In den USA spielen lesbische oder schwule Eltern in mehreren erfolgreichen Fernseh-Serien eine zentrale Rolle. In der Schweiz war das bisher kaum der Fall. Eine Episode einer populären TV-Serie nährte jüngst aber Hoffnungen, dass Regenbogenfamilien in Zukunft auch in der Schweiz vermehrt zu sehen sein werden.

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Im Zirkus erstickt ein Clown auf der Bühne. Es sieht aus, als wäre etwas faul an der Sache. Ein Ermittler taucht auf und fragt ein kleines Mädchen, das zwischen einer Messerwerferin und einer Tänzerin steht, ob der Clown ihr Vater war. "Nein, das sind meine Eltern", sagt sie und verweist auf die beiden Frauen.

Diese kurze Szene wurde in der fünften Staffel von "Der Bestatter" ausgestrahlt, einer populären Krimiserie des Schweizer Fernsehens SRF. Die Serie dreht sich um einen ehemaligen Polizisten, der nun bei einem Bestattungsunternehmen arbeitet und bei der Aufklärung suspekter Todesfälle mithilft.

Viel zu selten vertreten

Die Szene sorgte für Aufmerksamkeit, weil Darstellungen von Regenbogenfamilien in der Schweiz in traditionellen Massenmedien noch immer selten sind.

Die Schweizer Boulevardzeitung "Der Blick" berichtete über die Folge und bedauerte, dass Regenbogenfamilien "im Schweizer TV noch viel zu selten vertreten" seien.

"Der Bestatter ist zwar Fiktion, aber wir wollen auch ein Spiegel der Realität sein. Ein Spiegel der Schweiz im Jahr 2017, wo gleichgeschlechtliche Elternpaare mehr und mehr selbstverständlich sind", wurde Urs Fitze, Bereichsleiter Fiktion bei SRF, in dem Zeitungsartikel zitiert.

Gemischte Reaktionen

"Als lesbische Mutter fand ich es wunderbar, dass ein Kind einfach ganz natürlich seine Eltern vorstellte, bei denen es in diesem Fall um zwei Frauen ging", erklärte Maria von Känel, ein Gründungsmitglied des Dachverbands Regenbogenfamilien.

Sie sprach an einer Podiumsveranstaltung unter dem Titel "Regenbogenfamilien im Mainstream?", die jüngst im Rahmen des schwul-lesbischen Filmfestivals Pink Apple in Zürich stattfand.

Doch nicht alle auf dem Podium teilten ihre Ansicht. Einige äusserten sich kritisch, weil sich die Szene in einem Zirkusumfeld abgespielt hatte; sie fanden, die Serie habe die lesbischen Eltern dadurch als etwas Exotisches dargestellt.

"In Zirkussen gibt es Leute mit zwei Köpfen, und schau, auch Lesben", spottete die Podiumsteilnehmerin Kerstin Polte, eine Regisseurin und Produzentin aus Berlin. "Ich hätte es vorgezogen, wenn sie in einer alltäglicheren Situation gezeigt worden wären."

Professor bezeichnet die Szene als "bahnbrechend"

Udo Rauchfleisch, emeritierter Professor für klinische Psychologie der Universität Basel, erklärte, die Szene sei im Vergleich dazu, wie Schwule und Lesben in den Schweizer Medien historisch behandelt worden seien, bahnbrechend.

"Als ich jung war, ich wurde 1942 geboren, gab es in den Medien überhaupt nichts über Regenbogenfamilien, und kaum je etwas über Schwule und Lesben", sagte er.

"Man sah sie höchstens in alten Filmen, aber die Darstellungen waren immer negativ: Es endete immer in Suizid oder Mord. Es gab keine Vorbilder für schwules oder lesbisches Leben."

Die Frage der Einschaltquoten

In den USA sind Regenbogenfamilien seit Jahren in TV-Serien zu sehen, die sowohl bei Kritikern als auch beim Publikum zu Hits wurden.

Dazu gehören Modern Family, Grey's Anatomy, The Wire, Nurse Jackie oder Transparent. 2010 erhielt der Film The Kids Are All Right, der die Geschichte eines lesbischen Paars mit zwei Kindern erzählt, vier Oscar-Nominationen.

Was Schweizer Fernseh-Produktionen angeht, konnte swissinfo.ch hingegen niemanden finden, der oder die ein anderes Beispiel als den "Bestatter" anführen konnte.

Für den Schweizer Markt ein Nischenthema?

"In der Schweiz und in Deutschland sind die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten auf hohe Einschaltquoten angewiesen. Die Programmierer sagen sich 'wir wollen eine Alterstranche von 18 bis 70 ansprechen, und die meisten Leute sind heterosexuell'.

