"Bleiben Sie dran, ich pfeif auf Sie": Vor knapp 30 Jahre schuf Hugo Egon Balder mit "RTL Samstag Nacht" eine Art deutsches "Saturday Night Live" – mit grossem Einfluss auf die deutsche Comedy-Landschaft. Am Samstagabend trafen sich Boning, Dittrich und Co. zum grossen Wiedersehen bei RTL und zeigten, dass sie nichts verlernt haben. Nur einer fehlte.

Christian Vock
Eine Kritik
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Auf einmal waren sie da. Im November 1993 stürmten Olli Dittrich, Wigald Boning, Stefan Jürgens, Mirco Nontschew, Esther Schweins, Tanja Schumann und Sabine Aulmann die Bildschirme und drehten den deutschen Humor auf links. Aulmann stieg relativ schnell wieder aus, die, die dabei blieben und später dazu kamen, schufen nicht nur die erste regelmässige, deutsche Comedy-TV-Show, sondern auch einige Klassiker.

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"Zwei Stühle, eine Meinung", "Karl Ransauer ist tot", "Neues vom Spocht", "Kentucky Schreit Ficken" – wer zwischen 1993 und 1998 irgendeine Sympathie für absurden Humor hatte, dem dürfte bei diesen Wörtern auch 30 Jahre später noch ein Grinsen über das Gesicht huschen. Oder wie es Torsten Sträter am Samstagabend formuliert: "‘RTL Samstag Nacht’ ist jedem Freund des gepflegten, bekloppten Humors ein Begriff."

Drei Stunden "Extreme RTL-Samstagnachting"

Dass Torsten Sträter dies am Samstagabend so sagen kann, liegt daran, dass RTL die Truppe von einst noch einmal für ein Wiedersehen zusammengetrommelt und Sträter um ein Grusswort gebeten hat. Und – kleiner Spoiler – dabei gab es reihenweise Gelegenheit für nostalgische Grinsgesichtshuscherei, aber auch für viel Lachen über Neues.

Und wie es bei "RTL Samstag Nacht" so üblich war, wie man in den folgenden drei Stunden erfährt, wird gar nicht viel Gedöns gemacht, wie man ein solches Klassentreffen eröffnet. Es geht einfach die Tür auf und Boning, Jürgens und Co. marschieren ins Studio und nach ein paar einleitenden Worten holt Esther Schweins den Entdecker der Truppe, Hugo Egon Balder, mit einem "Hier ist die Mutter der Kompanie", dazu.

Dass das Ensemble damit aber noch nicht komplett ist und auch nie mehr sein wird, erklärt Balder persönlich: "Wie Sie vielleicht bemerkt haben, sind wir nicht vollzählig. Da darf ich Ihnen sagen: Einer kommt leider überhaupt nicht mehr. Einer kommt später und wieder ein anderer kommt gleich, der muss nämlich arbeiten", erinnert Balder und meint damit den verstorbenen Mirco Nontschew, den kurz vor Schluss dazu stossenden Mark Weigel und den gleich auftretenden Tommy Krappweis.

Mike "Suppentrulli" Hansen ist zurück

Dann geht es auch schon los und hier hat sich RTL eine Mischung aus Nostalgie, neuen Ideen und "Weisst du noch"-Anekdoten ausgedacht, die man in Rückblicke, modernisierte Sketche und Plaudereien auf dem Sofa gepackt hat. Und gleich der erste Sketch lässt jüngere Zuschauer erahnen, was die Show damals so erfolgreich gemacht hat. Denn bei "Zwei Stühle, eine Meinung" zeigen Wigald Boning und Olli Dittrich, was sie damals für eine Marke geschaffen haben und was sie diese in puncto absurdem Humor, Wortwitz und Improvisationsgabe gelehrt hat.

Da sitzt dann Wigald Boning und interviewt Dittrichs Alter Ego Mike Hansen, aber nicht den von früher, sondern die gealterte Version. Die trägt zwar nun ein Hörgerät, aber auch noch die Klamotten von damals – und auch den Humor. "Nach eigener Aussage haben Sie in ihrem Leben 2.000 Frauen gehabt. Womit ging das alles los?", fragt Boning Hansen und die fiktive Kiezgrösse antwortet: "Ja, mit der ersten."

