Von wegen: Ist der Ruf erst ruiniert, …! Glaubt man dem Boulevard, ist der Ruf von Prinz Harry längst ordentlich ruiniert. Ungeniert leben können der Prinz und seine Frau Meghan trotzdem nicht. Denn egal, was die beiden machen - die Yellow Press ist immer dabei. Die ZDF-Doku "Harry - der verlorene Prinz" hält den Stand all der Spekulationen und Meinungen über Harrys aktuelles Leben und seine berufliche Zukunft fest " und spekuliert kräftig mit.

Christian Vock
Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Vock dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Dass Prinz Harry ein Leben in den Boulevard-Blättern geführt hat und immer noch führt, ist keine Neuigkeit. Auch nicht, dass er dabei unterschiedliche Rollen aufgeklebt bekommen hat. Der Rebell, der reumütige Rebell, der Soldat, der kleine Bruder, der Mann von Meghan, der Aufständische, der Auswanderer, der Illoyale, der Wohltäter, der Mann, der sich von seiner Familie abwendet und so weiter.

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Nachdem Harry nun in der jüngeren Vergangenheit in der Boulevard-Presse als Harry und Meghan in Erscheinung getreten ist, überrascht es ein bisschen, dass der Prinz nun in der Dokumentation von Ulrike Grunewald "ZDFroyal: Harry - der verlorene Prinz" als Solo-Prominenter auftritt. Das bedeutet natürlich nicht, dass seine Frau Meghan in der Doku überhaupt keine Rolle spielt, aber es ist doch ebenso interessant wie erwähnenswert, dass der Fokus hier nur auf dem Prinzen liegt.

Aber warum? Gibt es eine Neuigkeit? Etwas, das wir von Harry noch nicht wussten – sofern das, was wir dank der Boulevard-Presse bisher über Harry zu wissen glaubten, überhaupt stimmt. Nein, gibt es nicht. Warum es diese Dokumentation gibt, hat eher einen gefühlten, als einen gemessenen Grund: "Prinz Harry sorgt auch nach dem Rückzug aus dem royalen Pflichtprogramm bei den Windsors für Unruhe. Seine Suche nach einer neuen Rolle ist eine Herausforderung für das britische Königshaus", behauptet das ZDF auf der Mediatheken-Seite der Dokumentation.

Das ist der Stand bei Harry und Meghan

Es geht also nicht um irgendetwas von Nachrichtenwert, sondern eher um die Darstellung einer Entwicklung, um das Festhalten des aktuellen Status' beim ausgewanderten Prinzen. Das kann man, ein gerüttelt Mass an Neugier an Boulevard-Themen vorausgesetzt, natürlich machen, wenn man es denn gut macht und nicht einfach eine weitere Schlagzeile im nicht enden wollenden Spekulationsrhythmus der Yellow Press werden will, sondern ein solides, weil nachprüfbares Ergebnis liefert, das länger Bestand hat, als man "Hörensagen!" rufen kann.

Doch damit tut sich, um es einmal höflich zu formulieren, die ZDF-Doku doch recht schwer. Beim Aufstellen der Argumentationskette ihrer These vom rollesuchenden Prinzen hingegen nicht und diese Kette sieht so aus: Harry und Meghan sind nach dem Bruch mit der royalen Familie das neue Glamourpaar in den USA; sie müssen sich ihren Luxus aber irgendwie finanzieren; das versuchen sie auf verschiedene Wege, etwa über Hollywood; dafür müssen sie aber immer neue Inhalte liefern.

Ausserdem versucht sich Meghan an einem "virtuellen Hofladen", die beiden arbeiten für ihre Stiftung Archewell, engagieren sich für wohltätige Zwecke und all das habe anfangs auch wunderbar funktioniert, aber nun wohl nicht mehr so richtig, wahrscheinlich jedenfalls. Gleichzeitig sei die Familie wegen Harrys öffentlichen Vorwürfen entzweit, eine Versöhnung mit Bruder William in weiter Ferne. Der Ruf Harrys sei in Grossbritannien ruiniert, Harry agiere dort aber ohnehin in funktioneller Bedeutungslosigkeit.

Meinungen und Wertungen

Eine Menge Thesen, doch die Doku führt für genau diese Thesen eine Menge Kronzeugen auf: Journalisten, Royals-Experten, einen ehemaligen Polizisten, einen ehemaligen Armee-Gefährten Harrys, einen aktuellen Nachbarn Harrys und sogar eine Jura-Professorin. Sie alle haben Meinungen und Ansichten, aber genau das ist das Problem der Doku: Es sind Meinungen. Vor allem sind es aber Meinungen, die mit irgendeiner Art von Wertung verbunden sind.

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So fragt etwa Emily Andrews, Royal-Autorin und Reporterin: "Was wird in fünf Jahren sein? Wenn ihnen das Geld ausgeht und sie die Millionen für ihren Lebensstil nicht mehr aufbringen? Wird Meghan ein Buch schreiben? Oder Harry? Er hat das ausgeschlossen, aber das sagt er jetzt." In dieser Art kann man in finanziell niedrigeren Dimensionen, über jeden spekulieren. Das ist Spekulieren, um irgendetwas am Laufen zu halten, über das man "berichten" kann.

