"Irgendwas stinkt hier", findet Jan Böhmermann in der neuesten Ausgabe seines "ZDF Magazin Royale". Die Herkunft des Geruchs vermutet Böhmermann in einer unscheinbaren Hütte in einem Wald in Schleswig-Holstein. Denn dort, so glaubt der Satiriker, rieche es sehr stark nach einer Steueroase für Briefkastenfirmen. Also legt er sich auf die Lauer. Mit einer Wild-Kamera.
Normalerweise spielen Geschichten, die mit einer einsamen Hütte im Wald beginnen, in einem Horrorfilm. Ganz so schlimm ist es am Freitagabend in der neuesten Ausgabe des "ZDF Magazin Royale" nicht, hier ist der Horror zum Glück nur fiskalischer Natur, also ganz ohne Blutvergiessen. Zwar beginnt das Thema, das sich
Zugegeben, das klingt ein wenig kryptisch, aber Böhmermanns Thema ist auch alles andere als selbsterklärend: "Freuen Sie sich auf ganz viele Wildschweine, auf international tätige Unternehmen, auf ein kleines bisschen Prozentrechnung, ein sexy Wort mit acht Silben und endlich mal wieder auf einen waschechten Adligen. Einen echten Grafen, dem diese Hütte im Wald gehört." Im Grunde wird Böhmermann mit dieser Beschreibung am Ende richtig gelegen haben, aber damit der Zuschauer auch versteht, worum es geht, braucht Böhmermanns Geschichte von der Hütte im Wald ein bisschen Anlauf.
Eine Hütte, viele Briefkästen
Besagte Hütte, so erklärt Böhmermann, stehe im schleswig-holsteinischen Sachsenwald, der heute zu grossen Teilen Nachfahren Otto von Bismarcks gehöre, der den Wald einst von Kaiser Wilhelm I. geschenkt bekommen habe. Das sei aber nicht das einzig Besondere an der Hütte: "Schickes Reetdach, ein beeindruckend langer Schornstein und da hängen Briefkästen. Ganz schön viele Briefkästen für so ne kleine Hütte Wald", findet Böhmermann und liefert so den ersten Hinweis, womit man es in den folgenden Minuten zu tun bekommen werde.
Denn in der Hütte im Wald leben nicht etwa fünf Familien, nein die vielen Briefkästen führen alle zu Gregor Johannes Archibald Graf von Bismarck-Schönhausen, einem Urur-Enkel von Otto von Bismarck und der ist Geschäftsführer von gleich fünf Unternehmen, zu denen die Briefkästen gehören. Böhmermann listet auf: Sachsenwald Energy GmbH, Sachsenwald Immobilien GmbH & Co. KG, Graf von Bismarck Vermögensberatung und Treuhandgesellschaft mbH, MBI Immobilien GmbH, Ewigforst Sachsenwald und Floh Enterprises GmbH.
Warum Gregor von Bismarck ausgerechnet diese Hütte im Sachsenwald als Unternehmenssitz gewählt hat, leitet Böhmermann mit Ironie ein, schliesslich ist das "ZDF Magazin Royale" nicht "WISO" oder der "Marktcheck", sondern eine Satire-Show: "Ich stell mir das ehrlich gesagt ein bisschen unpraktisch vor, ein Büro im Wald. Die ganze Zeit fallen irgendwie Kastanien in die Tassimo-Maschine rein, nachts zerbeisst der Iltis das W-Lan-Kabel, morgens lungern halbstarke Füchse vor der Tür rum und vapen und rotzen auf den Boden und andauernd bleibt man stecken auf dem matschigen Waldweg mit seinem Floh-Roller-Rucksack auf dem Weg zur Arbeit."
Der Sachsenwald: "Ein bisschen Staat, aber privat“
Die tatsächliche Erklärung für die Wahl des Firmensitzes, so erklärt es Böhmermann, sei aber der dortige Gewerbesteuerhebesatz. An dieser Stelle muss Böhmermann die ohnehin schon lange Erklärung seines Themas noch um die Erklärung erweitern, was der Gewerbesteuerhebesatz überhaupt ist. Grob vereinfacht geht es schlussendlich um die Höhe der Gewerbesteuer, die von Bismarck zahlen muss; je niedriger der Gewerbesteuerhebesatz, desto weniger Steuern müsse er zahlen. Doch was hat das mit der Hütte im Wald zu tun? Das erklärt Böhmermann so:
Der Forstgutbezirk Sachsenwald sei gemeindefreies Gebiet, erklärt Böhmermann und "das bedeutet: Der vom Kaiser verschenkte Sachsenwald ist, obwohl er den Bismarcks privat gehört, so was wie eine eigene kommunale Verwaltungseinheit. Eine juristische Besonderheit aus dem Jahr 1892, als Deutschland noch ein Kaiserreich war. 1927, zur Zeit der Weimarer Republik, wurde dieses kaiserliche Sonderrecht für Gutsbezirke in Schleswig-Holstein eigentlich abgeschafft. Eigentlich. Aber nicht hier: im Sachsenwald der Bismarcks, in dem unsere Hütte steht."