Daher setzen sie nicht auf Nischen-Fernsehen, nicht auf Serien und Charaktere, die nicht zum Mainstream gehören. Sie haben Angst, sonst Zuschauerinnen und Zuschauer zu verlieren", sagte Polte.

In den USA gebe es viel mehr Kabel- und andere Plattformen mit Angebot auf Verlangen, die mehr Nischenprodukte zeigten, die vor allem dank Mundpropaganda populär würden.

"Diese Plattformen brauchen nicht in erster Linie viele Zuschauer, sondern die richtigen Zuschauer. Diese müssen Fans werden und mit ihren Freunden über das Programm reden."

Mehr Mut gefordert

Polte wirft den Schweizer Produzenten diese andere Ansatzweise nicht vor, findet aber, sie könnten bei der Präsentation der Vielfalt der Gesellschaft gut etwas "mutiger" sein.

"In Deutschland gehen viele gute Serien direkt auf Netflix [ein Online-Streaming-Dienst] nachdem sie am Fernsehen gezeigt wurden. Sie könnten vermehrt experimentieren mit der Vielfalt von Familien und Sexualität, weil man in Serien eine feste Ensemble-Besetzung hat, und ein Ensemble an sich schon vielfältig ist."

Kinder als Zielpublikum

Rauchfleisch, zu dessen Forschungsgebieten auch Homosexualität und Transgender-Identität gehören, kündigte stolz an, er habe eben seinen ersten schwulen Kriminalroman veröffentlicht, der sich mit den Themen Regenbogenfamilien und Coming-out befasse.

Indem er diese Themen in einem Roman aufgreife, könne er im Vergleich zu den akademischen Texten, die er sonst normalerweise verfasse, ein anderes Publikum erreichen.

"Es ist äusserst wichtig, dass Regenbogenfamilien in den Medien, in Spiel- und Dokumentarfilmen und auch in Kinderbüchern erscheinen", erklärte Rauchfleisch weiter. Es sei wichtig, dass Kinder, die in Regenbogenfamilien aufwachsen, Bezugsmodelle hätten und auch in "Filmen oder Büchern andere Kinder sehen, die sich in der gleichen Situation befinden wie sie".

Und die Soziologin, Historikerin und Autorin Christina Caprez erklärte, es sei auch wichtig, dass Regenbogenfamilien in Medien ein Thema seien, um gegen Mobbing vorzugehen oder die Verwendung des Ausdrucks "schwul" als Schimpfwort oder Beleidigung zu bekämpfen.

"Es ist eigentlich fast wichtiger, dass Kinder und Eltern in anderen Familien solche Bilder sehen können, als Kinder von Lesben und Schwulen, für welche diese Situationen völlig normal sind", sagte sie.

Immer wieder erklären

Eine Veranstaltung am 7. Mai in Bern zum Internationalen Tag der Familienvielfalt bot die Chance, sich einen Einblick zu verschaffen, wie Regenbogenfamilien über ihre mangelnde Repräsentation in den Schweizer Medien denken.

"Es würde der Gesellschaft helfen, eine vielfältigere Perspektive zu haben. Egal wo immer man auch hingeht, sei es zum Arzt, in den Kindergarten, man muss sich immer wieder erklären", sagte Sabine, die zwei junge Söhne hat.

"Es würde helfen, wenn die traditionellen Massenmedien ein positiveres Bild zeigen würden. [Programme] müssen sich nicht unbedingt auf Regenbogenfamilien konzentrieren, aber auf die Tatsache, dass es verschiedene Familienformen gibt. Wie in Grey's Anatomy, wo zwei Frauen mit sehr allgemeinen Themen konfrontiert waren, die jede Familie durchmacht."

Wenig Rollenmodelle für Menschen in Regenbogenfamilien

Maike, die eine junge Tochter hat, erklärte, es sei eine Schande, dass es kaum Rollenmodelle für Regenbogenfamilien gebe: "Wo sind Leute wie ich?"

Sie denke aber, dass die Dinge sich in die richtige Richtung bewegten. "Noch vor drei, vier Jahren fand man auf dem Internet kaum Informationen [über Regenbogenfamilien]." Jetzt gehe es jeden Monat voran.

"Es wäre schön, würden Regenbogenfamilien als ganz normale Familien betrachtet, mit ganz normalen Problemen. Es gibt heute schon verschiedenste Familienmodelle: Geschiedene Eltern, allein erziehende Eltern, Kinder, die mit ihren Grosseltern aufwachsen... Über unsere Welt beginnen die Leute aber erst, sich Tausende von Fragen zu stellen."

Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch

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