Sein Name ist Hase. Bugs Bunny feiert Geburtstag. 80 Jahre hat der Looney-Tunes-Hase nun schon auf dem Buckel. Doch dass er seinen Achtzigsten überhaupt erleben würde, war nicht selbstverständlich. Schliesslich wird Bugs Bunny seit seiner Geburt brutal gejagt. Da darf man zum Geburtstag mal fragen: Kann man so eine Serie heute noch produzieren?
80 Jahre. Das ist eine lange Zeit. Insbesondere, wenn man sie in grossen Teilen damit verbracht hat, Schrotkugeln, herabfallenden Ambossen und Dynamit-Stangen auszuweichen.
Nun zeigt Warner Mitleid mit dem dauerbejagten Hasen: In Zukunft wird Bugs Bunnys Erzfeind Elmer dem Hasen nicht mehr mit seiner Schrotflinte nachstellen. Ein Zeichen gegen Schusswaffengewalt, heisst es. Das ist eine gute Nachricht für Herrn Bunny. Die schlechte: Elmer geht dem Hasen jetzt mit einer Sense hinterher.
Das mag ihm in manchen Situationen einen gewissen Vorsprung verschaffen, ob damit dem Ziel, auf die Gefahren von Waffengebrauch aufmerksam zu machen, gedient ist, sei einmal dahingestellt. Wenn denn die Annahme stimmt, dass man die Gewalt durch Feuerwaffen reduzieren kann, indem man sie aus Zeichentrickserien verbannt, dann dürften nun bald die Todeszahlen durch Sensen-Morde in die Höhe schnellen. Es ist offensichtlich, dass es wenig Sinn ergibt, Gewalt nach Waffengattungen reduzieren zu wollen.
Also muss man genereller fragen: Wie viel Gewalt darf's denn überhaupt sein? Darf man 80 Jahre nachdem Bugs Bunny zum ersten Mal Kontakt mit Elmers Schrotflinte aufnahm überhaupt noch solche gewalttätigen Zeichentrick-Folgen produzieren?
Was würden Elmer und Bugs Bunny heute tun?
Gehen wir diese Frage mal ein bisschen systematisch an. Elmer, das ist nach 80 Jahren erfolgloser Hasenjagd offensichtlich, scheint es nicht darum zu gehen, einen Hasen fürs Abendessen zu erlegen. Einen Hasenbraten bekommt er günstiger und weniger zeitintensiv im Supermarkt.
Ausserdem zieht so eine Jagd einen Rattenschwanz an anderen Dingen nach sich: eine gültige Jagdlizenz, Kurse zur Jagdsicherheit, Pflege und Instandhaltung der Waffe, die aufwendige Fährtensuche und und und. Über ethische Bedenken und die gesellschaftliche Ächtung der Hasenjagd müssen wir hier gar nicht erst reden.
Es muss also etwas Persönliches sein. Da wirkt natürlich eine Schrotflinte schon etwas aus der Zeit gefallen. Eine Sense allerdings noch ein bisschen mehr. Heute würde Elmer die Sache mit Bugs Bunny sicher ganz anders angehen. Wahrscheinlich würde er ihm bei Instagram und Facebook Hasskommentare hinterlassen. "Schau dich doch mal an, du Opfer! Armes Deutschland!" So etwas in der Art. Rechtschreibfehler denken Sie sich bitte selbst dazu.
Vielleicht würde Elmer auch versuchen, Bugs Bunny im Wutbürger-Stil niederzubrüllen: "Bunny muss weg!" Oder: "Auf die Nase, Lügen-Hase!" Irgendwann würde Elmer das gesamte Comic-System an sich infrage stellen und Bunny mit Fake News und Verschwörungstheorien überziehen. Ja, heute braucht man keine Schrotflinte mehr, um jemanden anzugreifen. Es reicht, wenn man es hinbekommt, sich ein Facebook-Konto zuzulegen.
Bugs Bunny würden die täglichen Angriffe, darunter Morddrohungen, erst Angst und dann mürbe machen. Er würde sich Rat bei einem Anwalt suchen und Strafanzeige gegen Elmer stellen. Spätestens hier würden jedoch die Produzenten einschreiten, denn mit einem Gerichtsverfahren würde eine Bugs-Bunny-Folge ausser Kontrolle geraten. Gewalt in Zeichentrickserien hat nämlich einen Sinn.
Bugs Bunny oder: Wie realistisch darf's denn sein?
Sie verkürzt die Reaktionszeit. Ohne Gewaltszenen gäbe es im Zeichentrick kein Zack und kein darauffolgendes Bumm. Es gäbe einen anwaltlichen Schriftwechsel. Aber Kinder lachen nicht, wenn der Postbote Elmer per Einschreiben eine einstweilige Verfügung zustellt oder sich die beiden aussergerichtlich einigen. Sie lachen, weil ihm Bugs Bunny eine Stange Dynamit in die Hose steckt.
Wie, ein drolliger Hase, der mit Waffen hantiert, lädt Kinder zur Nachahmung ein? Dann suchen Sie bitte einmal alle Fälle der vergangenen 80 Jahre heraus, in denen ein Mensch zu Schaden gekommen ist, weil ihm jemand eine Schrotflinte um den Hals geknotet hat oder er gegen ein auf die Wand gezeichnetes Loch gerannt ist. Ich denke, Kinder können durchaus unterscheiden, welche Gewaltdarstellungen realistisch sind und was aus Zeichentrickserien man nachmachen kann und was nicht.
Okay, in Zeiten, in denen ein Präsident laut darüber nachdenkt, ob es sich nicht lohnt, das Spritzen von Desinfektionsmittel gegen Corona zu erforschen, scheint nichts ausgeschlossen. Aber die wirklichen Gefahren für das Leben und Seelenleben von Kindern kommen trotzdem von ganz anderer Seite: vom Strassenverkehr, von zu viel Zucker, von zu wenig Bewegung, von Staatsverschuldung, von schlechten Schulen, von Armut, von Rassisten, von der Klimakrise, von "Germany's next Topmodel" oder von gewalttätigen Erwachsenen. Aber sie kommen nicht davon, dass Elmer mit einer Schrotflinte auf einen Comic-Hasen zielt.
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