Es ist noch gar nicht lange her, da gab es bei RTL lange Gesichter. Seinerzeit erhielt nämlich ProSieben bei der Rechtevergabe von "The Masked Singer" den Zuschlag vor den Kölnern und die Show entwickelte sich auch in Deutschland zu einem Mega-Erfolg. Inzwischen dürfte der Ärger bei RTL verraucht sein, schliesslich hatte man in der Zwischenzeit auch selbst einige erfolgreiche Quotenhits im Programm.
So richtig gute Laune dürfte man in Köln aber am Donnerstag haben, wenn man auf die Einschaltquoten vom Mittwochabend blickt. Denn es dürfte mit dem Teufel zugehen, wenn RTLs neue Show "Die Verräter" in Deutschland nicht den gleichen Erfolg hat, wie zuvor in anderen Ländern. Ursprünglich stammt die Show aus den Niederlanden, inzwischen läuft sie in knapp 20 Ländern weltweit und nun auch immer mittwochs bei RTL beziehungsweise bereits seit vergangener Woche beim Streamingportal RTL+. Aber was ist das Besondere an "Die Verräter"?
Verräter oder Loyaler?
Die Grundidee basiert auf einem Gesellschaftsspiel, das als Mafia oder auch Werwolf bekannt ist. In "Die Verräter" versammeln sich 16 Prominente auf einem französischen Schloss, um gemeinsam in verschiedenen Missionen einen Silberschatz zu erspielen. Nach einem ersten Kennenlernen ernennt Moderatorin
Deren Aufgabe ist es, alle Verräter zu enttarnen, damit der letzte Loyale das Preisgeld gewinnt. Täglich muss jeder Kandidat dafür in einer Abstimmung jeweils den Namen desjenigen nennen, den er für den Verräter hält. Der Kandidat mit den meisten Stimmen muss die Show sofort verlassen, darf aber noch preisgeben, ob er tatsächlich ein Verräter war. Aber auch die Verräter haben ihre Waffen. Jeden Abend entscheiden sie, welchen Loyalen sie in der Nacht "umbringen", also aus der Show nehmen.
Das klingt in der Tat erst einmal nach der Spielanleitung eines Gesellschaftsspiels, aber das Entscheidende ist, was zwischen diesen Regeln passiert – und das ist Unterhaltung pur. Denn bei "Die Verräter" sitzt jeder Handgriff, um die Dramaturgie so spannend wie möglich zu halten. Das beginnt bei so Kleinigkeiten wie der Auswahl der Verräter. Da sitzen die Promis mit Augenbinden am grossen runden Tisch, während Moderatorin Sonja Zietlow hinter den Rücken entlang geht und mit einem kurzen Händedruck auf die Schulter aus einfachen Kandidaten heimliche Verräter macht.
Promis? Nicht so wichtig
Da knistert zum ersten Mal die Spannung, aber "Die Verräter" hat viele solcher Momente. Zum Beispiel die tägliche Frühstücksroutine. Denn hier wird klar: Wer nicht zum gemeinsamen Frühstück erscheint, den haben die Verräter in der Nacht umgebracht. Kurzum: Die Produktion versteht ihr Handwerk und weiss, wie man durch Regelwerk und Umsetzung Spannung erzeugt. Doch das ist nur die bekannte halbe Miete.
Denn mindestens genauso wichtig ist das, was die Regeln mit den Kandidaten machen. Und so wird hier von Minute eins an intrigiert, verdächtigt, manipuliert, verwirrt, taktiert und spekuliert – je nachdem, auf welcher Seite man steht. Der besondere Reiz für den Zuschauer ist dabei natürlich der Wissensvorsprung, den er gegenüber den Kandidaten hat. Das Erstaunliche: Es spielt für die Spannung in der Show überhaupt keine Rolle, dass RTL hier lauter Promis versammelt hat.
Natürlich ist es nett, in bekannte Gesichter wie die von Irina Schlauch, Pascal Hens, Mariella Ahrens, Claude-Oliver Rudolph, Ulrike von der Groeben oder Sabrina Setlur zu blicken. Die Show hätte aber auch ohne Zweifel funktioniert, spielten hier Otto Normal und Martina Mustermann mit. Denn wichtig sind hier nicht die Namen, sondern die Emotionen der Kandidaten – und davon gibt es reichlich.
"Das rumort jetzt noch lange in mir"
In einer Atmosphäre, in der niemand dem anderen traut, wird es irgendwann persönlich, gerät Reality-TV zur Realität. Zum Beispiel – Achtung, Spoiler-Alarm – als ein Kandidat bei der Entscheidungsrunde ins Visier gerät, einer der Verräter zu sein. Da entsteht plötzlich eine Dynamik in der Gruppe, gegen die der zu Unrecht verdächtigte Kandidat nicht nur wehrlos ist, sondern die ihn auch persönlich trifft: "Manchem der Spieler und Spielerinnen nehme ich das wirklich auch persönlich übel. Das rumort jetzt noch lange in mir."
Ähnlich emotional reagieren die anderen Loyalen auf ihren ebenso falschen wie fatalen Verdacht. So kommt nach und nach ein packendes Verwirrspiel in Gang, bei dem Taktiken ausprobiert und wieder verworfen, Bünde geschlossen und wieder gebrochen und vermeintliche Freunde zu Feinden werden.
"Die Verräter" funktioniert also auf vielen Ebenen und so bekommt der Zuschauer nicht nur einen spannenden Wettkampf, sondern auch ein unterhaltsames, weil emotionales und taktisches Verwirrspiel. Es müsste also in der Tat mit dem Teufel zugehen, wenn die Programmverantwortlichen bei RTL am Donnerstag nicht ein breites Grinsen im Gesicht haben. Der Zuschauer wird es jedenfalls haben.
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