Der Medienpsychologe Bernad Batinic übt harte Kritik an der TV-Sendung "Austria's next Topmodel". Man bringe die Teilnehmer absichtlich in emotionale Extremsituationen. Nach dem Ausscheiden aus der Show würden sie sich selbst überlassen.
Herr Batinic, welche Motive bringen Teilnehmer dazu, an einem Format wie "Austria's next Topmodel" mitzuwirken?
Bernad Batinic: Die Distanz zwischen Medienmachern und Konsumenten wird zunehmend kleiner. Immer mehr Menschen möchten nicht nur passiv konsumieren, sondern die Medien aktiv mitgestalten. Das Internet hat diesen Wunsch bei vielen noch verstärkt. Man will sich darstellen, einmal im Rampenlicht und im Mittelpunkt stehen und sich dem Publikum präsentieren. Mitmachen, nicht länger nur Zuschauer, sondern auch Akteur sein.
Wie gehen die jungen Menschen mit dem Leistungsdruck um? Schliesslich scheidet wöchentlich eine Teilnehmerin oder ein Teilnehmer aus.
Dieser Druck ist eine enorme Herausforderung und gleichzeitig eine riesige Belastung für die betroffenen Personen. Es ist sicher für viele von ihnen schwierig, adäquat damit umzugehen und mit der Situation zurechtzukommen. Man muss sich nur einmal das Feedback der Jury und die Begründungen für die Rauswürfe genauer ansehen. Psychologen empfehlen, Feedback zu Dingen zu geben, welche die Person auch ändern kann. Beispielsweise kann man durchaus einzelne Verhaltensweisen kritisieren. Die Person selber aber sollte man nicht infrage stellen, ausser das Ziel ist, sie zu verletzen und zu demütigen.
Also du als Person stehst ausser Frage, aber dein Verhalten in der Situation war nicht in Ordnung. Das Feedback bei "Austria's next Topmodel" wird hingegen sehr stark auf die Teilnehmer selbst bezogen. Die negativen Rückmeldungen stellen sogar den Kern der Person infrage und gerade das ist eines der verheerenden Merkmale an diesem und ähnlichen Formaten. Die Jury - als Experten und Vertrauenspersonen inszeniert - greifen ihre Schüler frontal an. Was soll dabei Gutes herauskommen?
Werden von Seiten der Jury gewisse Grenzen überschritten?
Ja, sie werden weit überschritten. Und das Format ist auch auf das Überschreiten von Grenzen ausgelegt. Es geht ja nur scheinbar darum, das nächste Topmodel zu finden. Zentrales Ziel sind hohe Einschaltquoten und die Unterhaltung des Zuschauers. Und dies erreicht man, indem man junge Menschen in einer hoch sexualisierenden Umgebung zeigt und sie emotional in die Enge treibt. Entsprechend müssen sich Frauen in Dessous präsentieren, andere Leute küssen, und die Männer haben eine wesentliche Sendezeit mit freiem Oberkörper herumzulaufen. Zusätzlich bringt man die Teilnehmer in Extremsituationen, in welchen sie dann möglichst eine heftige emotionale Reaktion zeigen. Man verpasst ihnen beispielsweise einen radikalen Haarschnitt, weil das scheinbar zu einem Topmodel gehört. Dann wartet man darauf, dass jemand emotional reagiert, nämlich weint, und wenn die Kandidatin dann wegrennt, rennt die Kamera hinterher, um die Tränen quasi für den Zuschauer aufzufangen.
Denken Sie, diese emotionalen Ausnahmesituationen können für die Teilnehmer längerfristige Auswirkungen mit sich bringen?
Das kann man so pauschal nicht beantworten. In der Psychologie stellen wir fest, dass einige sehr gut mit besonderen Stresssituationen zurecht kommen und andere nach der gleichen Erfahrung stark unter den Folgen leiden. Was die jungen Menschen in so einer Show erleben ist aber sicher eine besonders herausfordernde Stresssituation. Das Problem besteht vor allem im Druck, der aufgebaut wird. Wenn du dieses und jenes nicht machst, dann fliegst du raus. Nur ganz wenige sagen "das mache ich nicht" oder "hier ist meine Grenze". Problematisch ist, dass die Teilnehmer überhaupt keine Erfahrung haben. Sie kommen kurz in eine Welt, die sie für das Showbusiness halten, werden eingetaucht, durchgerüttelt und dann rausgeschmissen.
Etablierte Medienstars haben diesen Druck hingegen schon häufig erlebt. Sie haben sich auch Strategien zurechtgelegt, wie sie damit umgehen oder wie sie sich selbst und ihr Privatleben schützen. Die jungen Teilnehmer hingegen haben in diese Richtung meist gar nichts vorzuweisen. Wenn sie nach so einer Sendung Probleme haben, dann müssen sie damit zurückgezogen im privaten Bereich fertig werden. Wenn jemand daran zu knabbern hat, dann wird das ja nicht mehr öffentlich ausgebreitet. Es gab eine ganze Reihe von Fällen, wo die Leute nach Castingshows durchdrehten und sich oder anderen etwas angetan haben. Die Fernsehsender sagen immer, sie würden die Kandidaten im Nachhinein betreuen. Aber das ist, wie wenn jemand einen anderen absichtlich nass macht, um ihm dann ein Handtuch zu reichen, um sich abzutrocknen.
Wie sehen Sie die Zukunft von Sendungen wie "Austria's next Topmodel"?
Wir sehen, dass sich diese Formate teilweise sehr lange halten. Es fällt auch auf, dass sie sich steigern und weiter hochschaukeln. Es kommen immer abstrusere Sendungen, wie das Nackt-Dating in der Südsee, hervor. Man versucht also immer noch einen draufzusetzen. Vor allem geht es mittlerweile darum, Menschen in hoch emotionalisierten Momenten zu zeigen. Die Betrachter ergötzen sich an immer mehr Privatem. Privates, das die Teilnehmer auch bereit sind, preiszugeben, die Folgen ihres Tuns aber häufig nicht abzuschätzen vermögen.
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