In der neuesten Ausgabe von "Das Jenke Experiment" betreut der RTL-Reporter hilfsbedürftige Menschen und wird selbst zum Pflegefall. Das nimmt ihn sichtlich mit. Über eine Sendung, die letztlich mehr Hoffnung als Anklage vermitteln will.

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Es ist früh am Morgen. Jenke von Wilmsdorff schlägt die Decke seiner Patientin zurück. Die Muskeln in ihren Beinen zucken unkontrollierbar. Er zieht ihr die Unterhose aus, hievt sie auf ihren "Duschstuhl", ein Rollstuhl, mit offener Sitzfläche.

Und dann geht es ins Bad. Der Reporter ist 52 Jahre alt, sie 26. "Verkehrte Welt", sagt er. "Jung pflegt alt." "Jung" ist in diesem Fall Kira Grünberg, einst hoffnungsvolle österreichische Stabhochspringerin.

2015 verunglückte sie beim Training und ist seitdem ab dem fünften Halswirbel gelähmt. Sie engagiert sich seitdem für Menschen mit einem ähnlichen Schicksal, sie sitzt seit 2017 für die ÖVP im österreichischen Nationalrat. Und hat sich jetzt entschieden, an einem neuen Teil von "Das Jenke Experiment" teilzunehmen.

Der RTL-Reporter geht seit einigen Jahren für den Sender dorthin, wo es weh tut. Alkoholmissbrauch, Armut, Organspende, Massentierhaltung und Armut gehörten bisher zu seinen Themen, jedes Mal im Selbstversuch.

Diesmal ist es die Pflege von Menschen, die darauf angewiesen sind. Neun von zehn Deutschen haben Angst davor, nicht mehr alleine für sich sorgen zu können. "Ich bin einer davon", sagt Wilmsdorff gleich zu Beginn.

"Jenke Experiment": So nah lässt man sonst niemanden an sich heran

Wie so ein Leben aussehen kann, zeigt ihm Kira Grünberg. Sie lässt Wilmsdorff in ihr Leben, er soll sie für einige Tage in ihrem Alltag begleiten. Das heisst, er hievt sie in ihr Auto, er wäscht ihr die Haare, er setzt sie auf die Toilette.

Das führt zu Momenten, in denen sich der Reporter regelrecht überwinden muss. Nicht, weil die Tätigkeiten ihn abstossen, sondern weil dabei eine Schamschwelle überschritten wird, mit der man nur in Berührung kommt, wenn man selbst schon einmal einen engen Verwandten pflegte.

So muss er der gelähmten Grünberg zum Beispiel ein Zäpfchen einführen, damit der Stuhlgang funktioniert. Als sie kurz darauf über Bauchschmerzen klagt, gehen sichtlich die Nerven mit ihm durch. Hat er etwa in der Nervosität die falsche Öffnung erwischt? Kurz danach die Entwarnung: Alles in Ordnung.

Es ist Kira Grünberg hoch anzurechnen, dass sie Wilmsdorff und das Kamerateam so nah an sich heranlässt, ihren Alltag mit ihnen und den Zuschauern teilt. Die Regie dankt es ihr, indem sie ihre Privatsphäre respektiert und vor der Badezimmertür verharrt oder sie nur oberhalb der Schultern filmt. Billigen Voyeurismus gibt es hier nicht.

Während des gesamten Drehs wirkt die ehemalige Leistungssportlerin dabei immer wesentlich routinierter als Wilmsdorff, dem die Erfahrung sichtlich zusetzt. "War dir das unangenehm, dass ich deine Pflege gemacht habe?", fragt er nach fünf Tagen.

"Nein", sagt sie trocken. Für sie ist das ihr Alltag, den auch andere sehen sollen: "Weil das Leben trotzdem schön ist."

39 Patienten, eine Altenpflegerin

Aber natürlich ist Grünberg trotz ihres Schicksals privilegiert. Sie ist sozial abgesichert, nach ihrem Unfall bekam sie viel Zuspruch, zu ihren Gunsten wurden Benefizveranstaltungen durchgeführt, sie wird zu Hause gepflegt. Ganz im Gegensatz zu vielen Senioren, die ihren Lebensabend in einem Pflegeheim verbringen.

Also geht Wilmsdorff dorthin, wo Menschen landen, wenn die Lebenspartner sterben, die Kinder zu weit entfernt wohnen, sie nicht mehr alleine auf die Toilette gehen können. Als Praktikant soll er in einem Heim in Köln Altenpflegerin Olga unterstützen. Dort sind die Zustände wesentlich angespannter.

Olga ist die einzige Pflegekraft in der Nachtschicht. Sie versorgt alleine 39 Patienten, einen nach dem anderen. Unermüdlich geht sie von einem Zimmer zum nächsten. Jenke von Wilmsdorff fragt sie irgendwann, ob sie denn nicht auch einmal eine Minute Pause mache.

"Klar", sagt sie. Aber erst wenn alle Bewohner versorgt sind. Nach vier Stunden ist sie mit der ersten Runde fertig. Das zeigt exemplarisch, wie schlecht es um die Pflege in Deutschland steht. Laut Gesundheitsministerium fehlen bis zu 80.000 Stellen.

Hoffnung statt Anklage

Das kommt im "Jenke Experiment" aber nur am Rande vor. Die RTL-Sendung wählt einen hoffnungsvollen Ansatz, sie will Mut machen und zeigen, dass das Leben in jeder Situation lebenswert sein kann.

Das mag manchmal übertrieben und konstruiert sein, etwa wenn Wilmsdorff sich mit einem Korsett fixieren und die Arme eingipsen lässt, so dass er selbst zum Pflegefall wird. Oder auch überflüssig, wie sein Flug nach Japan, wo Altenheime Roboter einsetzen.

Doch grundsätzlich verfehlt die Dokumentation ihre Wirkung nicht. Wilmsdorff ist ein einfühlsamer Interviewer und schafft es so, dass sich die Menschen bei ihm wohlfühlen und sich öffnen.

Auch weil er zu seinen Ängsten steht und zugibt, dass er sich vorm Altwerden fürchtet, der möglichen Hilflosigkeit, dem Tod. Wie er damit umgehen kann, zeigen ihm die Heiminsassen: mit Humor.

Eine 92-Jährige im Pflegeheim in Köln gibt zum Beispiel unumwunden zu: "Ich gehöre hier zu den Todeskandidaten. Ich komme hier nicht mehr raus."

Betroffen schaut sie Wilmsdorff an. Was sie denn glaube, was nach dem Tod kommt, fragt er. Sie schaut nach vorne und sagt mit kölschem Dialekt: "Dat weiss ich net. Vor allem wird hier dat Zimmer frei."

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