick in den Corona-Alltag in einer deutschen Klinik.

Die Ärztin Carola Holzner, mit einem Wutpost gegen Coronaleugner ins breite Licht der Öffentlichkeit gerückt, gewährte beklemmende Einblicke in ihren Arbeitsalltag.

Sie berichtete, dass, laut ihrer Erfahrung, Coronaleugner überrascht sind, wenn sie die Diagnose COVID-19 erhalten. Ihren Blumenstrauss widmete sie symbolisch allen Mitarbeitern des Gesundheitswesens - ein erster Gänsehaut-Moment. Das Thema Corona ist damit aber erst einmal abgehakt.

Mick Schumacher froh über Vergleiche mit Vater Michael

Neben zahlreichen Videobeiträgen mit den Highlights des Jahres standen die Gespräche mit mehr oder weniger prominenten Menschen des Jahres 2020 im Vordergrund. Formel-2-Champion Mick Schumacher sagte über die Vergleiche mit seinem Vater Michael: "Ich hab nix dagegen, mit ihm verglichen zu werden. Er wird immer der Beste für mich bleiben. Ich bin froh mich mit ihm vergleichen zu dürfen."

Schauspieler Wotan Wilke Möhring berichtete von den Erfahrungen mit dem "Homeschooling" bei seinen Kindern im Lockdown. Schauspiel-Shootingstar Helena Zengel ("Systemsprenger") gewährte Einblicke in ihren Alltag und in die Dreharbeiten mit Hollywoodstar Tom Hanks. Moderator Jauch begrüsste sie mit einer Indianersprache, die sie für den Film mit Hanks lernen musste.

Bayerns Triple-Trainer Hansi Flick schilderte neben seinem Umgang mit den Spielern auch die Probleme der deutschen Nationalmannschaft. "Es ist keine einfache Situation für die Nationalmannschaft. Es gibt kaum Zeit zu trainieren. Ein Team entwickeln ist in dieser kurzen Zeit nicht möglich, da man auch Rücksicht nimmt auf die Vereine und deren Belastung", erklärte Flick, der wie so mancher Gast, nur ins Studio zugeschaltet war.

Rettung per Tinder in Norwegen

Deutlich skurriler wurde es im Anschluss, als zwei Freunde von ihrer Rettung durch die Datingapp "Tinder" in Norwegen berichteten. Sie steckten mit ihrem Wohnmobil am Nordkap fest und meldeten sich bei "Tinder" an und erhielten darüber tatsächlich Hilfe. Es sind solche Geschichten, die in keinem TV-Jahresrückblick fehlen dürfen. Aber es wurde noch besser: Der Retter der beiden Reisenden machte beim norwegischen "Bauer sucht Frau" mit und fand dort tatsächlich die grosse Liebe. Inzwischen ist er aber wieder solo.

Sehr bewegend war die Geschichte des 100 Jahre alten Thomas Moore, inzwischen von der Queen zum Ritter geschlagen, der durch Läufe in seinem Garten über 38 Millionen Dollar an Spenden gesammelt hatte. Leider konnte er anschliessend dem Interview nicht beiwohnen, da die Schalte bereits ziemlich spät am Abend stattfand. Mit über 100 Jahren hat man da einfach andere Prioritäten.

Bizarr und faszinierend zugleich wurde es, als eine Frau erzählte, wie ihr ein Gehirntumor entfernt wurde und sie parallel dabei Geige spielte. "12, 13 Leute haben an mir rumgebastelt", schilderte sie im Gespräch mit Jauch. Auf Youtube habe sie gesehen, wie jemand bei einer OP Geige gespielt habe. Ausgerechnet jenes Instrument vergass sie vor der Operation zu Hause, lieh sich dann aber von einem Freund eine Geige für die OP aus.

Helene Fischer mit zwei Auftritten

Die Geschichte einer Frau, die auf der einsamen Autobahn von einem anderen Fahrer aus ihrem brennenden Auto in letzter Sekunde gerettet wurde, ist bei aller Dramatik hingegen schon wieder beinahe gewöhnlich. Berührend ist aber, dass die Frau sich noch immer jeden Tag nach dem Befinden ihres Retters erkundet und daraus sogar eine Freundschaft entstand ist.

Aber was wäre ein Jahresrückblick ohne musikalische Performance von Helene Fischer. Richtig, nichts! Coronabedingt war sie in diesem Jahr vermeintlich weniger präsent, doch bei "Menschen Bilder Emotionen" wurde noch eine Auftrittsmöglichkeit gefunden. Anschliessend sprach sie über die vielen "normalen" Dinge, die sie 2020 erlebt habe. Später erhielt sie noch einen zweiten Auftritt mit Rea Garvey. Auch Schlagerurgestein Howard Carpendale durfte noch ein Medley seiner besten Hits schmettern.

