Das rechte Meinungsportal Nius, Einweg-Vapes, Astrologie – die Themen, die Jan Böhmermann in seinem "ZDF Magazin Royale" abarbeitet, sind in der Regel sehr konkret. Manchmal aber, wie an diesem Freitagabend, kämpft Böhmermann gegen jemanden, der nicht so leicht zu identifizieren ist, obwohl er überall ist: Einsamkeit.
Jan Böhmermann ist etwas aufgefallen. Nämlich eine Gemeinsamkeit bei Influencern: "Sie sitzen vor ihren Kameras und sind dabei: allein." Diese Influencer hätten riesige Communitys, würden aber trotzdem den ganzen Tag nur in ihre Hand sprechen – genauso wie die Menschen, die ihnen dabei zuhören: "Wir alle sind allein. Viel häufiger, als uns das bewusst ist." Dieses Alleinsein würde man aber wegen der ganzen virtuellen Rückmeldungen wie Likes oder Emojis gar nicht bemerken.
Wie immer unterfüttert
Denn diese hohe Zahl kann an vielem liegen, zum Beispiel daran, dass man in vielen Berufen einfach dauerhaft online sein muss, etwa, um Mails zu checken. Aber auch die nächste These steht auf wackligen Beinen, denn Böhmermann schliesst die erste Beweisaufnahme mit einem "Fast drei Tage Alleinsein", obwohl das die blanke Zahl ja gar nicht hergibt.
"Jeder arbeitet für sich und gemeinsam sind wir allein"
Aber offenbar bezieht Böhmermann die 69 Stunden allein auf die Freizeit, denn nun verweist er darauf, dass sich Homeoffice seit der Corona-Pandemie etabliert habe, wodurch man noch mehr Zeit allein vor dem Bildschirm verbringe. Und überhaupt sei der Kapitalismus "nicht auf Kooperation, sondern auf Erfolg des Einzelnen im Wettbewerb" ausgerichtet, was am Ende zu Einsamkeit führen müsse, zitiert Böhmermann aus einem Interview des Deutschlandfunks.
Leider begleitet Böhmermann das Zitat nicht mit Detail-Erklärungen, etwa zu der behaupteten Zwangsläufig von Einsamkeit, sondern behauptet selbst: "Jeder arbeitet für sich und gemeinsam sind wir allein." Als Beweis führt der Moderator ein paar Tätigkeiten auf, die man alleine ausübe, vergisst dabei aber die vielen Dinge, die man eben schon gemeinsam macht. Stattdessen bringt Böhmermann ein paar Influencer ins Spiel, die die Vorzüge des Alleinseins propagieren. "Nur, weil man allein ist, ist man nicht gleich einsam", fasst Böhmermann zusammen, macht dieses Fazit aber sogleich lächerlich: "Wir haben ja unsere Geräte und all die Inhalte, die sie uns ausspucken. Informationen und Unterhaltung."
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Früher habe man zusammen im gleichen Informationsraum gelebt, heute habe jeder "sein individuell angepasstes Content-Universum auf seinem Endgerät." In diesen individuellen Informationsräumen sei man alleine und werde misstrauischer.
Gemeinsame Orte, die nichts kosten
"Wir haben ein Einsamkeitsproblem", behauptet Böhmermann, denn alleine zu sein, sei ungesund, auch die Weltgesundheitsorganisation habe das erkannt. Allerdings habe man ein falsches Bild von Einsamkeit, gibt Böhmermann zu bedenken und geht dann ins Detail:
- Influencer müssten vor ihren Endgeräten alleine performen "gefühlt verbunden, aber in Wahrheit entkoppelt von all den anderen Menschen".
- Alle seien alleine, aber fühlten sich nicht so.
- Wir würden alleine vor unseren Endgeräten kommunizieren "und halten das für Gemeinschaft".
- Man habe immer weniger soziale Kontakte, bekäme immer weniger von den echten Problemen mit, dadurch …
- … verlerne man die Zwischentöne und das Zwischenmenschliche.
- "Und unser Leben wird zu einem unendlichen Individualisierungswettbewerb."
- "Einsamkeit ist ein gesellschaftliches Problem und Einsamkeit betrifft alle."
Schuld am allgegenwärtigen Alleinsein, so Böhmermanns Schluss, sei die Technik in Form von Smartphones, zu denen man aber dann wieder greife, wenn man sich einsam fühle: "Wenn wir Liebe, Anschluss und Gemeinschaft suchen, vertrauen wir der Technik, die uns vereinzelt hat – und denen, die davon profitieren", erklärt Böhmermann und meint damit die grossen Tech-Konzerne.
Den Weg aus der kollektiven Einsamkeit könne man aber nur gemeinsam finden und so schreitet Böhmermann voran: Man müsse das Problem zuerst erkennen: "Auch wenn unsere Bildschirme uns was anderes erzählen: Wir sind allein." Dass man Einzelkämpfer sei, sei aber "nichts weiter, als eine ausgedachte Erzählung". "Wenn wir wollen, können wir alles ganz anders machen: nämlich zusammen", erklärt Böhmermann, dafür brauche man aber wieder "echte Orte für alle, die nichts kosten. Orte, an denen wir nichts kaufen müssen und vor allem Orte, die nicht wieder einfach so verkauft werden können, sondern uns allen gehören", schliesst Böhmermann mit einem Appell – und mit einer Schlusspointe.
Einsamkeit hat Gründe – und Folgen
Denn als die Kamera zum ersten Mal aufzieht, sieht man Böhmermann komplett alleine im Studio, ganz ohne Team, ohne Band und ohne Publikum. Ein guter Einfall, der die These Böhmermanns unterstreicht. Denn in der Sache hat Böhmermann grundsätzlich Recht. In der Beweisführung nur zum Teil. Denn sicher leisten Smartphones ihren Beitrag zur Vereinsamung und zu einer nur gefühlten Verbundenheit. So wie es Böhmermann darstellt, ist die Beweisaufnahme aber zu monokausal.
Einsamkeit hat viele Gründe und nicht alle haben mit dem Smartphone zu tun. Etwas, was Böhmermann mit der Forderung nach mehr und anderen sozialen Räumen zwar anreisst, was aber dennoch zu kurz gerät. So hätte er zum Beispiel auch über die Vorliebe fürs Auto sprechen können, in dem man wieder alleine sitzt, statt mit den anderen im Bus zu fahren. Aber Einsamkeit hat nicht nur verschiedene Gründe, sondern auch verschiedene Folgen und auch die hätte Böhmermann statt des x-ten Verweises auf Influencer noch detaillierter erwähnen können.
So kann chronische Einsamkeit zu psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen führen, aber auch zu körperlichen, weil sich einsame Menschen weniger bewegen oder sich schlechter ernähren – was wiederum das Risiko für bestimmte Herzkreislauferkrankungen erhöht. Gleichzeitig neigen einsame Menschen auch zu politisch extremeren Positionen, eine Gefahr für die Demokratie. Was heisst das alles: Ja, Böhmermann hat recht, Einsamkeit wächst und damit auch deren Folgen. Und ja, wir müssen etwas gegen Einsamkeit tun – jeder für sich alleine, aber am besten eben gemeinsam.