Er hat den schwarzen Gürtel im Sofa-Plaudern und setzt ihn gnadenlos ein: Mit "Mensch Gottschalk – Das bewegt Deutschland" ist Thomas Gottschalk zurück auf der grossen Show-Bühne. In der knapp vierstündigen Show quasselt der Moderatoren-Dino über alles und jeden - und zeigt dabei auch Mut zu harten Themen.
Plötzlich ist er da. Schleicht von schräg rechts auf die Bühne und dann weiter ins Publikum. Am Kragen hat er noch die Schminktücher stecken, die sein Hemd während der Maske schützen sollen.
Er tut so, als wären die Kameras noch aus und plaudert einfach los. Ganz zwanglos, ganz ohne Berührungsängste - ganz
"Entspannung ist für diese Sendung das Wichtigste", erklärt er den Studio-Zuschauern. Und wenn ein Witz nicht zündet, "dann lacht auf Verdacht".
Mit dieser Entspannung schlendert er zum Sofa, während aus der Regie die Sekunden bis zum eigentlichen Start herunter gezählt werden. Gottschalk greift sich sein Sakko und nimmt sich mit Blick auf das Futter im Leoparden-Print selbst aufs Korn: "Früher hab ich das aussen getragen."
Früher, das ist das Päckchen, das Gottschalk immer mit sich herumtragen wird. Denn früher, das war nun einmal "Wetten, dass..?"
Thomas Gottschalk ist altersweise geworden
Es zeugt von Grösse oder zumindest von Witz, dass Gottschalk bei seiner Rückkehr auf die grosse Bühne der Abendunterhaltungsshow mit dem Früher spielt. Indem er das komplette Gegenteil zu seinen "Wetten, dass..?"-Zeiten hinlegt, als er den grossen Auftritt hatte und sich jeder fragte, welches ausgefallene Outfit er denn diesmal tragen würde.
Von den schrillen Klamotten sind am Sonntagabend allenfalls die Chelsea-Boots im Leo-Muster geblieben. Und das hat seinen Grund.
Gottschalk, der ewige Jugendliche, ist älter geworden. Optisch mag das beim inzwischen 66-Jährigen nicht besonders auffallen, aber offenbar ist Gottschalk inzwischen so etwas wie altersweise, wie er anhand der Auswahl des Show-Titels erklärt: "'Mensch Gottschalk' kann man verschieden interpretieren. Man kann sagen: 'Er ist auch nur ein Mensch, der Gottschalk. Aber er macht sich mehr Gedanken als zuvor."
Raue See statt seichtes Gewässer
In der Tat hat sich mit "Mensch Gottschalk" etwas geändert. Dass Gottschalk, ob man seine Art mag oder nicht, ein geborener Moderator ist, steht ausser Frage. Zumindest im seichten Gewässer. Dort, wo man galant plaudern kann, ist Gottschalks Revier. Das beherrscht er.
Tiefe Gewässer hat er bisher weitgehend gemieden. Doch mit "Mensch Gottschalk" will er sich diesmal auf die raue See wagen: "Die Idee dieser Sendung ist es, über ein paar Dinge, die uns bewegen, nachzudenken."
Terrorangst bei der EM, Krebs, selbstfahrende Autos, der Rechtsruck in Europa, Veganismus, Donald Trump - "uns" bewegt offenbar gerade eine Menge.
Und dass der Untertitel "Das bewegt Deutschland" nicht einfach nur der übliche Boulevardmedien-Verbrüderungssprech ist, erklärt Gottschalk mit den Produzenten der Show. Die Redaktionen von "Spiegel TV" und dctp hätten sich bei der Themenauswahl an Umfragen und dem Durchschnittsdeutschen orientiert.
Dass ganz am Ende noch Samuel Koch zu Gast war, muss dann aber Gottschalks Wunsch gewesen sein.
Thomas Gottschalk, Meister des saloppen Witzes
"Ich werde die harten Themen so weich wie möglich präsentieren und ich werde die leichten Themen hart, aber herzlich angehen", hat sich Gottschalk für seine Show vorgenommen, wie er in einem Interview mit "Spiegel Online" erklärt.
Diese selbstauferlegte Härte ist neu für den Plauderer Gottschalk und das merkt man.
Beim Thema Terror und Europameisterschaft hangelt sich Gottschalk fast ausnahmslos an den menschlichen Aspekten entlang. Da müssen dann Ex-Torhüter Timo Hildebrand und Sportreporter Matthias Opdenhövel schildern, wie sie persönlich mit den Anschlägen vom November umgegangen sind, als damals beide in Paris waren. Terrorismus-Experte Peter Neumann darf erklären, dass man in den Stadien selbst wohl ziemlich sicher sei.
Das ist in der Tat "so weich wie möglich" präsentiert, aber dann irgendwann auch ein bisschen belanglos. Jetzt zu sagen, Gottschalk könne einfach nicht aus seiner Plauder-Haut, ist sicher ein Teil der Erklärung. Aber eben nur ein Teil.
Gottschalk ist der Meister des saloppen Witzes. Der kann mal treffen, und mal nicht. Bei Stars auf dem Sofa, mit denen man über den neuesten Film quatscht, ist das egal. Beim Thema Krebs oder Flucht eben nicht.
Martin Schulz ist sprachlos
Daher bleibt Gottschalk lieber auf dem gewohnten Terrain: Beim Menschlichen und auf eine spezielle Weise funktioniert das auch. Schliesslich stellt man an Thomas Gottschalk in puncto Bildungsauftrag andere Erwartungen als zum Beispiel an Anne Will, die zur gleichen Zeit im Ersten über Rassismus in Deutschland diskutierte.
Mit dieser menschlichen Herangehensweise schafft Gottschalk dann sogar mit einer Frage über Merkels Politik, was den "harten" Polit-Talkern wie Günther Jauch, Frank Plasberg oder Anne Will bislang nicht gelang: Dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, verschlägt es die Sprache.
Wie "stern TV", nur mit mehr Show
"Mensch Gottschalk" ist am Ende eine durchaus unterhaltsame Plauderrunde über alles und jeden für alle und jeden. Eine Art "stern TV", nur mit mehr Show.
Für diejenigen, die Gottschalk mögen, ein Grund einzuschalten. Für alle, die ihn nicht mögen, aber kein Grund wegzuschalten.
Das Einzige, was man der Show wirklich vorwerfen kann, ist, dass sie mit vier Stunden einfach viel zu lang ist. Für die Sender sind solche Mammut-Shows ökonomisch vielleicht clever, für den Zuschauer aber irgendwann ermüdend.
Zumindest das hat sich seit "Wetten, dass..?" nicht geändert.
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