• Dieser Fall sorgt für Aufsehen: Ex-GNTM-Kandidatin Lijana Kaggwa geht mit harscher Kritik an "Germany's Next Topmodel" an die Öffentlichkeit.
  • Das lassen die Macher der Show nicht unkommentiert stehen und verklagen Kaggwa. Mittlerweile liegt ein Beschluss des Landgerichts Hamburg vor, der Kaggwa in einigen Punkten recht gibt – in anderen nicht.
  • Wir haben mit Rechtsanwalt Thorsten Feldmann gesprochen, der erklärt, was bei solchen TV-Produktionen wie GNTM vertraglich alles geregelt wird, welche Vertragsstrafen drohen können und ob er den Fall Kaggwa als Präzedenzfall für andere Teilnehmerinnen und Teilnehmer einschätzt.
Ein Interview

Herr Feldmann, seit 17 Staffeln läuft "Germany’s Next Topmodel": Wundert es Sie, dass bisher nur ganz wenige Kandidatinnen öffentlich Kritik an den Produktionsbedingungen und der Sendung an sich äusserten?

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Thorsten Feldmann: Nein. Aber das muss nicht an "Maulkörben" liegen. Die Gründe können vielfältig sein. Zunächst könnte dies ein Zeichen der Professionalität sein. Die Teilnehmerinnen wissen, worauf sie sich einlassen und dass sie eine geschäftliche Verbindung mit dem Sender eingehen. Sie halten sich an die Regeln und Verträge, die sie geschlossen haben. Ausserdem spricht man über Geschäftspartner nicht schlecht. Und schliesslich besteht ja durchaus auch die Möglichkeit, dass wenig als kritikwürdig empfunden wird.

Ex-Kandidatin Lijana Kaggwa sieht das anders. Sie übte harte Kritik an der Show und den Produktionsbedingungen und wurde vom Sender und der Produktionsfirma von GNTM verklagt: Ein YouTube-Beitrag von ihr soll unwahre Tatsachenbehauptungen enthalten. Das wirkt ein bisschen wie David gegen Goliath. Ist das nicht ein harsches Vorgehen?

Die Einzelheiten des Falls kenne ich nicht. Auch nicht die Vereinbarungen zwischen dem Sender und Frau Kaggwa. Grundsätzlich ist es so, dass sich jede Teilnehmerin vertraglich zu bestimmten Dingen verpflichtet, und wenn im Raum steht, dass Frau Kaggwa vertragliche Verpflichtungen nicht eingehalten hat oder schlichtweg lügt, dann hat der Sender keine andere Wahl, als dagegen juristisch vorzugehen. Das ist nicht unüblich im Geschäftsleben, auch im Entertainment-Sektor. Es mag eine gewisse strukturelle Ungleichheit zwischen der Teilnehmerin und dem Sender geben. Man kann das als David gegen Goliath bezeichnen. Andererseits zeigt der Fall von Frau Kaggwa, dass man sich auf Augenhöhe begegnen kann. Sie ist juristisch hervorragend vertreten und weiss sich in der Öffentlichkeit zu bewegen und die Öffentlichkeit für sich einzunehmen. Wenn sie der Sender dann im Gegenzug verklagt, nimmt er letztendlich nur seine Rechte wahr. Unwahre Tatsachenbehauptungen über einen anderen darf man nie äussern. Dafür braucht es kein vertragliches Verbot. Insoweit ist es leichter, gegen unwahre Tatsachenbehauptungen vorzugehen, als sich auf eine Verschwiegenheitsklausel zu berufen, bei der unklar ist, was sie alles erfasst und die vielleicht unwirksam ist.

Was wird in solchen Verträgen für Casting-Shows üblicherweise geregelt?

Zunächst werden im Vertrag die Regeln des jeweiligen Formats festgelegt. Was ist Kern des Formats, was wird von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern erwartet, wo findet es statt. Dann gibt es Nebenabreden, wie die Verschwiegenheitspflicht. Die Produktionen sind in vielen Fällen grösstenteils schon abgeschlossen, bevor sie ausgestrahlt werden. Auch bei GNTM ist das zumindest teilweise der Fall. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass, bis die Sache live geht, erst mal überhaupt nichts über das Format gesagt wird. Auch kann man sich vorstellen, dass Verschwiegenheitsverpflichtungen über das Ende der Zusammenarbeit hinaus vereinbart werden. Das hat aber Grenzen.

