Ja, es gibt sie noch. Politiker, die auf Ellbogen setzen, wo doch Kooperation gefragt wäre. Die viel reden, aber nichts sagen. All diesen widmete Satiriker Jan Böhmermann am Freitagabend im ZDF eine Sonderausgabe des "ZDF Magazin Royale" im Spielfilmformat: "Die Innenministerkonferenz".
Jan Böhmermann ist ein feiner Beobachter. Das muss er auch sein, denn Satire zu machen, bedeutet erst einmal, Personen, Verhalten, Mimik, Gesten, Mechanismen, Wirkungen oder Gewohnheiten genau zu beobachten, Zwischentöne herauszuhören und den Kern zu erkennen, um all das dann später zu überspitzen und in Satire umzuwandeln.
Ob zuletzt als Rio Reiser, beim Rap-Song "Ich hab’ Polizei", oder als er in "Böhmermanns perfekte Weihnachten" der deutschen Seele beim Weihnachtsdestastern zusah – Böhmermann hat ein gutes Gespür für das, was gesagt wird und was beim Gesagten gemeint ist. Und genau diese Fähigkeiten hat Böhmermann nun wieder eingesetzt und mit "Die Innenministerkonferenz" für das ZDF eine als Mordfall verkleidete Politsatire geschrieben.
"Weird hier. Bayern halt"
Die beginnt wie eine Edgar-Wallace-Verfilmung. Die neue Bundesinnenministerin (Lena Dörrie) wird nachts von ihrer Fahrerin zu einem ländlichen Anwesen gebracht. Der Mond scheint, die Türen quietschen, die Blitze zucken, nur der Desinfektionsmittelspender am Eingang erinnert daran, dass die Gefahren inzwischen andere sind. "Weird hier. Bayern halt", begrüsst eine Frau mit hippem Brillengestell die Bundesinnenministerin und umschreibt damit noch nicht einmal die Hälfte der Wahrheit. Denn auf diesem Landsitz in Oberbayern findet sie statt, die Innenministerkonferenz.
Die Dame mit der Brille (Henny Reents) ist die Berliner Senatorin für Inneres, Digitalisierung und Sport und führt die Bundesinnenministerin zu den anderen Innenministern. Die haben sich auf dem oberbayerischen Schloss versammelt, um über die innere Sicherheit in Deutschland zu sprechen und über zwei Beschlussvorlagen abzustimmen. Eigentlich. Denn am nächsten Morgen liegt eine Teilnehmerin tot in ihrem Zimmer und ihre Kollegen sind seltsam unmotiviert, die Todesumstände zu ermitteln.
Erzählerisch ist "Die Innenministerin" eher unterkomplex. Der Zuschauer wird zunächst ein bisschen im Dunkeln gelassen, die Handlung springt zwischen der eigentlichen Konferenz und der späteren Pressekonferenz der Innenminister, in der diese sich zu dem Mordfall äussern, hin und her. In den knapp 45 Minuten sieht man die Bundesinnenministerin bei ihrem Versuch, ihre Arbeit zu machen und später dann den Todesfall aufzuklären. Fertig. Doch um die eigentliche Handlung geht es bei der "Innenministerkonferenz" überhaupt nicht und an dieser Stelle kommt Böhmermanns Beobachtungsgabe ins Spiel.
Keine Politik mehr, die "sich in der 'Bild'-Zeitung gut verkauft"
Denn "Die Innenministerkonferenz" ist eigentlich eine Obduktion eines Politikstils, der genauso inhaltsleer ist wie die Floskeln derer er sich bedient und der statt auf Problemlösung nur auf Selbsterhalt Wert legt. Man kann ihn nahezu täglich in politischen Statements, bei Debatten, Pressekonferenzen, Interviews oder in Polit-Talkshows beobachten. Oder wie es die Bundesinnenministerin formuliert, als sie fordert, man könne nicht weitermachen "mit einer sicherheitspolitischen Programmatik, die sich in erster Linie danach ausrichtet, was sich in der 'Bild'-Zeitung gut verkauft!"
