Mit "After Life" ist dem britischen Comedian Ricky Gervais der ganz grosse Wurf gelungen. Selten gab es eine Comedy-Serie, bei der man als Zuschauer so viel weinen musste. Ja, auch bei Ihnen werden Tränen fliessen, versprochen! Und trotzdem - oder gerade deshalb - ist die Serie ein wundervolles Plädoyer für das Leben.

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Wer hat nicht schon einmal davon geträumt, auf gesellschaftliche Konventionen zu pfeifen und allen Menschen mal so richtig die Meinung zu sagen? Dem ungerechten Chef, der faulen Kollegin, der nervigen Schwiegermutter?

In Ricky Gervais neuer Netflix-Serie "After Life" zieht der von ihm gespielte Protagonist Tony genau das durch. Nach dem Krebstod seiner Frau Lisa (Kerry Godliman) hat er sich komplett aufgegeben. Nur sein Hund hält ihn noch davon ab, sich umzubringen. So lebt er weiter. Doch was heisst schon "leben"?

Tony bringt seine Tage irgendwie über die Runden. Er hat das Wichtigste und Wertvollste verloren – worin liegt dann überhaupt noch der Sinn seiner Existenz? Sein Umfeld lässt er seinen Hass spüren und verweigert sich konsequent allen sozialen Umgangsformen.

So gibt er einer neuen Mitarbeiterin im Beisein seines Bosses eine ganz besonders herzliche Einweisung: "Wir sind eine Plage. Menschen sind ekelhafte, narzisstische und egoistische Parasiten und die Welt wäre ein besserer Ort ohne uns." Willkommen im neuen Job!

"After Life": Grossartige Besetzung bis in die kleinsten Nebenrollen

Trotzdem: Tony ist kein Ekel und eigentlich grundsymphatisch. Man muss nicht selbst jemanden verloren haben, um ihn und seine Trauer zu verstehen. Er agiert nicht aus Hass, sondern als gebrochener Mann. Immer wieder schaut Tony sich ein Video an, das Lisa noch vor ihrem Tod für ihn aufgenommen hat. In ihrer "Anleitung" für sein Leben nach ihrem Tod schwingt so viel Zuneigung mit, dass man nur ahnen kann, wie gross diese Liebe war und wie gross Tonys Verlust sein muss.

Und natürlich muss es für Tony und sein gebrochenes und versteinertes Herz Heilung geben. Er findet sie ausgerechnet bei Menschen, die eigentlich selbst allen Grund hätten, mit dem Schicksal zu hadern.

Zum Beispiel bei Anne (Dame Penelope Wilton, "Downton Abbey"), die er auf dem Friedhof kennenlernt, wo sie täglich das Grab ihres Mannes besucht. Oder Daphne (Roisin Conaty), die Prostituierte - pardon: Sexworkerin - mit dem ganz grossen Herzen.

Es sind all diese wirklich skurril, aber doch mit viel Würde gezeichneten und niemals der Lächerlichkeit preisgegeben Figuren in Tonys Umfeld, die die Serie zu einem echten Highlight machen. Nicht nur, aber auch für Fans des typischen britischen Humors.

Etwa der neugierige Postbote Pat (Joe Wilkinson), der ungeniert Tonys Postkarten liest und keinen Meter zu viel laufen mag. Oder der Psychologe (Paul Kaye, Thoros aus "Game of Thrones"), der selbst – gelinde gesagt – reichlich schräg ist. Fans von "Game of Thrones" können sich auf ein Wiedersehen mit weiteren Schauspielern freuen.

Niemand ist vor Gervais' Scherzen sicher

Walder-Frey-Darsteller David Bradley brilliert als Tonys seniler Vater, der seinen Sohn kaum erkennt, sich aber herrlich vulgär auszudrücken weiss. Tony Way, der in GoT den trotteligen Ser Dontos spielt, ist hier als Tonys Kollege zu sehen – der unglaublich stoisch dessen Gehässigkeiten erträgt und über ein Selbstbewusstsein verfügt, das man nur bewundern kann.

Trotz der starken Besetzung bis in kleinste Rollen ist es natürlich Ricky Gervais selbst, der "After Life" seinen Stempel aufdrückt. Die Serie ist nicht direkt biografisch, doch der Schauspieler, Produzent und Comedian, dem wir das grossartige "The Office" und damit die zahlreichen Ableger, unter anderem "Stromberg", verdanken, bringt ganz viel von seiner direkten Art und seinen Ansichten zu Minderheiten, Sterbehilfe und Religion ein.

Wobei "direkte Art" im Zusammenhang mit Gervais wohl eine glatte Untertreibung ist. Er nimmt in seinen Stand-ups keine Rücksicht auf die Gefühle vermeintlicher Randgruppen; legendär sind auch seine Rants als Golden-Globe-Moderator, bei denen er der anwesenden Hollywood-Elite den Spiegel vorhielt. Und auch die Beziehung zu seiner Freundin Jane, die Gervais regelmässig auf Twitter durch den Kakao zieht, spiegelt sich in den Scherzen zwischen Tony und Lisa wider.

Trauer, Tod, Drogensucht, Sterbehilfe - darf man über ernste und traurige Themen lachen? Wenn man sie als Teil des grossen, verrückten Gesamtpakets begreift, das das Leben ist - ja, dann kann man eigentlich über alles lachen.

"After Life" von und mit Ricky Gervais, 6 Folgen, seit dem 8. März 2019 als Stream auf Netflix.

"After Life" - der deutsche Trailer

"After Life" - die neue Serie von und mit Ricky gervais - seit Anfang März auf Netflix. © YouTube
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