Das Finale der "Grossen Chance" ist gelaufen, und Sido war dabei. Es stellt sich die Frage, ob der ORF sich richtig verhalten hat - oder ob er ein Signal gesendet hat, das mehr als fragwürdig ist. Ein Kommentar.

Mehr News über TV-Shows

Es gibt sie also doch: die gesunde Watschn. Anders lässt sich der Schritt des ORF kaum interpretieren, Sido als Juror der "Grossen Chance" zurückzuholen. Zwar hatte man sich nach der Prügel-Attacke auf Society-Nervensäge Dominic Heinzl mit viel Aufhebens von dem deutschen Rapper getrennt, nahm ihn aber postwendend mit ebenso viel Tamtam wieder zurück.

"Der Stopp war nötig, weil auf beiden Seiten überzogen wurde", kommentierte ORF-Direktorin Kathrin Zechner. Nach "reiflicher Überlegung" habe man sich dazu entschlossen, Sido eine zweite Chance zu geben - "es ist seine grosse, aber auch letzte". Im nächsten Atemzug erklärte sie, es sei ihr nicht um Inszenierung gegangen.

Alphamännchen unter sich

Sidos Popularität tat sein Rauswurf beim ORF keinen Abbruch - im Gegenteil. Rasch formierten sich die Heinzl-Gegner im Netz; zwischenzeitlich auf knapp 81.000 Unterstützer kam etwa die Facebook-Seite "Sido 1 Heinzl 0". Für Heinzl hatten die meisten nur Spott übrig, machten sich über die angebliche "Schwalbe" lustig, die er nach dem Angriff hinlegte.

Der Vulkan schwelte schon länger. Selbst der ORF kam nicht umhin, auf das "seit langem angespannte Verhältnis" zwischen Sido und Heinzl hinzuweisen. Der "Bild"-Zeitung erklärte Sido, Heinzl habe ihn zum Dauerthema seiner Society-Sendung "Chili" gemacht. Der ORF lässt sie zum Jahresende auslaufen, angeblich unabhängig von dem Eklat. Dem Sender zufolge stand das Ende von "Chili" schon im September fest.

Mission: Gerede

Sogar im österreichischen Parlament wurde über "Sido vs. Heinzl" debattiert. FPÖ-Abgeordneter Peter Fichtenbauer erklärte, der Fall habe gezeigt, dass Unterhaltung "auf die Ebene des Abscheulichen" abgleiten kann. Für Kenner der TV-Landschaft kommt das wenig überraschend - zumal in Zeiten von "Dschungelcamp" und Dieter Bohlen.

Herbert Scheibner vom BZÖ kritisierte, der ORF habe den Konflikt zwischen Sido und Dominic Heinzl "zelebriert". SPÖ-Klubobmann Josef Cap nannte die Reaktion der Unterhaltungschefin Zechner eher eine christliche als eine unternehmerische: Sie habe dem "Sünder" offenbar noch eine Chance geben wollen.

Alles für die Quote

"Diese Staffel war natürlich sehr vom Konflikt zwischen Sido und Dominic Heinzl geprägt", erklärte Zechner. Hier habe der ORF Verantwortung übernommen und nicht nur den Konflikt gezeigt, "sondern auch dessen Lösung und damit die Botschaft transportiert, dass man keine Gewalt anwendet, aber auch nicht aus der Gesellschaft ausgeschlossen wird, wenn man einen Fehler gemacht hat".

Rund 831.000 Österreicherinnen und Österreicher verfolgten live, wie Border-Collie "Esprit" und Alexandra Plank die Castingshow "Die grosse Chance" für sich entschieden. Bei den 12- bis 29-Jährigen erreichte der ORF einmal mehr Traumquoten von 41 ("Das Finale") und 47 Prozent ("Die Entscheidung"). Generaldirektor Alexander Wrabetz jubilierte über in der Staffel insgesamt 4,6 Millionen Zuschauer.

Aus dieser Sicht ist verständlich, weshalb man Sido zurückholen musste. Freilich macht gerade seine grosse Klappe den Rapper für den ORF so wertvoll. Man wusste zudem ganz genau, worauf man sich einliess - es ist schliesslich nicht die erste Zusammenarbeit: Sido sass schon bei "Helden von morgen" in der Jury und war auch in der Doku-Soap "Blockstars - Sido macht Band" zu sehen.

Verschobenes Bild

Sido wehrt sich gegen den Vorwurf, es habe sich nur um eine Promomasche gehandelt. In der letzten Halbfinal-Show erklärte er, derartiges Gerede sei Unsinn. Vor allem tue ihm die falsche Vorbildwirkung auf Kinder und Jugendliche leid: "Gewalt löst keine Probleme, sie schafft nur noch mehr Probleme. Ich möchte nicht, dass sich in den Köpfen festsetzt, dass es eine richtige Sache ist, seine Probleme mit Schlägen zu lösen."

Was bleibt, ist trotzdem ein schaler Nachgeschmack. Der Unterschied vom ORF zum Privatfernsehen ist offensichtlich verschwindend gering geworden. Quoten wiegen schwerer als Konsequenz. Erst heisst es, man dulde keine Gewalt. Dann kriecht Sido zu Kreuze, und Heinzl verliert seine Sendung. Egal, ob das Aus von "Chili" schon vorher besiegelt war: Das Bild ist ein schiefes.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.