An anderer Stelle behauptet India McTaggart, Journalistin bei "The Telegraph": "Gerüchten zufolge sei Netflix enttäuscht von den Inhalten, die Harry und Meghan anbieten", sagt McTaggert und spekuliert: "Die Erwartungen waren vielleicht zu hoch." Ja, vielleicht, vielleicht aber eben auch nicht. Wer weiss das schon? Ein Problem, das nicht nur die ZDF-Doku hat, sondern fast jede royale Berichterstattung: dieses ewige Spekulieren.

Ist das Enthüllen skandalös oder die Enthüllung?

Royale Berichterstattung, das ist oft genug eine über Jahre zusammen gezimmerte Welt, wie wer bei den Königs wie zu sein und was zu tun habe. Entspricht jemand diesem Bild nicht, ist das eine Story wert, entspricht er ihm doch, auch. Hier ist viel zu viel losgelöst von der Realität und wenn doch einmal nicht, dient diese Realität lediglich als Anker, an den man weitere Spekulationen binden kann. Das ist in gewisser Weise auch logisch, schliesslich müssen sich fast alle royalen Dokumentationen auf die Aussagen Dritter verlassen und haben keinen Zugang zu den Royals selbst.

In der ZDF-Doku ist das Spekulieren besonders dann gross, wenn der Off-Kommentar einsetzt. "Er lebt im Luxus – auch dank skandalöser Enthüllungen über seine Familie", behauptet der Off-Kommentar etwa an einer Stelle und lässt dabei eine gewisse Geldgier mitschwingen. Gleichzeitig wird hier nicht definiert, ob nun die Enthüllungen skandalös waren oder eher das, was Harry enthüllt hat. Stattdessen klebt der Off-Sprecher mit diesem Kommentar Harry genau den Rebellen-Status wieder an, den der Prinz angeblich nicht mehr will. Aber dass und was Harry enthüllt hat, kann man höchst unterschiedlich interpretieren.

"Der rote Teppich wird für ihn jetzt vorwiegend in den USA ausgerollt", erklärt der Off-Sprecher ein anderes Mal, er hätte aber auch einfach sagen können, dass Harry nun überwiegend in den USA arbeitet. Sätze wie dieser machen den Film von Ulrike Grunewald nicht zu einer neutralen Doku, sondern zu einer filmgewordenen Seite aus der "Bunten". Es ist ein Zusammenschnitt von Meinungen, Spekulationen, Schlussfolgerungen aus Spekulationen, bereits Bekanntem und scheinbar harmlosen Feststellungen, die aber immer eine Wertung mitschleifen.

Mehr Fragen als Antworten

Hinzu kommt, dass der Off-Sprecher mehr Fragen stellt, als er beantwortet: "Haben Harry und Meghan hier nur eine Chance, wenn sie mehr Geheimnisse aus dem Königshaus preisgeben?", "Haben Harry und Meghan zu viel aufs Spiel gesetzt?" oder "Doch womit können eine ehemalige Schauspielerin und ein ausgewanderter Prinz ohne Geschäftserfahrung eigenes Geld verdienen?", fragt der Off-Kommentator, als seien Meghan und Harry zwei Figuren aus "Goodbye Deutschland", die ohne Sprachkenntnisse in die USA auswandern um Bratwürste zu verkaufen.

Aber auch eine Boulevard-Doku wie diese sollte nicht nur Fragen stellen, sondern auch die Antworten liefern. Doch die Fragen sind so gestellt, dass sie gar keine Antworten liefern können. Weil es um eine konkrete Antwort gar nicht geht. "Royal-Autorin" ist kein Ausbildungsberuf und erst recht keine Wissenschaft. Hier geht's nicht um handfeste Fakten, Nachweisebares, sondern einmal zu oft um das, was die Experten glauben, meinen, spekulieren, schlussfolgern und um das Abgleichen der erlebten mit der erwünschten Wirklichkeit.

Und so passt es ganz gut, dass man auch einen von Harry und Meghans neuen Nachbarn findet, der erzählen darf, dass er Meghan nicht als Bereicherung für die Nachbarschaft empfinde, "weil sie sich nicht engagiert". Als ob sie das müsste. "Sie geht nur manchmal mit dem Hund über den Markt und mit ihrem Bodyguard", erzählt der Mann und fordert: "Sie sollten sich mehr blicken lassen!"

Was man andernorts und bei anderen Menschen als Übergriffigkeit und Anmassung einstufen würde, scheint für Royals eine gerechtfertigte Forderung zu sein. Und ein Wunsch nach dem sich immer weiter drehenden Rad der Boulevardmedien. Oder wie es der Off-Sprecher mit einem Satz formuliert, den Journalisten immer dann verwenden, wenn ihnen kein besserer Schluss einfällt: "Die Geschichte des verlorenen Prinzen wird weitergehen. Ende ungewiss."

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