Dass niemand so recht weiss, was Geheimdienstler in ihrem Beruf machen, liegt ein Stück weit in der Natur der Sache. Aber wie sieht es aus, wenn Geheimdienstler, insbesondere deren Chefs, eben nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten? Was machen sie dann und wer kontrolliert das? Zum Beispiel Jan Böhmermann in der neuesten Ausgabe seines "ZDF Magazin Royale".

Christian Vock
Eine Kritik
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Berufspolitiker, die vor, während und auch nach ihrer Politikkarriere in der freien Wirtschaft aktiv sind, sind gang und gäbe. Bekanntestes der aktuellen Beispiele dürfte wohl Friedrich Merz sein, der sich als Mitglied diverser Aufsichts-, Bei- und Verwaltungsräte eine Pause vom Politikbetrieb erlaubte, ehe er dann im dritten Anlauf endlich zum CDU-Vorsitzenden gewählt wurde. Ärmer ist Friedrich Merz durch seine Posten nicht geworden und konnte auch der öffentlichen Empörung wegen etwaiger Interessenskonflikte trotzen.

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Hätte es das "ZDF Magazin Royale" damals schon gegeben – die Tätigkeiten von Merz in und für die Wirtschaft wären mit Sicherheit auf dem Schreibtisch von Jan Böhmermann gelandet. Friedrich Merz hat also noch einmal Glück gehabt und so hat Böhmermann in der neuesten Ausgabe seines "ZDF Magazin Royale" andere Wirtschaftspendler im Visier. Doch wie es Böhmermann gerne mag, formuliert er das erst einmal recht kryptisch.

"Dreist, gierig, alt"

"Ein Gespenst geht um in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Gruppe gefährlicher Rentner treibt im Verborgenen ihr Unwesen. Leute, die früher mal führende Mitglieder einer konspirativen Gemeinschaft mit zweifelhafter Ideologie waren und die jetzt ihr geheimes Wissen schonungslos nutzen, um sich zu bereichern und Deutschland zu hintergehen", erklärt Böhmermann und ergänzt: "Und dabei bewegen sich diese faltigen Freaks sogar in extremistischem, höchst dubiosem Umfeld. Sie sind dreist, gierig und am gefährlichsten: Sie sind alt. Heute sprechen wir im 'ZDF Magazin Royale' über die kaltblütigsten Senioren unseres Landes."

Irgendwann wird Böhmermann dann doch konkret: "Heute geht es im 'ZDF Magazin Royale' endlich mal wieder um ehemalige Chefs von deutschen Sicherheitsbehörden und was die heute so machen." Der erste dieser Ex-Chefs ist Hans-Georg Maassen, bis zu seiner unfreiwilligen Versetzung in den einstweiligen Ruhestand Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz und inzwischen selbst von seinen einstigen Kollegen als Beobachtungsobjekt im Bereich Rechtsextremismus geführt. Heute ist Maassen Vorsitzender der Kleinpartei Werteunion, was er so seit seiner Versetzung in den Ruhestand macht, ist zwar erwähnenswert, aber nicht sonderlich geheim.

Anders beim nächsten Ex-Chef auf Böhmermanns Liste: Gerhard Schindler war von 2012 bis 2016 Präsident des Bundesnachrichtendienstes und "arbeitet jetzt als privater Berater für friedrich 30", erklärt Böhmermann und fragt: "friedrich 30 – was machen die denn?" Die Antwort gibt die Webseite von friedrich 30: "friedrich 30 vertritt politische, wirtschaftliche und Sicherheitsinteressen."

Dass Schindler noch im Jahr seines Ausscheidens bei dieser Firma anfing, macht Böhmermann skeptisch: "Ich befürchte: Menschen, die sich dick und fett 'Präsident des Bundesnachrichtendienstes a. D.' auf ihre privatwirtschaftlichen Boomer-Business-Kärtchen schreiben – können die wirklich ihre ehemalige Amtstätigkeit und das aktuelle Privatvergnügen voneinander trennen? Ich weiss es nicht."