"Der Sender will seine Exklusivität sichern"

Was genau ist mit so einer Verschwiegenheitsverpflichtung gemeint?

Zunächst muss man wissen, dass derartige Klauseln üblich sind. In fast jedem Vertrag, in dem es um eine Zusammenarbeit zweier Parteien geht, verpflichten sich die Parteien, Geheimes geheim zu halten. Dann erhebt sich natürlich die Frage, was eine vertrauliche Information ist. Dies können die Parteien des Vertrags grundsätzlich autonom bestimmen. In der Praxis gibt es der Sender vor. Erfasst sind insbesondere der gesamte Sendungsverlauf, bevor er ausgestrahlt wird, sowie das nicht ausgestrahlte Hintergrundgeschehen. Der Sender will seine Exklusivität sichern. Zu diesem Zweck ergreift er manchmal faktische Massnahmen, etwa, indem er die Handlung auf einen anderen Kontinent, eine Insel oder ein Boot verlegt. Aber natürlich sichert der Anbieter das Format auch vertraglich.

Das heisst aber, man könnte sehr pauschal sehr viel als vertraulich definieren, sodass man gar nichts mehr über eine Sendung oder Produktion sagen darf.

Der Sender hat ein berechtigtes Interesse daran, das Format zu schützen. Es gibt darüber hinaus gewisse Treuepflichten unter Vertragspartnern, die es von beiden Seiten verlangen, die Rechtsgüter der jeweils anderen Partei nicht zu verletzen. Dazu gehört im Rahmen einer Entertainment-Produktion die Exklusivität und auch das, was hinter den Kulissen passiert. Die Frage ist, ob nicht die einzelne Teilnehmerin ein überwiegendes Interesse hat. Im Ausgangspunkt gilt allerdings die Privatautonomie. Verträge sind einzuhalten. Und die Kandidatinnen lassen sich ja darauf ein. Sie lesen den Vertrag und könnten auch ablehnen und nicht mitmachen.

Deshalb ist dieser Fall kein Präzedenzfall

Das Gericht schätzte im Fall von Lijana Kaggwa eine "umfassende und zeitlich unbefristete" Geheimhaltung zunächst als unwirksam ein, das Argument wurde daraufhin von der Produktionsfirma fallen gelassen. So berichtet es unter anderem die "Süddeutsche Zeitung" unter Berufung auf Gerichtsakten. Wird diese Entscheidung in Bezug auf die Verschwiegenheitsklausel aus Ihrer Sicht einen Einfluss haben auf das Vorgehen anderer TV-Shows?

Ob eine Klausel oder ein ganzer Vertrag trotz einer Einigung der Parteien unwirksam ist, ist stets eine Frage des Einzelfalls. Wenn man etwas unterzeichnet, muss man sich zunächst daran halten. Ich würde jetzt auch nicht von diesem Einzelfall eine generelle Richtschnur ableiten, dass sämtliche unbefristeten Vertraulichkeitsvereinbarungen von solchen Reality-Formaten unwirksam sind. Es mag ja durchaus sein, dass das Gericht im Falle Kaggwa der Auffassung ist, dass die Verschwiegenheitsklausel unangemessen benachteiligend oder sittenwidrig ist, weil insoweit eine überschiessende Tendenz der Vertraulichkeitsverpflichtung besteht, die in krassem Missverhältnis zu dem steht, was die Kandidatin von einer Teilnahme an dem Format hat. Dies mag bei anderen Teilnehmerinnen und anderen Formaten anders zu entscheiden sein. Abermals: Grundsätzlich hat der Sender das berechtigte Interesse, sein Format zu schützen. Und die Teilnehmerinnen lassen sich darauf ein.

Das klingt so, als würde dieser spezielle Fall keine Auswirkung auf das Vorgehen anderer TV-Shows haben.

