"Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!" hat zwar in jeder Staffel neue Kandidaten, doch irgendwie gleichen sich die Abläufe. Wir haben mit Team-Expertin Svenja Hofert gesprochen, welche Gruppenprozesse in der Show ablaufen und warum vermutlich bald die Messer gewetzt werden.
Maden essen, Urin trinken und im Schlamm wühlen – das ist "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!". Das ist aber auch das Dschungelcamp: Machtkämpfe, Ausraster und Lästereien. Team-Entwicklerin Svenja Hofert erklärt im Interview, warum diese Machtkämpfe normal sind, warum die Gruppe vermutlich nie ein echtes Team wird und warum ein Anführer bald Gegenwind bekommen wird.
Frau Hofert, im Dschungelcamp sind zwölf mehr oder wenige prominente Menschen, von denen sich die meisten nicht kennen. Um was für eine Art von Gruppe handelt es sich hierbei aus psychologischer Sicht?
Svenja Hofert: Wir unterscheiden zwischen Team und Haufen. Das sind zwar keine wissenschaftlichen Begriffe, aber praxistauglich. Ein Team kennzeichnet ein gemeinsames Ziel und gemeinsame mentale Modelle, wie etwas zu erledigen ist. Bei einem Haufen fehlt all das.
Nach unserer Definition wären die Teilnehmer also ein Haufen, denn sie haben kein gemeinsames Interesse, ausser vielleicht die Zuschauerzahlen, sondern nur Einzelinteressen. Und sie haben auch keine gemeinsamen mentalen Modelle, wie sie die Aufgaben erledigen.
Kann sich so ein gemeinsames Ziel entwickeln?
Theoretisch ja, aber das ganze Konzept der Show ist nicht auf Teamentwicklung ausgelegt, sondern darauf, dass es ein Haufen bleibt. Das Voyeuristische wird ja dadurch bedient, dass die Urkräfte im existenziellen Überlebens- und Verteilungswettbewerb sichtbar werden.
Diese Rollen entwickeln sich meistens in einer Gruppe
Gibt es bestimmte Rollen, die sich in der Gruppe entwickeln?
Da gibt es verschiedene Modelle. Eines davon ist das Alpha-Beta-Omega-Gamma-Modell nach Raoul Schindler. Danach bilden sich in Gruppen immer automatisch bestimmte Positionen aus.
Zum Beispiel die Position eines Alphas. Das ist der- oder diejenige, an dem sich die anderen orientieren. Wenn sie Entscheidungen treffen, gehen die Blicke zu den Alphas. Das ist also so etwas wie ein informeller Führer.
Das Omega ist der Gegenspieler. Diese Gegenposition wird immer durch eine These vertreten. Wenn die These des Alphas zum Beispiel "harmonisches Miteinander" ist, dann würde die Gegenthese des Omega "Einzelinteressen" lauten. Das passiert in allen Gruppen, auch in Teams, aber in einer domestizierten, einer der Unternehmenskultur angepassten Form.
In so einer Reinkultur wie dem Dschungelcamp findet keine Anpassung statt. Hier zeigt sich das, was ist. Das wird von RTL auch ganz geschickt so aufgebaut, indem sie bestimmte Persönlichkeiten mit bestimmten Rollenerwartungen da reinsetzen.
Was ist mit den anderen? Müssen die sich dann zwischen Alpha und Omega entscheiden?
Meist findet sich einer, der den oder die Alpha unterstützt, das Beta. Und es gibt noch die Gammas, die Mitläufer. Diese Positionen können sich auch immer wieder ändern, aber typischerweise richten sich die Gammas am Alpha aus. Wenn Omega auch Unterstützer bekommt, kann das irgendwann bedeuten, dass er selbst zum Alpha wird. Dann wird wiederum das Alpha ein Omega.
Wenn das Alpha seine Position beibehält: Wird dann Omega irgendwann isoliert in der Gruppe?
Wenn man das auf ein Wolfsrudel überträgt, dann nimmt das Alpha das Omega mit und grenzt es nicht aus. Das Alpha bedient sich zwar bei der Beute zuerst, aber er lässt dem Omega etwas übrig. So kann das auch in Gruppen sein, muss es aber nicht.
In der Arbeitswelt kann es zum Beispiel passieren, dass das Alpha dem Omega dann kündigt – aber dann wächst garantiert ein neues Omega heran. Ich habe noch nie erlebt, dass das anders ist. Das ist auch gut so, denn es braucht insgesamt eine Balance zwischen den Kräften.
Jeder Kandidat hat seine eigene Agenda - was macht das mit der Gruppe?
Jeder Kandidat in der Show hat seine eigene Agenda, Sie sagten es schon. Was bedeutet das für die Gruppe?
Das kann grundsätzlich bedeuten, dass das Gruppenziel nicht erreicht wird, aber ein Gruppenziel gibt es hier ja gar nicht. Es gibt höchstens die Show an sich oder die Zuschauer, aber das ist ein sehr schwaches Ziel. Es kann aber durchaus eine Art von Bindung untereinander entstehen, zum Beispiel durch Cliquenbildung. Das ist das sogenannte In-and-Out-Phänomen.
Die In-Gruppe ist die Gruppe, zu der ich selbst gehöre. Das kann zum Beispiel sein, dass ich es schlecht finde, dass die Show überhaupt stattfindet. Die Brände könnten ja auch Thema bei den Kandidaten werden. Da können sich dann möglicherweise zwei Standpunkte bilden. Das kann dann am Ende auf "wir gegen die", "gut gegen böse" hinauslaufen.
Gibt es neben dieser Cliquenbildung noch andere typische Prozesse, die in einer solchen Gruppe ablaufen?
Typische Prozesse in Teams sind zunächst das Forming, also das anfängliche Beschnuppern, bei dem es noch friedlicher zugeht. Dann kommt eine Phase, die nennt sich Storming.
Dort werden die ersten Ziele sichtbar und die ersten Machtkämpfe ausgetragen. Nach dem Storming kommt das Norming - Regeln werden vereinbart. Das macht die Gruppe arbeitsfähig: Basis für die nächste Phase, das Performing. Die im Camp sind wahrscheinlich im dauerhaften Storming. Da werden gegen Ende oft zunehmend die Messer gewetzt.
Weil es auch kein gemeinsames Ziel gibt?
Genau. Beziehungsweise weil es ein diffuses und vorübergehendes Ziel ist. Das ist so wie in Unternehmen, in denen die Einzelleistung belohnt wird. Nur ist man da nicht so unter Beobachtung. Das fördert nämlich die Einbildung, die Welt drehe sich um einen …
Häufig lautet der Vorwurf im Camp, der andere sei falsch, würde nur eine Rolle spielen. Ist das überhaupt möglich?
Das halte ich für eher unwahrscheinlich. Es wird ja auch Stress erzeugt und die Kandidaten aus der Komfortzone geholt. Daher glaube ich nicht, dass man zwei Wochen lang eine absolute Show aufrechterhalten kann. Ich müsste ja jederzeit meine Augen, meine Mimik, meine Körperhaltung unter Kontrolle behalten.
Typischerweise kann ich nur in Rollen schlüpfen, die ich irgendwie auch schon mal selbst erlebt habe. Selbst bei den Schauspielern glaube ich eher nicht, dass sie Dauertheater können.
Die Feuerprobe sind die wirklich stressigen Situationen. Wie weit geht es da mit der Selbstregulation? Wenn hier zum Beispiel jemand seine Gelassenheit beibehalten kann, dann wird derjenige vermutlich auch im realen Leben gelassen sein.
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