"Irgendwie erlaubt nach geltender Rechtslage"

Weiss Böhmermann eben schon und zeigt erst sehr kritische Äusserungen Schindlers über Qatar und erklärt dann, wie das Land nach der Ahrtal-Flut und kurz vor der Fussball-WM im eigenen Land eine Million Euro für neue Fussballplätze im Ahrtal gespendet hat – unter Vermittlung von friedrich 30. "Sie dürfen sicher sein, dass meine Tätigkeit selbstverständlich unter Beachtung der geltenden Rechtslage [sic!] erfolgt", zitiert Böhmermann die Antwort Gerhard Schindlers auf eine Presseanfrage des "ZDF Magazin Royale" und zeigt damit das Problem der ganzen Angelegenheit: die Gesetzeslage.

Will man, dass ein ehemaliger Chef des Auslandsgeheimdienstes für eine Lobbyfirma im Sicherheitsbereich arbeitet? Nein. Darf er das? Ja. Weiss Böhmermann das? Selbstverständlich: "Genau, alles geltende Rechtslage. Wie lebende Hummer in kochendes Wasser tunken – das ist auch irgendwie erlaubt nach geltender Rechtslage", zieht Böhmermann einen Vergleich.
Böhmermanns Kritik richtet sich zwar an die jeweiligen Ex-Chefs, schliesslich könnten die solche Jobs nach ihrer Amtszeit ja auch ausschlagen. Aber da ein freiwilliger moralischer Kompass eben nicht immer die richtige Himmelsrichtung anzeigt, geht Böhmermanns Kritik natürlich in eine eher diffuse Richtung: an "die" Politik, an Parteien, das System oder den Gesetzgeber. Da moralisch falsch aber nicht dasselbe wie verboten ist, muss Böhmermann auch bei den anderen Ex-Chefs deutscher Sicherheitsbehörden von einem ethischen Standpunkt aus agieren. Zum Beispiel bei August Hanning.

"Manche machen dann damit, was sie wollen"

Auch Hanning ist ein ehemaliger BND-Chef und "an Bord bei System 360, das ist ein undurchsichtiges Firmengeflecht, das Beratungsleistungen anbietet", erklärt Böhmermann und auch, dass Hanning dort im Verwaltungsrat der System 360 A.G. sitze. "System 360 war offenbar involviert, als im November 2022 eine weitere Sicherheitsfirma im Auftrag von Block eine angeblich wohlwollende Rückführung der Kinder versuchte zu organisieren […]", zitiert Böhmermann aus der "Welt", warum es Hanning und System 360 auf seine Liste geschafft haben.

Dabei geht es um den Sorgerechtsstreit von Christina Block, der Tochter des Steakhaus-Gründers Eugen Block, über den sich laut Böhmermann Hanning wortreich in der "Bild" äussere. Bei der "wohlwollenden Rückführung" der Kinder aus Dänemark solle System 360 "mitgemischt haben", eine persönliche Beteiligung daran, weise Hanning aber zurück. Doch wie auch immer der Fall im Detail gelagert ist, die Kritik Böhmermanns an den Tätigkeiten der Ex-Chefs steht: "Die nehmen ihr Wissen aus dem Staatsdienst mit in den Ruhestand und manche machen dann damit, was sie wollen."

So auch bei Böhmermanns letztem Fall, dem von Bernd Schmidbauer, bis 1998 Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung. Schmidbauer habe "bis Anfang 2022 für intellexa lobbyiert", ein Unternehmen, dass laut einem "Welt"-Bericht in Griechenland in den Schlagzeilen war, weil sich dort Spähsoftware des Unternehmens auf den Handys von griechischen Journalisten, Abgeordneten und Ministern befunden haben soll. Auch wenn Böhmermann noch weitere Vorwürfe gegen Schmidbauer erhebt: An dem Problem, dass richtig und rechtens nicht dasselbe ist, ändert sich nichts. Aber immerhin hat Böhmermann das Problem einmal angesprochen. Denn öffentlich war schon immer der grösste Feind von geheim.

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