Als Boning Mike Hansen kurz darauf erinnert, dass er einen der Gags vor 25 Jahren schon einmal gemacht habe, rechtfertigt sich dieser mit dem Jubiläumsrahmen der Show und ausserdem: "Du hast doch gefragt, du Suppentrulli!" Da vereinen sich Olli Dittrichs Charakterstudien mit Selbstironie und Nostalgie und als kurz darauf die Szene wegen eines Mikrofonproblems wiederholt werden muss, kommt auch noch Improvisationstalent hinzu.

Hugo Egon Balder: "So isses, Mirco ist nicht mehr da"

Und so sind auch die anderen Sketche, die man sich aus dem Fundus der Show für eine Neuinterpretation ausgesucht hat, Zeugnisse dafür, was damals so brillant funktionierte und auch heute noch funktionieren könnte: Kentucky Schreit Ficken, RTL Samstagnacht News, Orient Mega Store oder Neues vom Spocht. Dazwischen erzählt Balder, wie er die Truppe seinerzeit zusammengetrommelt hat und auch, wenn Balder das immer ein bisschen mit einem zu grossväterlichen Duktus macht, hat es nicht diese "Opa erzählt vom Krieg"-Atmosphäre.

Während dabei jeder der Anwesenden seine eigene "Samstag Nacht"-Geschichte dazu beiträgt, fällt immer wieder ein Name: Mirco Nontschew. Als Gründungsmitglied fiel er den anderen Ensemblemitgliedern als Ausnahmetalent und schüchterner Charakter zugleich auf, der bei jedem glaubhaft eine Lücke hinterlassen zu haben scheint. Mit einem nüchternen "So isses, Mirco ist nicht mehr da" bereitet Hugo Egon Balder einen Moment der Andacht, doch statt in offene Trauer zu verfallen, will man sich lieber "eine ganze Weile mit Mirco amüsieren" und blickt deshalb auf dessen Anteil an "RTL Samstag Nacht zurück".

Das gelingt pietätvoll, authentisch und auch zeitlich angemessen, denn eine umfangreichere Würdigung von Nontschews Person und Können zeigt RTL im Anschluss an die Show mit einem Mirco-Nontschew-Spezial. Und so ist "RTL Samstagnacht – Das Wiedersehen" eine durchaus gelungene Mischung aus Historie, Humor und Humorhistorie. Wenn etwa Wigald Boning berichtet, wie archaisch und anarchisch es damals zu Werke ging: "Wir sind mit dem Auto losgefahren und haben geguckt: Was haben wir denn so zur Verfügung? Ah, drei Regenschirme! Ja, prima, dann machen wir was mit Regenschirmen", erzählt Boning über seine Rubrik "Wigalds Welt".

Olli Dittrich über "RTL Samstag Nacht": "Die tollste Lehrzeit meines Lebens"

Wenn Boning dann knapp 30 Jahre später in der Fortsetzung der Regenschirm-Doku, die Regenschirme im bayerischen "Andermai am Breller" entdeckt, dann zeigt er, dass er die Wortspiele von damals nie verlernt hat. Die "tollste Lehrzeit meines Lebens", befindet auch Olli Dittrich am Samstagabend und man möchte ihm sagen: Ja, aber nicht nur für Sie. Denn wenn man da die Sketche von einst so sieht, dann entdeckt man doch Einiges, was sich die Generationen danach so abgeschaut haben.

Was ist also das Fazit dieses Wiedersehens? Dass "RTL Samstag Nacht" eine Ansammlung brillanter Comedy und Comedians war? Könnte man meinen, stimmt aber nicht. "RTL Samstagnacht" war damals, Anfang der 1990er, neues, absurdes und witziges Fernsehen, das Karrieren gefördert und deutscher Comedy neue Wege gewiesen hat. Aber: Es war nicht nur Brillanz, sondern auch einiges an Schrott dabei. Dass das an diesem Abend des In-Erinnerungen-Schwelgens keinen Platz findet – geschenkt.

Und so kann man Torsten Sträter eigentlich zustimmen, wenn er in seinem Vorwort mit Blick auf Formate wie "Bachelor in Paradise" und dem aktuellen Retro-Boom über den Abend sagt: "Im Zuge der ganzen untoten Sendungen, die uns nun seit geraumer Zeit im Rahmen der Nostalgie-Welle ums Gebein gespült werden, endlich eine gute Idee: 'RTL Samstag Nacht' kehrt zurück. Nur dieses eine Mal vielleicht, okay, aber das ist eine grosse Chance für den deutschen Humor."

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