Da der Jahresrückblick aber bei RTL ausgestrahlt wird, durfte natürlich auch eine persönliche Geschichte aus dem Leben eines Prominenten nicht fehlen. Die Redaktion entschied sich für Reiner Calmund und seinen gewaltigen Gewichtsverlust. Dank Magenverkleinerung erschlankte das einstige Schwergewicht deutlich und nahm 69 Kilogramm binnen zehn Monaten ab.

Das Abnehmen hatte auch einen weiteren positiven Effekt, denn die viel zu gross gewordene Kleidung wurde teilweise zu Masken umgearbeitet. Mit einem Augenzwinkern lässt sich festhalten: "Abspecken für den guten Zweck" gilt für Calmund gleich doppelt.

Jens Spahn und Henrik Streeck bei Jauch zu Gast

Typisch 2020 waren auch die lustigsten Fails bei Videokonferenzen, die nicht einmal vor den Royals und der Bundeskanzlerin Halt machten. Aber auch berührende Momente entstanden durch die Videokonferenzen. Wohl jeder kann eine besondere Geschichte erzählen. Elena Uhlig macht sogar eine ganze Show per Videocall aus der Toilette und erzählte davon. Es war das ausführlichste Gespräch der Sendung und bot noch einige Lacher.

Aber auch die ernsten Corona-Thema standen natürlich auf der Agenda, mit höchster politischer Unterstützung. Gesundheitsminister Jens Spahn sprach über die aktuelle Corona-Lage in Deutschland. Gleichzeitig mahnte er eindringlich zur Solidarität in Deutschland, auch und insbesondere über Weihnachten.

Emotional wurde es als die drei Generationen einer Familie, die unter einem Dach leben, von zwei Corona-Infektionen erzählten. Mutter und Tochter infizierten sich im März mit dem Virus und die Mutter musste sogar auf der Intensivstation behandelt werden. Die Familie stand komplett unter Quarantäne. "Es war knapp", schilderte der Ehemann den zwischenzeitlichen Zustand seiner Partnerin.

Inzwischen ist sie aber wieder genesen. Es ist eines dieser Corona-Schicksale, die in diesem Jahr leider wohl tausendfach in Deutschland zu beobachten waren. Hier wäre es wünschenswert gewesen, dass der Familie mehr Zeit im Gespräch mit Jauch gegeben worden wäre, um aus erster Hand von den Abläufen einer Corona-Infektion und den Gefühlen und Gedanken in dieser Zeit zu erfahren.

Stattdessen wurde anschliessend Virologe Hendrik Streeck als Corona-Erklärer genutzt. Seine "Heinsberg-Studie", die inzwischen aufgrund ihrer statistischen Ergebnisse in der Kritik steht wird beinahe als bahnbrechend gefeiert. Im Gespräch mit Jauch mahnte er zu "Eigenverantwortung und Achtsamkeit gegenüber anderen".

Ausserdem forderte er mehr Vorbereitung für Pandemien, die ja jederzeit passieren könnten. Im Vergleich zu vorangegangenen TV-Auftritten vermied Streeck bei diesem aber Aussagen, die für Reibung sorgen könnten.

US-Wahl und Black Lives Matter werden nicht ausführlich besprochen

"Menschen Bilder Emotionen" zeigte, dass es 2020 möglich ist, einen Jahresrückblick zu machen, der nicht nur aus Corona-Themen besteht. Ähnlich wie in den vergangenen Jahren glich der Jahresrückblick aber eher einer XXXL-Ausgabe von "stern TV", das Jauch auch schon einmal moderierte.

An so mancher Stelle wären ausführlichere Gespräche mit den Beteiligten eine willkommene Abwechslung gewesen. Zudem fehlte beispielsweise auch eine ausführliche Besprechung der Geschehnisse in den USA mit der "Black Lives Matter"-Bewegung oder den US-Wahlen.

Stattdessen standen skurrile, faszinierende, erschreckende und emotionale Geschichten im Vordergrund, die für den jeweiligen Betroffenen sicherlich einschneidend und prägend waren, aber nicht immer für ein Millionenpublikum in einem Jahresrückblick relevant sind. Daher fehlten so manches Mal auch die ganz grossen und emotionalen Gänsehaut-Momente.

Die Corona-Pandemie wurde in ausreichendem Masse und weitestgehend gelungen aufbereitet. Ähnliches hätte man sich auch bei so manchem national oder international relevantem Thema gewünscht.

Moderator Jauch führte hingegen in souveräner Manier durch die Sendung und hatte wie gewohnt in den Gesprächen seine stärksten Momente. Seine besondere Neugier und seine Erfahrung in Gesprächssituationen sorgen dafür, dass sich auch TV-unerfahrene Personen in seiner Gegenwart wohl fühlen und offen von ihren Erlebnissen und Gedanken erzählen.

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