Kinder, wie die Zeit vergeht. Bereits zum zehnten Mal lockt Heidi Klum jetzt schon arglose Mädchen in ihre "Germany's-next-Topmodel"-Show. Und ehe man sich versieht, ist auch schon wieder Halbfinale bei GNTM. In der dreistündigen Show fahren die Macher Altbekanntes aus ihrer Gaga-Welt auf und entlarven dabei in beeindruckender Weise, worum es bei dem Ganzen wirklich geht.

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Hallooooo, Hiiiiiii, Wuhuuuuu! Der Auftakt der Halbfinalshow beginnt wie alles, was mit Heidi Klum beginnt: schrill und nervtötend. Mit überzogener Euphorie und einer Stimme, die irgendwo rangiert zwischen singender Säge und diesem Gerät, mit dem man Brillengläser reinigen kann, begrüsst die Model-Mama ihr Saalpublikum. Das besteht auf den ersten Blick aus den Verwandten der fünf Halbfinalteilnehmerinnen und ihren ehemaligen, weil ausgeschiedenen Konkurrentinnen, die manchmal gut, manchmal weniger gut abgestimmt dem Moderationstrio Heidi Klum, Wolfgang Joop und Thomas Hajo ihren Soll-Applaus abliefern.

Dass das nicht immer gut klappt, liegt mitunter auch an dem Gesagten, bei dem man nicht sicher sein kann, ob das jetzt einen Applaus wert ist. Zum Beispiel als die Klum ihrer anwesenden Mama zum Muttertag gratuliert und sich daraufhin Wolfgang Joop die eigenen Hände küsst und sich selbst zum Muttertag beglückwünscht. Da ist dann schon die Stossrichtung in puncto Blasiertheit und Nonsens der kommenden drei Stunden vorgegeben.

In denen soll es darum gehen, aus den verbliebenen fünf Kandidatinnen die eine auszusieben, die in diversen Fantasie-Kriterien nicht so gut abschneidet wie die anderen. In diesem Fall trifft es Nachwuchsmodel Darya. Wie sich die Kandidatinnen bis zu dieser Entscheidung geschlagen haben, sieht man in mehrminütigen Einspielern, Klum und Co. erscheinen eigentlich nur als Überleitung in den nächsten Werbeblock. Dazwischen taucht man mit den Mädchen ein in deren ganz eigene Kategorien von Lebenssinn.

Heidi, wirf die Säge an!

Die sind eingebettet in die bekannten Begriffe aus der Kiste "Denglisch-Sätze für Mode-Kasper": Fittings, Outfits, Covergirl, Look, Attitude, flirty, Performance – man hat vor dem Bildschirm regelrecht Angst, dass man sich bei zu langem Hinhören irgendwie diesen Gaga-Sprech einfängt. Aber die Wettbewerbe, Entschuldigung, Challenges, die sind nicht ohne. Denn, wie man von Klum erfährt, muss ein Model ein echtes Multitalent sein. In der Praxis heisst das dann: hübsch aussehen und die Klappe halten.

Trotzdem ist für die Models natürlich alles "mega" oder "cool", manches sogar "mega-cool". Da wird dann auch schon mal gestänkert, wenn die Konkurrentin das geliebte Versace-Kleid für das Titelbild der Cosmopolitan zugesprochen bekommt - der übliche Zickenkrieg, der die Show mit Dramatik und Relevanz aufblasen soll, um über die Banalität des Augenblicks hinwegzutäuschen. Nach dem Fototermin wartet dann eine "Überraschung" auf die Mädchen und der geübte Topmodel-Gucker weiss schon, dass das nur die Autogeschenke des Werbepartners sein können. Der wird dann auch pflichtgemäss über die Gebühr erwähnt. Auftrag erfüllt und ab zum nächsten Shooting nach New York.

Dort werden die Mädchen dann "abgetestet", ob sie "mutig" und "verführerisch" sind, denn schliesslich gilt es, eine "Beautykampagne" für die "Nude-Serie" einer Schminkefirma zu "shooten". An dieser Stelle ist gerade einmal eine halbe Stunde der Show vorbei und angesichts der Inhaltsleere wünscht man sich, dass die Klum ihre Säge anwirft und die Finalisten verkündet. Aber Heidi schweigt.

"Dafür bezahle ich die Mädels"

Und wo sollte sie denn auch auf einmal Inhalte herbekommen? Da ist einfach nichts in ihrer Welt, das dem Zuschauer einmal Neues bieten könnte. Die Models des Titelbilds sollen "Vorbild für die Leserinnen" sein, sagt die Tante von der Cosmopolitan während des Fototermins. Als ob "Leserinnen" der Cosmo in dem Heftchen Vorbilder suchen. Und falls doch, sei die Frage gestattet, was das für Vorbilder sein sollen. In der GNTM-Welt geht es nur darum, dass die Models immer mit irgendjemandem flirten, verführerisch oder einfach nur partiell nackig sind – süsse Mädchen, die nichts weiter sein sollen als eine sexualisierte Abspielfläche für den Werbepartner. Wer wünscht sich nicht solche Vorbilder?

Man weiss nicht, ob es traurig ist oder ehrlich oder ehrlich traurig, als Wolfgang Joop diese ganze Welt mit einem Satz entlarvt. Als die Mädchen für die Präsentation seiner Modemarke testposieren sollen, entfährt es dem Modemacher: "Dafür bezahle ich die Mädels, dass sie mir bei meiner Karriere helfen. Und wenn sie das nicht tun, fliegen sie raus." Besser hätte er den Sinn dieses ganzen Unsinns nicht zusammenfassen können. Ajsa, Anuthida, Katharina und Vanessa scheinen ihr Geld wert zu sein: Sie stehen im Finale am Donnerstag.

Man muss kein Feminist sein, um diese Show auch nach zehn Jahren noch als zutiefst verstörend zu empfinden und man kann nur hoffen, dass alle kleinen Mädchen schon im Bett waren und von einer Karriere als Ärztin oder Tierpflegerin träumten. Von irgendwas mit Relevanz. Und nicht nur von irgendwas mit Mädchen.

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