Dank FDP und Angela Merkels Memoiren war der Tisch für Satiriker wie Jan Böhmermann in dieser Woche eigentlich reich gedeckt. Doch in der neuesten Ausgabe seines "ZDF Magazin Royale" nippte Böhmermann an beiden Themen nur ein bisschen, liess sich dabei aber sehr viel Zeit, bis er zum eigentlichen Thema seiner Show kam: Dating-Apps.

Mehr News über TV-Shows

"Diese Sendung wurde strikt nach D-Day-Ablaufpyramide gestaltet", beginnt Jan Böhmermann den Freitagabend mit einem Seitenhieb gegen die FDP und ihren Plan, die Ampel-Koalition nach Drehbuch scheitern zu lassen. Obwohl der D-Day-Plan der FDP jedem Satiriker das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt, belässt es Böhmermann weitgehend dabei, offenbar ist ihm die Aufgabe, über die Partei herzuziehen zu leicht: "Eigentlich wollten wir uns heute mit einer clever strukturieren Peinlichkeitspyramide in vier Phasen über die FDP lustig machen, die FDP zerstören – hat sie gestern selber gemacht."

Zum Glück für Böhmermann gab es noch ein herausfordernderes Thema, an dem sich Satiriker jahrelang die Zähne ausgebissen haben. Denn zu bieder war Angela Merkel in ihrer Regierungszeit, um Raum für wirklich gute Satire zu liefern. Doch seit ein paar Tagen stehen ihre Memoiren in den Buchhandlungen und das gibt Böhmermann die Chance für einen zweiten Anlauf: "Ich les mal rein", beginnt Böhmermann und liest dann seine eigenen Passagen aus Merkels Biografie vor: "Derzeit könnte ich mir nicht vorstellen, die erste 'Golden Bachelorette' zu werden", hat sich Böhmermann ausgedacht und fährt damit fort, dass in Merkel die Erkenntnis gereift sei: "Friedrich Merz gehört kraftvoll in den …"

Jan Böhmermann: "Dating Apps sterben"

Damit wären die zwei grossen aktuellen Ereignisse der Woche abgeräumt und im eigentlichen Thema der Ausgabe geht es auch um Beziehungen, aber nicht um die zwischen den Lieblingsfeinden Merz und Merkel. "Liebe Singles, das Fest der Einsamkeit steht vor der Tür", beginnt Böhmermann und fährt fort: "Darum jetzt nochmal schnell, hektisch ans Handy vorher und zum 51. Mal die Apps installieren, die ihr eigentlich schon 50 Mal löschen wolltet: Dating-Apps." Damit greift Böhmermann nach knapp acht Minuten auf, was er im Folgentitel bereits versprach: "Der letzte Swipe: Stehen Dating-Apps vor dem Aus?", fragt Böhmermann dort rhetorisch und verkündet nun: "Dating Apps sterben."

Wie immer untermauern Schlagzeilen aus "Süddeutsche", "Frankfurter Allgemeine" und anderen Medien seine Behauptung. Während der Corona-Pandemie hätten die Apps ihren Höhepunkt erreicht, danach sei das Interesse an ihnen stark zurückgegangen. An dieser Stelle könnte man sich verwundert die Ohren reiben, denn eigentlich sind Böhmermann und sein "ZDF Magazin Royale" ja so etwas wie die satirischen Robin Hoods, die für die Armen und Schwachen kämpfen und gegen Nazis oder andere Missstände. Verliert Böhmermann nun seine Ideale und kämpft gegen das Sterben von Tinder und Co.?

Es klingt zumindest so, denn Böhmermann zählt erst einmal die Vorteile auf, die Dating-Apps wie Grindr etwa für die Vernetzung schwuler und bisexueller Männer gehabt hätten. Doch das scheint Vergangenheit, wie Böhmermann time.com zitiert: "Gen Z zieht das Flirten auf Instagram dem Swipen auf Dating-Apps vor." "Dating-Apps sind bei jungen Leuten komplett out", fasst Böhmermann zusammen. Aber was ist denn nun eigentlich das Thema?

Worauf will Böhmermann hinaus?