"Ein bisschen Staat, aber privat", fasst Böhmermann die Lage im Sachsenwald zusammen, ehe es wieder komplizierter wird. Als Gutsbesitzer könne Gregor von Bismarck dem Landrat einen Gutsvorsteher vorschlagen "und der Landrat nickt das dann ab, macht er eigentlich immer". Dieser Gutsvorsteher übernehme für von Bismarck dann den "ein bisschen Staat"-Teil, darunter auch die Gewerbesteuer. Nun sei der aktuelle Gutsvorsteher – sowie die vorherigen – zugleich aber auch ein Angestellter von Gregor von Bismarck und habe ausserdem mit diesem zusammen noch eine Firma, die MBI Immobilien GmbH. Und von hier an ist eigentlich offensichtlich, wohin Böhmermanns Reise gehen wird.
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Noch mehr Briefkästen
"Die Firmen von Gregor von Bismarck haben ihren Sitz im Sachsenwald und sein Angestellter sorgt dafür, dass der Gewerbesteuerhebesatz für diese Unternehmen so niedrig bleibt wie seit 1958", erklärt Böhmermann und ergänzt: "Gregor von Bismarcks Unternehmen sitzen also in der Hütte im Sachsenwald, die Höhe seiner Gewerbesteuer kann sein Angestellter festlegen und dieser Angestellte ist auch noch dafür zuständig, die Gewerbesteuer zu kassieren." Bislang weht also eine Mischung aus "Glück gehabt" und "Geschmäckle" durch Böhmermanns Erzählung, das Hauptproblem, an dem sich Böhmermann stösst, kommt aber erst.
"Wohin geht die im Sachsenwald kassierte Gewerbesteuer?", formuliert Böhmermann eine Frage, die man sich bereits vor 34 Jahren im Landtag gestellt habe, wie Böhmermann den damaligen Innenminister Hans Peter Bull zitiert: "Wenn ich es mir richtig vorstelle, ist das eine Art interne Verrechnung. Da es keine Gemeinde gibt, die Steuergläubiger sein kann, kann es auch keinen Steuerschuldner im eigentlichen Sinne geben." "Das bisschen Gewerbesteuer", das von Bismarck zahle, zahle er abzüglich der Gewerbesteuerumlage also "an sich selbst", fasst Böhmermann zusammen.
Aber das sei noch nicht alles, denn inzwischen seien noch eine Reihe anderer Unternehmen in der Hütte im Wald gemeldet. "Insgesamt 21 Firmen", darunter "Tochterfirmen von millionenschweren Unternehmen“, die dort nur eine "sehr niedrige Gewerbesteuer" zahlen müssten "und die geht dann an den Wald, also an die Familie von Bismarck, also an Gregor von Bismarck", so Böhmermann. Sein Fazit: "Irgendwas stimmt hier nicht", erklärt der Satiriker und nennt das vermutete Kind beim Namen: "Könnten das Briefkastenfirmen sein?"
Jan Böhmermann: "Irgendwas stinkt hier"
Was folgt, sind wenig glaubhaft klingende Erklärungen der Unternehmen über zweckgebundene Steuern zum Erhalt des Waldes und kurze Arbeitswege, die Böhmermann mit Bildern von leeren Schreibtischen, leeren Aktenordnern, leeren Papierkörben und einem ausgeschalteten Kühlschrank aus der Hütte kontert. Ausserdem habe man, um rechtlichen Konsequenzen wegen der Vorwürfe aus dem Weg zu gehen, über zwei Monate eine Wildkamera zur Beobachtung der Tätigkeiten in den 21 Firmen im Wald aufgehängt. Das Ergebnis: 25 menschliche Bewegungen, die meisten hätten aber nach Wanderern ausgesehen.
Was man neben echten Angestelltenanfahrten auch nicht gesehen habe: Postautos, die zu den Briefkästen fahren. Deshalb habe man die Briefkästen ausprobiert und Post mit Trackern an die Hütte geschickt. "Aber angekommen sind die Briefe woanders", erklärt Böhmermann. Beide Briefe seien erst in einem Bürogebäude der Bismarcks und dann bei den Mutter-Firmen der Unternehmen in Hamburg gelandet. "Irgendwas stinkt hier", fasst Böhmermann zusammen und verspeist dann ein Brötchen mit Bismarck-Hering, ehe er die Zuschauer für weitere Details auf fragdenstaat.de/sachsenwald verweist.
Das könnte tatsächlich für manchen Zuschauer hilfreich sein, denn für 30 Minuten war das doch eine ganze Menge an Informationen. Vor allem war es eine ganze Menge an Informationen zu einem ganz speziellen Fall, so das übergeordnete Fragen fast vollständig fehlten, zum Beispiel über die Dimension des Problems: Handelt es sich hier um einen Einzelfall? Wo gibt es noch weitere solcher merkwürdigen Gesetze? Wo ist der Unterschied zu anderen Gemeinden, die, wie Böhmermann anfangs erklärt, ebenfalls niedrige Gewerbesteuern haben, um Unternehmen anzulocken. Die Frage, ab wann sich denn das Finanzamt für die Hütte im Wald interessiert, dürfte Böhmermann hingegen an diesem Freitag beantwortet haben.
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