Jeder Fall ist anders. Wir haben hier eine Einzelfallentscheidung im Eilverfahren in der ersten Instanz, in dem über den Knackpunkt nicht entschieden wurde. Natürlich kann so eine Entscheidung wichtig sein, vor allem, weil sie den juristischen Diskurs über die Grenzen von Vertraulichkeitsvereinbarung anregt. Aber man darf das auch nicht überschätzen.

Also kein Präzedenzfall?

Nein.

Was sind denn übliche Vertragsstrafen bei einem Verstoss, insbesondere gegen die Schweigepflicht? Von welchen Summen reden wir da?

Das hängt davon ab, in welchem Stadium die Kandidatin/der Kandidat aus so einem Wettbewerb ausscheidet. Das kann fünfstellig sein, je später das Ausscheiden erfolgt, kann die Pönale [die Strafe, Anm. d. Red.] auch gut sechsstellig sein. Gerade im Falle des Obsiegens einer Teilnehmerin/eines Teilnehmers sind die Vertragsstrafen in manchen Fällen im oberen Bereich angesiedelt. Der Sender möchte sein Investment und die Exklusivitätsvereinbarung mit dem Künstler/der Künstlerin oder dem Model schützen, da betrifft die Vertragsstrafe aber nicht nur die Verschwiegenheit, sondern auch die ausschliessliche Bindung, etwa bei Platten- oder Modelverträgen.

Sind sehr hohe Vertragsstrafen nicht sittenwidrig – auch angesichts des oft jungen Alters der Teilnehmerinnen und Teilnehmer?

Junge Menschen sind mit 18 oder 19 Jahren vielleicht geschäftlich unerfahren, aber sie sind geschäftsfähig und das ist entscheidend. Für einen irgendwie gearteten Verbraucherschutz sehe ich keinen Raum. In anderen Kontexten bestehen junge Menschen darauf, ernst genommen zu werden. Warum soll das hier anders sein? Ich traue daher jungen Menschen zu, mit Verstand an solche Verträge ranzugehen. Ausserdem profitieren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von dem jeweiligen Format. Ganz unmittelbar erhalten die meisten sehr gute Reisen an Orte, für die man sonst viel Geld ausgeben müsste. Sie erhalten eine gewisse Publizität, was im Instagram- und TikTok-Zeitalter einen grossen Wert darstellt. Langfristig können darauf ganze Karrieren aufbauen, wie bei Lena Gercke oder Alexander Klaws. Es gibt aber nicht nur bei den Gewinnern der Formate Erfolgsgeschichten, auch im Bereich der "Lucky Loser" kann die Teilnahme an einem Reality-Format die Startrampe für eine Karriere in den Medien sein, wie bei Evelyn Burdecki oder Gina-Lisa Lohfink. Das waren auch junge Menschen, die einen Vertrag mit Vertragsstrafe unterschrieben haben und jetzt von dieser Prominenz leben, die durch das Format aufgebaut wurde.

Haben die Macher nicht auch eine Fürsorgepflicht den Kandidatinnen und Kandidaten gegenüber?

In einem Vertragsverhältnis müssen beide Parteien aufeinander achten. Niemand darf die andere Partei wider Treu und Glauben behandeln. Niemand darf die andere Partei bewusst schädigen. Was man auch sagen muss: Die Inszenierung ist auch Teil dieser Formate. Sie sind nur dann erfolgreich, wenn sie bestimmte Konstellationen zuspitzen. Das ist allgemein bekannt. Das Ziel dieser Formate ist der Wettbewerb an sich. Und dieser Wettbewerb lebt von einer Zuspitzung. Eine Teilnehmerin darf nicht den Anspruch an ein solches Format haben, dass sie komplett mit jeder Facette ihrer Persönlichkeit gezeigt wird. Das ist nicht der Sinn. Das mag zynisch klingen, entspricht aber der Realität.

"Ein kompletter vertraglicher Maulkorb ist nur schwer zu vereinbaren"

Überspitzungen, Zusammenschnitte: Als Kandidat oder Kandidatin einer solchen Show muss man sich also einfach gewisse Dinge gefallen lassen?

