Liebe braucht kein Mensch. So zumindest die Botschaft von "Hochzeit auf den ersten Blick". In der neuen Sat.1-Show treten Männer und Frauen vor den Altar, die sich nie zuvor gesehen haben. Und statt sie aufzuhalten, hält die Kamera erbarmungslos drauf.
Tim grinst immer wieder nervös, fast schon hysterisch. Er spricht laut, dreht sich zu seiner Familie um. Der ganze Saal lacht. Dann, ein Geräusch von ganz hinten. Seine Braut betritt im langen weissen Kleid den Raum. Ihr Gesicht ist angespannt, sie atmet schwer, fast scheint es, als hyperventiliere sie. Die beiden schauen sich an. Tim strahlt, Bea strahlt. Sie brechen erleichtert in Tränen aus. Der Saal applaudiert. Tim fragt: "Und, wie heisst du?"
Das hier ist keine Hochzeit wie jede andere. Tim und Bea sind sich noch nie zuvor begegnet. Was für jeden anderen Menschen ein Alptraum wäre, ist für Sat.1 ein "Sozialexperiment", ein neues Trash-Format: "Hochzeit auf den ersten Blick". Die Teilnehmer sehen sich im Standesamt zum ersten Mal.
In Dänemark lief die Show bereits, zuletzt auch in den USA, wo es für den Spartensender FYI das bisher erfolgreichste Format ist. Jetzt sollen in Deutschland Singles von sogenannten "Experten" verkuppelt werden. Laut Sat.1 bewarben sich 7.000 Kandidaten, allerdings ohne zu wissen, dass sie in der Show Unbekannte heiraten müssen. Das erfuhren sie erst bei den Castings. Übrig blieben trotzdem 60 Männer und Frauen, für die die Vorstellung, irgendwen zu heiraten, offenbar verlockender ist als am Ende ohne Partner dazustehen.
In die acht Episoden schafften es vier zukünftige Paare. Zwei Monate müssen sie nach dem Jawort zusammenleben und dann entscheiden, ob sie die Ehe fortführen oder doch lieber getrennte Wege gehen. Damit die Frischvermählten nicht ins offene Ehemesser laufen, wurden sie während der Show von Anwälten betreut, alle Paare schliessen Eheverträge ab.
"Die Ehe ist definitiv kein Spass"
Vorab sorgte "Hochzeit auf den ersten Blick" natürlich bereits für einen Skandal bei den üblichen Verdächtigen. Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Margot Kässmann, sagte der "Bild am Sonntag": "Die Ehe ist definitiv kein Spass für eine kurze Fernsehunterhaltung, bei der zwei Menschen sich auf Medienexperten verlassen, ohne zu wissen, ob sie sich im wahrsten Sinne des Wortes überhaupt riechen können."
Dass die Ehe kein Spass ist, verrät ein Blick auf die stetig steigenden Scheidungsraten. Ob die Kandidaten sich riechen können, das klären vier sogenannte "Experten" in dem Reality-Format. Selbst DNA-Proben werden genommen, um maximale Kompatibilität zu erreichen. Dazu kommen Kategorien wie "Treue", "Sexualität", "Dominanz", "Bindungsfähigkeit" und "Einfühlungsvermögen", wie man sie von Partnervermittlungen kennt. Die Expertenrunde ist ansonsten aber eher ein zwielichtiger Haufen.
Zu ihr gehört unter anderem ein Priester, der erklärt, man müsse den Menschen im Blick behalten und vor sich schützen. Diesen Anspruch hat er mit der Teilnahme an dieser Show bereits verfehlt. Ein anderer "Experte" ist "Wohnraumpsychologe" und behauptet allen Ernstes, aufgrund der Einrichtung Rückschlüsse auf den Charakter der Teilnehmer ziehen zu können. Demnach ist Bea ein Mensch, der nicht leicht vertrauen kann. Weil sie eine violette Couch hat. Klingt einleuchtend.
"Ich brauche erst mal einen Schnaps"
Das alles könnte trotzdem ein durchaus unterhaltsames Format ergeben, wenn "Hochzeit auf den ersten Blick" sich nicht so ernst nehmen würde. Und es nicht so traurig wäre. Bea und Tim sind weder die schwer Vermittelbaren aus "Bauer sucht Frau" noch die angehenden C-Promis aus "Der Bachelor". Sie sind wie du und ich. Nur eine ganze Ecke verzweifelter. Als die "Experten" Bea erklären, dass sie einen Partner für sie gefunden haben, sagt sie: "Ich brauche erst mal einen Schnaps." Als Zuschauer wünscht man sich eine ganze Flasche.
"Hochzeit auf den ersten Blick" zeigt vor allem, wie hoch heute der Druck ist, jenseits der 30 einen Partner gefunden oder eine Familie gegründet zu haben. Wem das nicht vergönnt ist oder wer das gar nicht erst will, dem muss etwas fehlen, so der Umkehrschluss. Die Bestätigung dieser Vermutung kommt von Beas Mutter, die ihrer Tochter attestiert, dass es ja auch schon "fünf vor zwölf" sei. Und früher wurde ja auch die "Frau von der anderen Burg geheiratet, egal ob sie schön war oder nicht". Bea ist 32 Jahre alt.
Als sie und Tim in der Auftaktepisode im Standesamt stehen, da erhebt sich keiner, um einzuschreiten. Vater, Mutter, Brüder, Freunde, sie alle sehen zu, wie sich zwei Unbekannte das Jawort geben und unter Tränen gestehen, dass sie sich sofort verliebt haben. Als Zuschauer kann man das natürlich nur schwer glauben.
In den USA sind zwei der drei Paare, die teilgenommen haben, auch nach dem Ende der Show noch verheiratet. Eines von ihnen redet sogar von Kindern. Weniger glücklich endete die Beziehung des dritten Paares. Sie gaben als Trennungsgrund an, dass er Sex wollte, obwohl sie gerade erst eine Fuss-OP hatte. Als sie ablehnte, sagte er nur: "Wieso, deine Hände sind doch noch in Ordnung." Den deutschen Paaren ist für ihre gemeinsame Zukunft also einiges zu wünschen – nur kein Hals- und Beinbruch.
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