Das erfährt man erstmal nicht, denn Böhmermann redet mit einem leidlich komischen Einspieler eines Dating-Apps-Checks weiter um den heissen Brei herum. Ausser Zeit ist damit aber nicht viel gewonnen. "Dating-Apps – was ist das Problem?", fragt Böhmermann nach einer guten Viertelstunde, kommt aber immer noch nicht auf den Punkt. "Männer lieben es, Frauen zu belästigen. Sie können’s einfach nicht lassen", erklärt Böhmermann traurig Bekanntes und zeigt, als ob es eines Beweises bedurft hätte, "echte Chat-Nachrichten aus echten Dating-Apps von unseren Kolleginnen und Kollegen".

So langsam formt sich der Gedanke, dass Böhmermann in dieser Folge einfach die Gründe für das Sterben von Dating-Apps auflisten will, denn nach gut zwei Dritteln der Show, erklärt der Satiriker: "Ein weiteres Problem liegt im Geschäftsmodell von Dating-Apps, weil: Je erfolgreicher eine Dating-App ist, desto erfolgloser ist eine Dating-App." Eine plausible Behauptung, schliesslich verliert jede Dating-App durch eine erfolgreiche Vermittlung zwei Kunden. Eine interessante Beobachtung, aber trotzdem immer noch nichts für das "ZDF Magazin Royale" wie man es kennt. Worauf also will Böhmermann hinaus?

Knapp zwölf Minuten vor Schluss erfährt man es: "Aber was niemand weiss: superviele dieser superindividuellen Dating-Apps gehören zu ein und demselben Mutterkonzern, der MatchGroup." 3,4 Milliarden Dollar habe der Konzern im vergangenen Jahr trotz des Abwärtstrends mit den Apps eingespielt, so Böhmermann. "Natürlich geht es um Geld – was dachten Sie denn? Um Liebe?", fragt Böhmermann rhetorisch und ist damit endlich in seinem Element: bei der Kritik von Konzernen.

Böhmermann: "Wer erfolgreich lieben will, der muss eben zahlen"

Und die Kritikpunkte lauten: kostenpflichtige Zusatzfunktionen in den Apps und Swipe-Limits, deren Aufhebung wiederum Geld kostet. Angesichts des Geschäftsmodells zieht Böhmermann eine naheliegende Analogie zum Glücksspiel oder zu Mobile Games, die ebenfalls mit Bezahlhürden und In-App-Käufen arbeiten. Noch naheliegender wird die Analogie, als Böhmermann erklärt, dass Bernard Kim, der MatchGroup-CEO zuvor Manager bei den Videospiel-Herstellern EA und Zynga gewesen sei. "Wer erfolgreich lieben will, der muss eben zahlen", so Böhmermanns Fazit.

Zu den finanziellen Vorwürfen gesellen sich laut Böhmermann auch noch ethische und strafrechtlich relevante: diskriminierende Algorithmen, die als schön geltende Menschen bevorzugen, indem sie diese häufiger vorschlagen und unerwünschte, sexuell eindeutige Inhalte, die männliche Nutzer an weibliche schicken. Das sind alles in allem nicht gerade reichliche Vorwürfe, aber ausreichende. Und das ist das Entscheidende, um eine Folge "ZDF Magazin Royale" aus einem Thema zu machen. Da kann man verkraften, dass sich Böhmermann doch sehr viel Zeit nehmen musste, um das Thema erst einmal zu umkreisen. Schlussendlich weiss der Zuschauer, mit welchen Tricks und Methoden Dating-Apps arbeiten.

Ob diese Erkenntnis aber für die Zukunft noch relevant sein wird, scheint nach all den Darstellungen Böhmermanns allerdings fraglich zu sein. "Dating-Apps werden wie die Typen, die noch auf Dating-Apps abhängen: nicht mehr die Jüngsten, nicht mehr ganz so attraktiv, ein kleines bisschen desperate, sehr, sehr, sehr needy, aber aufgeben wollen sie irgendwie auch nicht." Am Ende steht zum einen die Schlussfolgerung, dass Dating-Apps sterben und zum anderen Böhmermanns Resümee: "Das ist vielleicht auch ganz gut so." Das hätte er aber auch gleich sagen können.

Laufen statt App: Neuer Trend erobert die Dating-Welt

Laufen statt App: Neuer Trend erobert die Dating-Welt

Dating-Apps waren gestern, Joggen ist angesagt – zumindest, wenn man dem neuesten Trend aus den USA glauben will.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.