Was sie damit meint, zeigt ihr bayerischer Kollege (Christop Zrenner), als es um die Abstimmung zwischen der Beschlussvorlage der Bundesinnenministerin, die mehr Kompetenzen für den Bund vorsieht und dem Vorschlag ihrer Kollegen auf Landesebene geht, die alles beim Alten belassen wollen. "Wer will verhindern, dass Deutschland zu einem Berliner Zentralstaat wird, der die regionalen Sicherheitsbedürfnisse, letztendlich die Heimatbedürfnisse unserer Länder, unsere Heimat, mit Füssen tritt?", fragt der bayerische Innenminister voll suggestiver Polemik.
Da fühlt man sich an die Diskussionen über die Laufzeit von Atomkraftwerken erinnert, in denen besonders von einem bayerischen Ministerpräsidenten, welch Zufall, immer wieder eine "ideologiefreie" Debatte gefordert wird, wobei mit "Ideologie" allerdings immer nur die Einschätzung der anderen gemeint ist. Von einer Laufzeitverlängerungsideologie ist jedenfalls selten die Rede.
Ja, Böhmermann, der selbst den Bremer Innensenator spielt, weiss genau, wie man beobachtet und Beobachtetes in Satire umsetzt. Das zeigt er noch an vielen anderen Stellen, mal laut, mal etwas leiser.
"Die Innenministerkonferenz": Abrechnung mit männlichem Politikstil
Etwa, als während der Anreise der Innenministerin die Nachrichten im Radio laufen und von einem Fall in Dortmund berichten, in dem ein 16-jähriger Afghane bei einer Polizeikontrolle von 18 Schüssen in den Rücken getroffen wird, der Untersuchungsbericht aber kein schuldhaftes Verhalten der drei Polizisten feststellen kann.
Später am Abend will die Bundesinnenministerin dann über eine Studie zu Rechtsextremismus in den Behörden diskutieren, doch der Kollege aus Hamburg will lieber mit Hilfe seiner Fitnessuhr noch ausreichend Schritte gehen, um seine Schlafziele zu erreichen. "Das ist wieder typisch Hamburg: Die Schlafziele erreichen, aber die wichtigen Probleme verschlafen", spottet die Kollegin aus Schleswig-Holstein.
Und dann gibt es noch eine Szene, in der offenkundig wird, auf wie vielen Ebenen Böhmermann und seine Mit-Autorin Carla Kaspari der deutschen Politik auf die Finger geguckt haben. Als die Bundesinnenministerin die Seriosität der Veranstaltung infrage stellt, weil die Kollegen in der Nacht zuvor gesoffen haben, antwortet der bayerische Ministerpräsident: "Innere Sicherheit ist vor allem Ländersache. Und wie und in welcher Form der Freistaat Bayern das seit Jahrzehnten bewährte Format der Innenministerkonferenz im Detail gestaltet, das überlassen Sie dann bitte gerne dann doch auch mir als ihr Ausrichter. Wir hatten gestern einen sehr schönen informellen Abschluss unseres ersten Konferenztages."
Da wird klar, was im Arbeits- und Politikstilverständnis mancher Parlamentarier so alles falsch läuft. Denn hier geht es um den Kampf Frau gegen Mann, Bund gegen Länder, Kompetenz gegen männliche Ellbogenmentalität, jung gegen alt, neu gegen "schon immer so", Inhalt gegen Worthülsen, Gehalt gegen Gehabe und Sinn gegen Besitzstand.
Böhmermanns "Innenministerkonferenz" ist dabei kein plumpes Politiker-Bashing, sondern zeichnet das feine Bild eines bräsigen, fortschrittsfeindlichen, egozentrischen und überwiegend männlichen Politikstils, dem es nicht um die Sache, sondern um den Selbsterhalt geht und der für die Lösung der grossen Krisen absolut ungeeignet ist. Nach der "Innenministerkonferenz" wird er einem nun noch viel häufiger auffallen.
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