Auch das ist in vielen Fällen vertraglich geregelt. Insoweit habe ich Probleme, die Empörung einer Kandidatin nachzuvollziehen, die sich bewusst in diese vertragliche Situation begeben hat, um nach den Regeln des Formats berühmt zu werden, sich im Nachhinein aber darüber beschwert.

Abgesehen von allen Verträgen: Wäre in Form von Meinungsäusserungen Kritik erlaubt an einem Format?

Jeder Unbeteiligte darf natürlich Kritik an dem Format üben, solange er oder sie nicht lügt. Der Medienjournalismus macht davon üppig Gebrauch. Es gibt beispielsweise keinen Qualitätsjournalisten, der auch nur ein gutes Haar an GNTM und Heidi Klum lässt. Bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ist die Sache aber anders. Hier bewegen wir uns nicht im freien Bereich des Äusserungsrechts, sondern im Vertragsrecht. Ich muss mich wiederholen: Ein Vertragspartner kann sich verpflichten, sich öffentlichen Äusserungen über bestimmte Vorgänge komplett zu enthalten. Das ist üblich im Arbeitsrecht, bei Abfindungsvereinbarungen oder wenn Sportler Vereine verlassen. Man vereinbart, zu bestimmten Dingen gar nichts zu sagen, oder man vereinbart eine bestimmte Sprachregelung. Eine klassische Vertragsklausel ist es etwa, dass die Parteien wohlwollend in der Öffentlichkeit übereinander sprechen. Wir bewegen uns hier im vertraglichen Bereich, wo jemand bewusst entscheidet, seine Meinungsfreiheit in bestimmter Hinsicht entweder überhaupt nicht oder nur in einer bestimmten Hinsicht auszuüben. Natürlich hat auch die Vertragsfreiheit Grenzen. Ein kompletter vertraglicher Maulkorb ist nur schwer zu vereinbaren, weil der ab einem gewissen Punkt sittenwidrig ist. Wo diese Sittenwidrigkeit beginnt, ist stets eine Frage des Einzelfalles. Wenn jemand gesagt hat "Ich sehe davon ab, mich öffentlich über das Format zu äussern" oder "Ich verpflichte mich, mich nur wohlwollend über das Format zu äussern", dann ist das zunächst einmal wirksam.

Denken Sie, es werden sich jetzt viele ehemalige Teilnehmerinnen und Teilnehmer solcher Shows öffentlich kritisch zu Wort melden?

Ich denke nicht, dass es jetzt zu massenhaften Verletzungen vertraglicher Verschwiegenheitsverpflichtungen kommt. Ich denke, dass sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer und ihre Eltern und Berater und Beraterinnen künftig vielleicht ein bisschen besser überlegen, ob die Teilnahme an einem derartigen Format ratsam ist. Möglicherweise lassen sie sich im Vorfeld beraten und schauen genau hin, was sie unterschreiben. Jede und jeder, die und der dort reingeht, wird abwägen, ob die momentane Popularität wirklich so wertvoll ist, dass es sich lohnt, nie ein Wort darüber zu verlieren. In den Zeiten von Social Media braucht ein talentierter Mensch das Fernsehen nicht mehr, um berühmt zu werden und über eine selbst erschaffene Reichweite viel Geld zu verdienen. Vielleicht gehen die Produktionsfirmen in diesem Marktumfeld und mit der Entscheidung des LG Hamburg im Hinterkopf vorsichtiger bei der Vertragsgestaltung vor. Das sind positive Effekte. Auf beiden Seiten kann keiner mehr sagen: "Das habe ich nicht gewusst".

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Zur Person: Thorsten Feldmann ist seit 2000 bei der Kanzlei JBB Rechtsanwälte. Er ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht. Er vertritt und berät u.a. grosse deutsche Publisher, Fernsehsender, international operierende Wissenschafts- und Fachverlage, ein Hamburger Nachrichtenmagazin samt TV- und Online-Ableger, Start-Ups sowie den Anbieter der weltweit grössten Online-Enzyklopädie. Er ist ständiger Mitarbeiter der Zeitschrift Kommunikation & Recht (K&R) und Herausgeber, Autor und Referent zahlreicher Fachveröffentlichungen.
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